Hadza-Männer mit Pfeil und Bogen
Die Hadza in Tansania pflegen eine traditionelle Lebensweise. Forschende haben nun ihre Träume analysiert.
Naftali Hilger / laif / pictured

Die Volksgruppe der Hadza umfass etwa 1.000 Menschen. Sie leben verstreut an den Ufern des Eyasisees im Norden von Tansania, in einer Region, die wegen ihrer Fundstätten als "Wiege der Menschheit" bezeichnet wird. Ein Teil der Hadza pflegt nach wie vor eine traditionelle nomadische Lebensweise. Als Jäger und Sammler gehören sie zu den letzten naturnah lebenden Gemeinschaften.

Dass sich ihr Alltag von dem eines Durchschnittsmenschen in Europa oder Nordamerika unterscheidet, liegt auf der Hand. Doch träumen sie auch anders? Das haben sich Schweizer und kanadische Forschende gefragt und die Träume von Hadza sowie von BaYaka, einer ähnlich lebenden Volksgruppe in der Demokratischen Republik Kongo, mit denen von Menschen aus dem Globalen Norden verglichen.

Dahinter steht die nach wie vor nicht geklärte Frage, warum wir Menschen (wie auch andere Tiere) überhaupt träumen. Wir wissen, dass Träumen eine komplexe halluzinatorische Erfahrung ist, die verschiedenste Emotionen anspricht und zu einem wechselnden Grad die Realität simuliert. Meist passiert das während der als Rapid Eye Movement (REM) bekannten Schlafphase, es kann aber auch in anderen Stufen vorkommen. Die Neurowissenschaft geht davon aus, dass dieser veränderte Bewusstseinszustand unter anderem der Emotionsregulierung und der Verarbeitung oder auch der Vorbereitung von Situationen im "echten" Leben dient.

Bedrohung überwinden

Neuere Theorien zur Entwicklung von "funktionalen" Träumen besagen, dass Menschen während eines Traums gefährliche und sozial fordernde Situation quasi durchspielen, was ihnen die Anpassung an derartige Situationen im Wachzustand erleichtere – und ihnen somit einen evolutionären Vorsprung verschafft hat. Traumstudien wurden aber bisher vor allem im Globalen Norden durchgeführt, was die Ergebnisse stark einschränke, schreiben die Forschenden in ihrer im Fachblatt "Scientific Reports" veröffentlichten Studie.

Um diesen Theorien experimentell und kulturübergreifend auf den Grund zu gehen, begab sich ein Anthropologenteam der Universität Toronto für zwei Monate Feldforschung zu den BaYaka und den Hadza, wo sie 896 Träume von 234 Individuen mittels Traumtagebüchern aufzeichneten und analysierten. Zusätzlich zogen Forscher der Universität Genf und des Genfer Universitätsspitals Daten aus vergangenen Traumstudien heran, die gesunde und psychisch beeinträchtigte Menschen aus der Schweiz, Belgien und Kanada umfassten.

"Wir haben festgestellt, dass die Träume der BaYaka und Hadza sehr dynamisch sind. Oft beginnen sie mit einer gefährlichen Situation, in der das Leben bedroht ist, enden aber im Gegensatz zu den Szenarien vieler westlicher Menschen mit einer Möglichkeit, diese Bedrohung zu überwinden", sagte der Studienleiter und ausgewiesene (Alb-)Traumforscher Lampros Perogamvros von der Universität Genf. Die Lösungen, mit denen sich Gefahren beseitigen ließen, beinhalteten in der Gruppe der Indigenen außerdem sehr häufig die Unterstützung durch andere. Wenn zum Beispiel jemand im Traum von einem Büffel attackiert wurde oder in einen Brunnen fiel, kam meist ein Mitglied der Gemeinschaft zu Hilfe. Die emotionalen Auflösungen waren laut den Forschern bei den indigenen Bevölkerungsgruppen also stark sozial orientiert und erlösender als in den westlichen Vergleichsgruppen. Die Hadza verspürten zudem am wenigsten negative Emotionen in ihren Träumen.

Einfluss sozialer Bindungen

"Bei den BaYaka und den Hadza sind die sozialen Bindungen notgedrungen sehr stark im Vergleich zu den individualistischen Gesellschaften in Europa und Nordamerika", sagte der Evolutionsanthropologe David Samson von der Universität Toronto. "Diese Beziehungen sind emotionale Werkzeuge, die zur Verarbeitung der Herausforderungen des Lebens eingesetzt werden." Das zeige die enge Verbindung zwischen den Funktionen des Träumens und den gesellschaftlichen Normen und Werten der jeweiligen Gruppe.

Die Träume der westlichen Bevölkerung erfüllen dementsprechend eine etwas andere emotionale Funktion: Träume mit negativem Inhalt sind den Forschenden zufolge oft Simulationen unserer Ängste, die uns darauf vorbereiten, ihnen im Wachzustand zu begegnen. Insbesondere jene klinischen Patientinnen und Patienten, die unter Albträumen und sozialen Ängsten litten, berichteten von intensiven Träumen ohne kathartische Auflösung. "Hier scheint die adaptive Funktion des Träumens eingeschränkt zu sein", sagt Lampros Perogamvros.

Auch wenn sich die nächtlichen Erlebnisse nicht einfach auf das Leben bei Tageslicht übertragen lassen – die Ergebnisse würden die Annahme stützen, dass Träume effektiv Emotionen regulieren können, heißt es in der Studie. Nämlich indem sie potenzielle Gefahren mit positiven Kontexten verbinden und Ängste reduzieren können. Und das kann nun mal in der Schweiz etwas anderes heißen als in Tansania. (Karin Krichmayr, 16.10.2023)