Tonio Schachinger
Gewinner des Deutschen Buchpreises: Tonio Schachinger (31).
APA/dpa/Arne Dedert

Am Montagabend hat der 31-jährige Tonio Schachinger in Frankfurt den Deutschen Buchpreis gewonnen. Die literarische Qualität seines Siegertitels "Echtzeitalter" zweifelt niemand an, für manche kam der Sieg des Österreichers dennoch überraschend – ist der Preis doch in den letzten Jahren durchweg an Romane mit starken Bezügen zu aktuellen gesellschaftlichen Themen (nichtbinäre Geschlechtsidentität, sexuelle Gewalt, Migration) gegangen. So griffig lässt sich Schachingers Schulroman nicht her­unterbrechen. In Österreich jedenfalls ist die Freude über den Gewinner groß. "Es ist eine Auszeichnung für die gesamte österreichische Gegenwartsliteratur", freute sich Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne). In den nächsten Tagen stehen für Schachinger viele Termine an. DER STANDARD erreichte ihn am Dienstagnachmittag.

STANDARD: Sie haben mit Ihrem erst zweiten Roman nun den Deutschen Buchpreis gewonnen – wie groß ist die Überraschung, so früh in der Karriere?

Schachinger: Wenn man erst einmal auf der Shortlist ist, muss man die Möglichkeit schon in Betracht ziehen. Es war trotzdem überraschend.

STANDARD: In den letzten Jahren haben sehr debattentaugliche Bücher gewonnen, es ging um nichtbinäre Geschlechtsidentität oder Migration – hatten Sie angesichts der Konkurrenztitel heuer, wo es um die DDR ging oder Beziehungsgewalt, mit dem Erfolg gerechnet? Ihr Buch ist weniger klar für Debatten geeignet.

Schachinger: Ich bin Schriftsteller, ich versuche, gute Bücher zu schreiben. Wie sehr sie dann für Debatten geeignet sind oder nicht, darüber kann ich nicht nachdenken. In „Herkunft“ von Saša Stanišić steckt auch wesentlich mehr drin als das, was es zu einem debattentauglichen Buch macht. Ich nehme an, dass die Jury das ähnlich gesehen haben muss, sodass sie nicht die vordergründig debattentauglichen Titel gewinnen lassen wollten, sondern mein Buch.

STANDARD: Der Aspekt des Gamings und von Computerspielen wurde in der Jurybegründung zum Preis extra erwähnt. Spielen Sie selbst, oder haben Sie Gaming nur als Thema für das Buch entdeckt?

Schachinger: Ich habe schon mein ganzes Leben seit dem Game Boy Color Computerspiele gespielt, aber nicht in einem Ausmaß wie Till.

STANDARD: Wie viel haben Games und Literatur gemeinsam? Wo steht die ästhetische Erfahrung zu spielen auf der kulturellen Skala?

Schachinger: Ich glaube, dass es einige Gemeinsamkeiten gibt, vor allem darin, dass man bei beidem Zeit in diesen Welten verbringt. Das allein ist schon, worum es geht. Nicht ums Gewinnen, Verlieren oder Gewalt geht es beim Spielen, sondern um Immersion. Computerspiele sind sehr immersiv und können dadurch noch mehr ablenken als Literatur.

STADNADRD: Gibt es eine spezielle ästhetische Erfahrung bei "Age of Empires 2", um die es in "Echtzeitalter" geht?

Schachinger: Ich habe dieses Spiel als Kind gespielt und kann mich erinnern, was es damals für mich bedeutet hat, einen Ritter, den ich aus Kinderbüchern kannte, darin herumreiten lassen zu können. Das ist vielleicht ein erster Schritt in die ästhetische Erfahrung.

STANDARD: Sie sind 31 Jahre alt, haben bisher zwei Romane geschrieben – Schnellschreiber sind Sie keiner?

Schachinger: Ich weiß schon, was ich als Nächstes schreiben werde, wenn ich Zeit dafür haben werde.

STANDARD: Wie schreiben Sie? Suchen Sie lange Themen? Recherchieren Sie lange? Sammeln Sie viel Material?

Schachinger: Schon lange, bevor ich zu schreiben beginne, interessieren mich Themen. Und irgendwann hat sich genug Wissen angehäuft. Der nächste Roman wird ganz andere Wege gehen, und trotzdem geht es um Themen, die mich schon seit Jahren begleiten. Am Anfang vom Schreiben steht, ein Mensch zu sein, der Dinge erlebt, der sich für Dinge interessiert. Und irgendwann kann man dann was draus machen, wenn man will.

STANDARD: Sie rechnen in "Echtzeitalter" mit der österreichischen rechten Politik der 2010er-Jahre ab, ebenso mit österreichischen Klischees wie Tanzschule. Wie geht es Ihnen gerade mit Österreich?

Schachinger: Ich hätte nie gedacht, dass jemand wie Karl Nehammer irgendwann österreichischer Bundeskanzler sein wird, und es ist tatsächlich absurd, dass so jemand Bundeskanzler sein und am laufenden Band so unfassbar idiotische Dinge sagen kann. Klischees entstehen nicht beim Schreiben, sondern die sind jeden Tag. Und Österreich ist halt leider so, Österreich ist ein Klischee.

STANDARD: Sie sind mit "Echtzeitalter" vom österreichischen Verlag Kremayr & Scheriau zum größeren deutschen Verlag Rowohlt gewechselt. Größere Verlage haben klarerweise mehr Power, viele österreichische Autoren wechseln deshalb mit dem ersten Erfolg zu deutschen Verlagen. Was genau waren Ihre Beweggründe?

Schachinger: Das ist, wie wenn man einen Spieler fragt, warum er von der Admira zu Real Madrid wechselt. Da geht es nicht nur um wirtschaftliche Schlagkraft, sondern auch um Qualität. Die besten Lektorinnen und Lektoren arbeiten für die besten Verlage. Es gibt kein einziges Argument, die Entscheidung anders zu treffen, wenn man die Chance hat.

STANDARD: Was hat der Buchpreis jetzt für kurzfristige Messe-Effekte, außer mehr Terminen? Mehr Partys?

Schachinger: Man kriegt eine Liste mit Fixterminen, wenn man den Preis gewinnt, dazu kommen noch andere Treffen. Auf die Partys hätte ich wohl sonst auch können. (Michael Wurmitzer, 17.10.2023)