Die paläs­tinensische Autorin Adania Shibli.
Die paläs­tinensische Autorin Adania Shibli.
Hartwig Klappert

Eigentlich ist der Deutsche Buchpreis das spannendste Gesprächsthema zu Beginn der Frankfurter Buchmesse. Heuer ist das anders. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel sorgt eine den meisten unbekannte Auszeichnung für Aufregung. Die palästinensische Autorin Adania Shibli sollte kommenden Freitag auf der Messe vom Verein Litprom für Eine Nebensache den Liberaturpreis für Bücher aus dem Globalen Süden erhalten.

Shibli schildert in dem 2017 erschienenen und seither ins Französische, Englische und Spanische übersetzten Roman auf 120 Seiten die Gräueltaten, die israelische Soldaten im Jahre 1949 an einem palästinensischen Mädchen begingen. 50 Jahre später will eine junge Frau aus Ramallah den Vorfall erforschen. Shibli verknüpft die beiden Lebensgeschichten. Der Roman erntete Nominierungen für den amerikanischen National Book Award sowie den britischen International Booker Prize, auch in Deutschland wurde das Buch nach Erscheinen im Berenberg-Verlag voriges Jahr für seine sprachliche Kraft sowie seine Behandlung der Themen Gewalt, Angst und Gerechtigkeit gelobt. Shibli wurde zur Stimme, die man im Nahostkonflikt hören sollte, erklärt. Palästinensische Literatur, wurde festgestellt, erhalte hierzulande ohnehin selten Öffentlichkeit.

Internationales Unverständnis

Seit eineinhalb Wochen ist aber alles anders. Kritik, dass Shibli antisemitische Klischees beschreibe, wurde laut. Vergangenen Freitag schaltete sich die Buchmesse ein und verkündete, dass Shibli den Preis erst nach den Messetagen erhalten soll. Buchmesse-Direktor und Litprom-Vorstandsvorsitzender Jürgen Boos erklärte, man stehe als Frankfurter Buchmesse "mit voller Solidarität an der Seite Israels", wolle "jüdische und israelische Stimmen auf der Buchmesse nun besonders sichtbar machen" und habe sich "spontan entschlossen, zusätzliche Bühnenmomente für israelische Stimmen zu schaffen".

Das rief wiederum international Unverständnis hervor. In einem offenen Brief forderten am Montag über 600 Autoren, Verleger, Agenten und andere in der Buchbranche Tätige die Messe auf, ihrer Verantwortung nachzukommen und Räume zu schaffen, in denen Schriftsteller sich mitteilen könnten, statt solche zu schließen. Die Messe solle für Stimmen aus Israel wie auch Palästina eintreten. Unter den Unterzeichnenden finden sich mit Abdulrazak Gurnah, Annie Ernaux und Olga Tokarczuk drei Nobelpreisträger, ebenso unterschrieben haben Edouard Louis, Ian McEwan, Judith Butler oder Eva Menasse. Auch in Kanälen der Verlagsbranche auf sozialen Plattformen wie Instagram ist die deutsche Haltung zu Israel und Palästina Thema und stößt etwa in den USA auf Unverständnis.

Solidarität und Tumult

Rechte Verlage waren in den letzten Jahren wiederholt Thema auf den deutschen Buchmessen, die Kritik von "links" ist indes neu. Bei der Pressekonferenz am Dienstag zur Eröffnung der 75. Buchmesse erklärte Boos deren Solidarität mit "allen Menschen, die in Israel und Palästina unter dem Terror der Hamas leiden". Da sollen einige Verlage aus dem Mittleren Osten oder Institutionen aus Indonesien ihre Teilnahme aber bereits aus Protest zurückgezogen haben. Darüber sei er "sehr enttäuscht", reagierte Boos. Das "freie Wort" als Grundpfeiler der Veranstaltung als Ort des Austausches und der Verständigung sieht man seitens der Messe durch die Verschiebung der Preisverleihung auf einen späteren Zeitpunkt nicht verletzt. Man habe Shibli vor der „Hetzmasse“ (Elias Canetti) schützen wollen.

Dass die Diskussion um Shibli die weiteren Messetage begleiten wird, scheint nach der Eröffnungsfeier am Dienstagabend aber unabwendbar: Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek verurteilte in einer Rede die Angriffe der Hamas auf Israel, betonte aber, man müsse den Palästinensern zuhören, wolle man den Konflikt verstehen. Da verließen einige Gäste den Saal, der hessische Antisemitismusbeauftragte widersprach Žižek, Boos musste besänftigen. Shibli nicht auf der Messe auszuzeichnen, nannte Žižek "skandalös". (Michael Wurmitzer, 18.10.2023)