Ölgemälde
Reine Frauenheere wie bei den legendären Amazonen sind fraglich – Frauen kämpften aber durchaus.
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Boudicca ist die vielleicht berühmteste Kriegerin der Geschichte, jedenfalls in Großbritannien. Die Heerführerin stand in den Jahren 60 und 61 unserer Zeitrechnung an der Spitze eines Aufstands keltischer Stämme gegen die römische Besetzung. Heute gilt sie als britische Ikone. Frauen wie sie, die Männer befehligten oder an deren Seite kämpften, kannte die Geschichtsschreibung lange Zeit nur wenige. Doch in den vergangenen Jahren tauchen sie immer häufiger auf, da sich durch neue Analysen von alten Skeletten viele Krieger als Kriegerinnen herausstellen.

Die Spurensuche spielt sich daher viel in Gräbern ab – und in DNA-Labors. Schon vor Boudicca gab es in der Eisenzeit Frauen, die bei Angriff oder Verteidigung wichtige Rollen einnahmen. Das zeigt ein kürzlich neu bewerteter Fund auf den Scilly-Inseln vor der englischen Küste. Für Aufsehen sorgte vor wenigen Jahren auch ein Wikingerehrengrab in der schwedischen Siedlung Birka. Darin befanden sich neben den Überresten des Bestatteten ein Schwert, eine Streitaxt, Pfeile und zwei Pferdeskelette sowie ein Brett mit Spielfiguren, die auf eine wichtige Rolle des Begrabenen als Kriegsstratege hindeuteten. Das war bemerkenswert, doch besonderes Erstaunen riefen moderne DNA-Analysen hervor, mittels derer sich herausstellte: Der große Wikingerkrieger, der vor mehr als 1.000 Jahren lebte, war in Wahrheit eine Wikingerin. Neben den aus der Wikinger-Zeichentrickserie "Wickie" bekannten "starken Männern" gab es in Skandinavien also starke Frauen, wie mittelalterliche Erzählungen bis dahin ohne konkreten Beweis vermuten ließen.

Amazonen als Ausnahme?

Mehr oder weniger gut belegte Evidenzen gibt es zudem für die Amazonen, die zum Synonym für kämpfende Frauen wurden. Laut dem antiken Dichter Homer nahmen sie am Trojanischen Krieg teil, weiteren Quellen zufolge kamen sie aus der Region zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer. Dort lebte vor mehr als 2300 Jahren das Reitervolk der Skythen. Tatsächlich stieß ein russisches Forschungsteam vor wenigen Jahren in der Steppe auf Bestattungen aus dieser Zeit, bei denen Frauen verschiedene Waffen als Grabbeigaben erhielten.

Waren solche Kämpferinnen die Ausnahme? Oder haben sich Frauen früher öfter als bisher gedacht an Kämpfen, Jagden und anderen Tätigkeiten beteiligt, die als typische Männerdomäne gelten? Wenn es um frühgeschichtliche Epochen ging, für die es keine oder wenige Textquellen gibt, konnten Archäologie und Paläoanthropologie bis vor kurzem nur bedingt Antworten liefern. Die Wissenschaft musste sich bei Analysen der Gräber auf übliche Geschlechtsunterschiede bei Becken- und Schädelknochen verlassen. Weitere Hinweise lieferten Grabbeigaben, die man stereotyp eher Männern (vor allem Waffen) oder Frauen (vor allem Schmuck) zuordnete.

Frauen bei der Großwildjagd

Heute hingegen lässt sich in Zahn- und Knochenproben gezielt nach typischen Eiweißstoffen oder Genen von Geschlechtschromosomen fahnden. Forschende können auf diese Weise immer präziser feststellen, ob sich in der DNA eines Skeletts ein XX- oder ein XY-Chromosomensatz versteckt, also ob es sich wohl um eine Frau oder einen Mann handelte. Die neuen Analysen förderten längst einige Überraschungen in der Geschlechterfrage zutage. So kam eine 2020 veröffentlichte Studie, die rund 9.000 Jahre alte prähistorische Gräber in Nord- und Südamerika untersuchte, zu einem erstaunlichen Schluss: Vermutlich waren 30 bis 50 Prozent der Menschen, die damals auf Großwildjagd gingen, Frauen.

Zumindest wurden sie mit Jagdwaffen bestattet. Das muss nicht zwangsläufig heißen, dass sie selbst Jägerinnen waren. Bei männlichen Skeletten wurde bisher aber nie angezweifelt, dass in einem Grab, in dem sich entsprechende Waffen fanden, auch ein Jäger bestattet wurde. Zudem gibt es neuere Forschungsarbeiten, die bei prähistorischen Frauenskeletten Spuren jagdtypischer Verletzungen fanden oder Überbleibsel von Pfeilen und anderen Kampfwunden. Umgekehrt ist es ebenfalls plausibel, dass Männer "typisch weibliche" Aufgaben übernahmen, wenn sie nicht fit genug für Jagd oder Krieg waren.

Umdenken in der Forschung

In diesen Fragen hat sowohl in der Forschung als auch in der Gesellschaft ein Umdenken stattgefunden, sagt die Prähistorikerin und Archäologin Katharina Rebay-Salisbury. Sie befasst sich mit Geschlechterarchäologie, forscht an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Wien und hielt dort erst vor wenigen Tagen ihre Antrittsvorlesung. Wer in einem Verband welche Aufgaben übernahm, war laut der Expertin von vielen Faktoren abhängig, etwa der Umwelt und der Ernährungssicherheit. "Wenn ich in einer kleinen Gruppe mit zwanzig Leuten lebe, die Großwild jagen, wird jede Person einbezogen, die helfen kann, egal ob Mann oder Frau."

Bei größeren Gruppen habe man sich aber spezialisiert. Das geschah durchaus teilweise entlang von Geschlechtergrenzen: "Die Mütter, die gerade kleine Kinder hatten, haben wohl etwas gemacht, das auch mit Kinderbetreuung kompatibel war", sagt die Archäologin. Das seien vor allem Routinearbeiten gewesen, die sich leicht unterbrechen lassen. Dazu konnte das Suchen und Sammeln essbarer Pflanzen gehören – eine verlässliche Nahrungsquelle, unabhängig vom punktuellen Jagderfolg.

Die Venus von Willendorf, eine kleine Frauenfigurine aus Stein mit starken Rundungen, großer Brust und einem mit Noppen besetzten Kopf, im Naturhistorischen Museum Wien
Welche Rollen haben Frauen in der Steinzeit eingenommen? Darüber, was Frauenskulpturen wie die Venus von Willendorf aus Niederösterreich verraten könnten, wird kontrovers diskutiert.
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Indes zeigte eine Forschungsarbeit über mehr als 60 verschiedene Jäger-Sammler-Gesellschaften, die in den vergangenen hundert Jahren über den Globus verstreut noch existierten: In knapp 80 Prozent dieser Gruppen war das Jagen keine reine Männerdomäne.

Mehr Matriarchate?

Gab es in sehr viel früheren Zeiten aber auch so etwas wie matriarchale, also von Frauen dominierte Gesellschaften, wie das der Schweizer Gelehrte Johann Jakob Bachofen bereits in seinem Werk "Das Mutterrecht" 1861 behauptete? Für die frühe Menschheitsgeschichte sind konkrete Nachweise schwierig. Eine Möglichkeit besteht darin, einen Blick auf die engsten noch lebenden Verwandten des Homo sapiens zu werfen, nämlich andere Menschenaffen: "Da gibt es sowohl matriarchal organisierte Gesellschaften wie bei Bonobos als auch patriarchal organisierte wie bei Schimpansen und Gorillas", sagt Rebay-Salisbury.

Ethnografische Studien würden darauf hindeuten, dass es beim Menschen wesentlich seltener matriarchale Gesellschaften gibt als patriarchale oder gemischt organisierte. Insbesondere in Eurasien seien patriarchale Strukturen meist dominant gewesen. Zu bedenken sei aber, was konkret mit "Patriarchat" gemeint wird, sagt die Archäologin: "Gesellschaften können nach außen patriarchalisch organisiert wirken und dennoch stark von Müttern und Großmüttern geprägt sein, zum Beispiel bei haushaltsinternen Entscheidungen und der Wahl von Ehepartnern."

Über die Gründe für die Dominanz patriarchaler Strukturen in unseren Breiten gibt es viele Vermutungen. Etliche Forschende gehen davon aus, dass es mit der sogenannten neolithischen Revolution oder Transition vor rund 10.000 Jahren zu einer stärkeren Trennung der Sphären von Männern und Frauen kam. Damals standen für viele Gesellschaften insbesondere in Europa und Asien immer weniger das Jagen und Sammeln im Zentrum, sondern Ackerbau und Viehzucht. Die Menschen wurden sesshaft – und Ländereien sowie anderer Besitz wurden hier in den allermeisten Fällen in männlicher Linie weitergegeben.

Veränderung zulasten der Frauen

Diese Veränderungen sorgten ab der Jungsteinzeit freilich für größere Ernährungssicherheit, Frauen brachten in kürzeren Abständen mehr Kinder zur Welt. Damit wuchs nicht nur die Bevölkerung, auch Mutterschaft wurde zu einer größeren Belastung, erklärt Rebay-Salisbury. Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen wurden in Sachen Arbeitsteilung eher größer. Gleichzeitig waren es in Eurasien oft Frauen, die ihre Gemeinschaften verließen, um in andere "einzuheiraten", während Männer in ihrer ursprünglichen Population blieben. Hinweise auf diese sogenannte Patrilokalität fanden Fachleute ebenfalls durch DNA-Analysen. Inwiefern diese Praxis friedlich vonstatten ging oder mit Gewalt gegenüber den Frauen durchgesetzt wurde, lässt sich kaum nachweisen.

Der neue Lebensstil wirkte sich auch auf den Speiseplan aus. In China gibt es archäologische Hinweise darauf, dass vor diesem Wandel Männer und Frauen eine recht ähnliche Diät hatten und die Größenunterschiede geringer ausfielen. Danach hätten sich in der heutigen Provinz Henan Männer eher fleischlastig ernährt, Frauen hingegen vor allem von Gemüse und Obst. Einen ähnlichen Trend kann Rebay-Salisbury für archäologische Funde in Europa nicht bestätigen: "Zumindest in Mitteleuropa gibt es kaum Unterschiede, da generell auf getreidebasierte Ernährung umgestellt wurde."

Brotbacken in der Steinzeit, Gravur 1890
Veränderte Ernährungs- und Lebensstilbedingungen dürften in der (Ur-)Geschichte auch die Aufgabenverteilung beeinflusst haben.
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Überhaupt fallen Unterschiede je nach Population verschieden aus. Rebay-Salisbury spricht von "Gender Intensity", also "geschlechtsintensiven" Gruppen: "In der frühen Bronzezeit gab es zum Beispiel Gemeinschaften, denen es total wichtig war, stark zwischen Männern und Frauen zu unterscheiden." Das zeigt sich in verschiedener Kleidung und anderer Behandlung, die man teils aus Grabbeigaben herleiten kann. Selbst die Ausrichtung im Grab war anders: Männer wurden auf die linke Seite mit dem Kopf Richtung Norden gelegt, Frauen auf der rechten Körperseite mit dem Kopf gen Süden bestattet. Bei anderen Gesellschaften gab es hingegen eher geringe Unterschiede.

Graustufen im binären System

Selbst abseits der binären Geschlechterordnung finden sich mittlerweile vereinzelt Hinweise. Seltene Varianten wie der XXY-Genotyp wurden bereits entdeckt – und wie die betroffene Person gesellschaftlich behandelt wurde. Das zeigt ein Fall aus Finnland: Dort wurde vor rund 1.000 Jahren eine angesehene Person bestattet, die man heute mit der medizinischen Diagnose des Klinefelter-Syndroms versehen würde. Betroffene wachsen meist mit männlicher Geschlechtsidentität heran, können aber zudem feminine Merkmale haben. Im finnischen Grab stießen archäologische Forschungsteams nicht nur auf zwei Schwerter, sondern auch auf Kleidungsspuren, die eher zur damaligen weiblichen Tracht passen. Einige Fachleute vermuten, dass die Person zu Lebzeiten keine eindeutige weibliche oder männliche Geschlechtsidentität hatte, also mit heutigem Vokabular nichtbinär genannt werden könnte.

Doch in der Archäologie bleibt vieles spekulativ. "Wir können die Toten ja nicht fragen: Wie haben Sie sich gefühlt? Waren Sie ein Mann oder eine Frau?", sagt Rebay-Salisbury. Diese Art von persönlicher Identitätszuschreibung fehle – es sei aber aufschlussreich, dass man heute wissenschaftlich immer mehr über die Graustufen des dualen Systems herausfinden könne. "Und wir können immerhin sagen: Welche Anzeichen gibt es dafür, wie die Gesellschaft die Leute behandelt hat?" So ließen sich auch Unterschiede zwischen biologischem Geschlecht und sozialer Rolle ausfindig machen. Immer wieder habe es sowohl untypische Personen gegeben als auch verschiedene Gesellschaften, die teilweise mehr, teilweise weniger tolerant waren gegenüber Andersartigen.

Rätselhafte Frauenfigurinen

Außerdem können sich Verhältnisse schnell ändern: "Denken Sie daran, welchen Zugang Frauen vor 100 Jahren zu bestimmten Tätigkeitssphären hatten und wie das heute, nach nur vier Generationen, ist", betont die Archäologin. Hier werde mit Blick auf die Vergangenheit viel zusammengefasst, was eigentlich eine größere Bandbreite hatte. Das gelte auch für die Vorstellung von einem steinzeitlichen Matriarchat, das manche von der Vielzahl an Frauenfigurinen ableiten, zu denen die berühmte Venus von Willendorf gehört. Weshalb es anscheinend mehr Frauen- als Männerskulpturen gab, ist allerdings unklar. Vielleicht wollte man Göttinnen darstellen, vielleicht aber auch Schutzgeister oder Gruppenmitglieder. Verlässliche Indizien für eine Vorherrschaft von Frauen gibt es nicht – doch wäre plausibel, dass Frauen und Männer die prähistorische Kunst gestalteten, wie etwa Handabdrücke bei Höhlenmalereien nahelegen.

In einem Schwarz-weiß-Schema könne man jedenfalls weder Gegenwart noch Vergangenheit denken, sagt Rebay-Salisbury. Auch Maria Theresia sei sowohl militärische Strategin als auch Mutter von 16 Kindern gewesen. "Wenn gerade eine starke Persönlichkeit zum Anführen eines Heeres gefunden werden musste, dann war das manchmal eben eine Frau." Und erst vor kurzem fand eine Studie Hinweise darauf, dass die dänische Thyra aus der Wikingerzeit nicht nur Gemahlin des Königs, sondern selbst eine historische Schlüsselfigur war. Sonst hätte man ihren Namen auf mehreren Runensteinen festgehalten, auf denen nur selten Frauen erwähnt wurden. "Es gab immer Frauen, die Ausnahmerollen hatten." (Julia Sica, Mitarbeit: Klaus Taschwer, 21.10.2023)