Natürlich nutzt die Battle Sister ihren Flammenwerfer im Kampf.
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Unsere Gegner müssen verrückt sein: Nicht nur haben sie sich durch die Einflüsterungen des Warp selbst in einem schmerzhaften Ritual das Augenlicht genommen, sie stürmen auch blind, nur mit Messern bewaffnet auf unsere Gruppe zu. Die Schwester der Adepta Sororitas in unserer Gruppe spricht ein kurzes Gebet zum Imperator und lässt eine Salve aus ihrem Bolter los. Die Kultisten scheinen chancenlos. Da verwandelt sich der Anführer der Bande in einen vielarmigen Dämon direkt aus dem Warp, und der Sieg ist plötzlich nicht mehr so sicher.

Derartige Szenen sind in "Rogue Trader: Warhammer 40.000" nicht selten. Anders als die üblichen Videospielableger der dunklen Sci-Fi-Marke führen wir hier das Kettenschwert und den Sturmbolter nicht selbst aus der Ego-Perspektive gegen die Diener der dunklen Mächte, denn "Rogue Trader" ist ein waschechtes klassisches Rollenspiel aus der Top-down-Ansicht, in der wir Partymitglieder einzeln oder als Gruppe steuern dürfen.

Pen-and-Paper-System als Basis

Aber kann ein Rollenspiel in einer Galaxis, die nichts als Krieg kennt, funktionieren? Ja, denn ganz neu ist das Regelsystem hinter "Rogue Trader" nicht. Es basiert auf einem von Kennern geschätzten Pen-and-Paper-System aus den frühen 2000er-Jahren. Damals erschienen mehrere Ableger aus dem "40k"-Universum. In "Dark Heresy" schlüpfte man in die Rolle von Agenten der Inquisition, in "Deathwatch" spielte man Space-Marines, und in "Rogue Trader" durfte man selbst in die Rolle der namensgebenden Forscher, Abenteurer und Händler schlüpfen. Vor allem "Rogue Trader" hat bis heute eine treue Fanbasis und lebt aktuell im Pen-and-Paper-Rollenspiel "Imperium Maledictum" weiter. Brand-Manager Alexander Evmenchikov teilt jetzt noch Geschichten von seiner "Dark Heresy"-Gruppe.

Keine schlechten Voraussetzungen also für ein klassisches Rollenspiel auf dem PC, zumal das Entwicklerstudio Owlcat Games schon mit der Softwareumsetzung der "Pathfinder"-Pen-and-Paper-Spiele großartige Arbeit geleistet hat. Anders als "Pathfinder" und das zugrundeliegenden Regelwerk von "Dungeons and Dragons" basiert "Rogue Trader" nicht auf einem System mit zwanzigseitigen Würfeln, sondern arbeitet mit W100 – also einem hundertseitigen Würfel. Das ist für Einsteiger erstaunlich verständlich, denn es führt dazu, dass jeder Charakterwert, jeder Skillcheck und jede Angabe der Trefferchance in Prozentpunkten entspricht.

Die Abenteurer der Galaxie

Aber was zum geflügelten Nurgledämonen ist ein Rogue Trader? Dabei handelt es sich um Entdecker, die für das Imperium der Menschheit mit ihrer Schiffsflotte die Grenzen der Galaxie erkunden und Planeten in Besitz nehmen. Dabei spannen sie ein Handelsnetz über die neu entdeckten Gebiete, was ihnen im "40k"-Universum zu spektakulärem Reichtum verhilft.

Nun wäre ein Videospiel als unendlich reicher und mächtiger Lord-Kapitän eines gewaltigen Schlachtschiffes recht langweilig, weshalb Owlcat Games zu einem erzählerischen Trick gegriffen hat. Der Spielcharakter wird auf das Schiff einer mächtigen Freihändlerin gerufen. Schnell stellt sich heraus, dass man einer der Erben der mächtigen Dynastie ist. Es ist kein Spoiler zu verraten, dass die weiteren Ereignisse darauf hinauslaufen, dass die Anführerin getötet wird und wahrscheinlich mit den Mächten des Chaos im Bunde stand und die Spielfigur jetzt an ihrer Stelle die Raumfahrerdynastie anführt.

Ketzerische Kultisten und Chaosanbeter sind die klassischen Gegner im "40k"-Universum.
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Der Einstieg in die Beta ist genretypisch und ähnelt jenem aus "Pathfinder Kingmaker": Durch die turbulenten Ereignisse im Vorspann ist die Crew des Rogue-Trader-Schiffes entweder verschollen oder vom Warp verschlungen, und die erste Aufgabe lautet für den frischgebackenen Lord Captain, einen Techpriest zu finden, schließlich müssen die Maschinengeister unseres Flaggschiffes besänftigt werden. Später kommen noch eine mächtige Psionikerin, ein gnadenloser Inquisitor, ein Dark Eldar mit Hang zum BDSM und sogar ein Adeptus Astartes der Space Wolves dazu.

Diese Kameraden finden wir, indem wir auf verschiedenen Planeten landen und dort ganz klassisch Quests erfüllen. War es in "Pathfinder: Kingmaker" eine Regionskarte, bekommen wir jetzt eben einen Ausschnitt des Raumsektors präsentiert. Dennoch: Die Welt ist jetzt schon deutlich größer als jene des Vorgängers aus dem Jahr 2018.

Nett, böse oder gleich ein Ketzer

Sind wir auf einem Planeten gelandet, geht es ganz genretypisch durch verschiedene Bildschirme, in denen entweder Chaoskultisten darauf warten, von der Party mit Bolter, Kettenschwert und psionischen Blitzen niedergestreckt zu werden, oder Dialogquests, in denen wir den Dienern des Imperators dank unserer Autorität als Rogue Trader gehörig Respekt einflößen. Tatsächlich ist letzterer Aspekt sehr gelungen umgesetzt: Auf Wunsch ist der Rogue Trader entweder gütig oder imperial streng – oder er gibt sich gar als Häretiker zu erkennen.

Je nach unseren Entscheidungen reagieren auch die Begleiter: Die gläubige Battle Sister ist etwa in ihrem Glauben dogmatischer als der Inquisitor, der schon einmal ein Auge zudrückt, wenn wir ein Stück Alientechnologie verwenden. Doch die unsanktionierte Psionikerin würde er am liebsten dem Imperator selbst opfern. Je nach Sympathie reagieren die Charaktere anders auf uns und laden uns auf ihre persönlichen Sidequests ein. Auch Romanzen im Spiel sind möglich, aber aus Spoilergründen soll nicht weiter auf deren möglicherweise ketzerischen Auswirkungen eingegangen werden.

Die Kämpfe brauchen noch etwas Liebe

Die Kämpfe laufen genretypisch ab und reichen leider nicht an die Qualität eines "Baldur's Gate 3" heran. Ganz klassisch sind unsere Helden entweder Kämpfer, Schützen, Psioniker oder Anführer, wobei Letztere zum Testzeitpunkt noch nicht voll in das Spiel integriert waren. Hier gibt es für Owlcat noch einiges zu balancen, scheinen doch Nahkämpfern den Schützen deutlich unterlegen zu sein. Während die eingangs erwähnte Adepta Sororitas aus der Deckung heraus die Ketzer und Mutanten reihenweise zu ihrem tentakelbewehrten Schöpfer schickt, hat unser Kämpfer Mühe, überhaupt in Reichweite zu kommen.

Auch der Schwierigkeitsgrad schwankt noch stark: Die meisten Kämpfe sind leicht zu gewinnen – es sei denn, der Feind verfügt über viele Scharfschützen, dann gerät die eigene Party schon einmal in Bedrängnis, und die Nahkämpfer der Gruppe haben noch weniger Oberwasser.

Official Release Date Trailer | Warhammer 40,000: Rogue Trader
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Dafür sind die Auseinandersetzungen gut inszeniert: Lasersalven prallen an Deckungen ab, Boltergeschoße ziehen Rauchspuren nach, und Warpblitze zucken über das Schlachtfeld, was zuweilen der Übersichtlichkeit nicht gerade dienlich ist.

Die Gegner lassen massenweise Loot fallen, den wir auch freudig aufsammeln. Denn haben wir genügend rostige Lasergewehre und löchrige Flakrüstungen im Bauch des Schiffes, können wir diese im großen Stil verkaufen. Damit steigt das Rogue-Trader-Level, und wir bekommen Zugriff auf immer mächtigere Ausrüstung wie Powerschwerter, Plasmagewehre oder panzerdurchschlagende Meltawaffen.

Im Test nennen wir unser Gefährt originellerweise die "Emperor's Wrath". Das Schiff selbst spielt ebenfalls die Rolle eines Charakters: Es hat einen eigenen Talentbaum und immer wieder finden Quests auf ihm statt. Einmal gilt es eine Meuterei unter Deck zu besänftigen, ein anderes Mal eine mehr oder weniger motivierende Ansprache an die Crew zu halten.

Schräger Humor

Der Einstieg in die Welt von "Warhammer 40k" ist niemals einfach. Dutzende Romane, Animationsserien, Kodex- und Kampagnenbücher für das Tabletop-Spiel erzählen die Geschichte des Universums weiter. Dieser Einstiegshürde ist man sich bei Owlcat bewusst. Deshalb wurde eine Enzyklopädie eingebaut, die in jeder Dialogzeile per Tooltip Erklärungen für eine Vielzahl der Begriffe aus dem komplexen Universum bietet. Damit soll "Rogue Trader" den Einstieg in die Welt vereinfachen.

Dort herrscht zwar nichts als Krieg, dennoch bleibt Platz für schwarzen Humor. So dürfen wir als Spielfigur relativ früh schon in totale Paranoia verfallen und NPCs als mögliche Spione brandmarken. Derartige Entscheidungen holen uns dann später garantiert wieder ein. Ein anderes Mal bringen wir – völlig politisch unkorrekt – einen unserer Schiffsoffiziere um den Verstand, weil wir uns über seine künstlichen Gliedmaßen lustig machen können.

Fazit: Hart und unzivilisiert

"Rogue Trader" ist für all jene einen Blick wert, die "Baldur's Gate 3" schon mehrfach durchgespielt haben und auf der Suche nach dem nächsten Rollenspiel sind, in dem sich locker 100 oder mehr Stunden versenken lassen. Man muss sich aber im Klaren sein, dass "Warhammer 40k" keine zivilisierte Sci-Fi à la "Star Trek" ist, sondern eine brutale, fanatisch-religiöse Dystopie, in der die Sith-Lords aus "Star Wars" maximal im Kindergarten als Pausenclowns auftreten dürften.

Fans von "Warhammer 40k" sind natürlich genau auf der Suche nach diesem fast schon satirischen Stoff. Nach dem eher platten "Darktide" und vor dem verschobenen "Space Marine 2" ist "Rogue Trader" die beste Möglichkeit, die Gnade des Imperators in einem ganzen Raumsektor zu verteilen. Für Fans der bisherigen Titel von Owlcat ist das Rollenspiel ebenfalls ein heißer Tipp, ist der Sprung nach "Pathfinder" doch kein allzu weiter.

Wer sich jetzt voller Vorfreude ins Abenteuer stürzen möchte, sei gewarnt: "Rogue Trader" ist in der rund 60 Stunden langen Beta noch voller Bugs. Im ersten Durchlauf machte nach etwa 15 Stunden ein Plotstopper jeden Fortschritt zunichte. Aber allzu lange muss man sich ohnehin nicht mehr auf das Spiel freuen, denn die Vollversion erscheint bereits am 7. Dezember. Und so, wie es aussieht, steht ein Hit nicht nur für "Warhammer"-Fans, sondern auch für Freunde klassischer Rollenspiele im Stil von "Baldur's Gate" ins Haus. (Peter Zellinger, 21.10.2023)