Nachdem der Krieg zwischen Israel und der palästinensischen Terrororganisation Hamas mit deren brutalem Angriff am 7. Oktober begonnen hatte, gab es in Österreich rasch Solidaritätsbekundungen für Israel. Auch SPÖ-Chef Andreas Babler äußerte sich auf X, vormals Twitter, bereits an jenem Nachmittag: "Der brutale Angriff der Hamas auf Israel ist aufs Schärfste zu verurteilen. Diese Gewalt ist durch nichts zu rechtfertigen. Meine Solidarität gilt allen Opfern und deren Angehörigen." In der Jugendorganisation, in der Babler selbst einst engagiert war und die ihn im Dreikampf um die Parteiführung unterstützte, dürften das jedoch nicht alle so sehen.

Zumindest fiel die Vorarlberger SJ am Dienstag mit einem Posting in die ganz andere Richtung auf. Nach dem Angriff der Hamas, der in dem Statement nicht verurteilt wird, führe Israel einen "erbarmungslosen Krieg gegen die gesamte palästinensische Bevölkerung". Die SJ Vorarlberg wolle daher ein Statement der marxistischen Strömung Der Funke teilen und Solidarität mit dem palästinensischen Volk bekunden, heißt es in dem Beitrag auf Instagram. "Nieder mit der Heuchelei – für die Verteidigung von Gaza!", schreibt die SJ Vorarlberg dazu. Das ist auch der Titel des Funke-Statements, das die Jugendorganisation auf ihrem Profil teilt. Es ist das erste Posting seit dem 7. Oktober, eine Solidaritätsbekundung für Israel ist auf dem Instagram-Account nicht zu finden.

SPÖ Vorarlberg mit klarer Distanzierung

Die SJ ist formal kein Teil der SPÖ, hat aber enge Verbindungen zur Partei und ist etwa in verschiedene Gremien eingebunden und bekommt finanzielle Förderungen. Nicht nur Babler, auch viele andere SPÖ-Politiker und -Funktionäre fingen einst bei der Sozialistischen Jugend an. Das Posting der Vorarlberger sorgte deswegen in der Partei bereits am Mittwoch für hitzige Debatten. PR-Berater und SPÖ-Mitglied Rudi Fussi plädierte auf X für Parteiausschlüsse jener SJ-Verantwortlichen, die auch Parteimitglieder sind. Man könne für die Zweistaatenlösung eintreten, "aber das hier geht einfach zu keiner Zeit in einer Partei wie der SPÖ".

Am Mittwochvormittag reagierte die Vorarlberger SPÖ: "Als Landesparteivorsitzender distanziere ich mich im Namen der SPÖ Vorarlberg ausdrücklich vom Posting der Sozialistischen Jugend Vorarlberg", heißt es in einem Statement von Mario Leiter. Diese Position habe in der SPÖ Vorarlberg keinen Platz. "Es haben bereits nach Erscheinen des Postings erste Gespräche stattgefunden, in denen ich klargemacht habe, dass wir uneingeschränkt hinter der Solidaritätserklärung zu Israel der fünf Parlamentsparteien stehen und die gemeinsame Erklärung ausdrücklich unterstützen." Er werde einen Landesparteivorstand einberufen und alle weiteren Schritte von Einstellung der Förderungen für die Sozialistische Jugend bis hin zu Parteiausschlüssen diskutieren. Zwei Personen der Vorarlberger SJ seien Parteimitglied.

Seit Tagen demonstrieren mehrere Personen auf dem Wiener Ballhausplatz und üben scharfe Kritik an Israel. Unter den Demonstranten sind nicht nur Palästinenser, sondern auch Österreicher aus dem linken Spektrum.
Tabea Kerschbaumer

Auch aus der SJ-Bundesorganisation kam eine Klarstellung: Die Äußerungen der SJ Vorarlberg seien nicht die Position der Sozialistischen Jugend und entsprächen auch nicht der Beschlusslage der SJ. "Der wahllose Terror der Hamas gegen die israelische Zivilbevölkerung ist durch nichts zu rechtfertigen oder zu legitimieren."

Aus der ÖVP gab es bereits Kritik von oberster Stelle: Generalsekretär Christian Stocker kritisierte das Posting in der Zeitung "Heute". Der Beitrag sei "unglaublich", von Babler vernehme er ein Schweigen, das Bände spreche, wird Stocker zitiert.

Wirbel um Antrag im Gemeinderat

Unterdessen sollen, wie aus Gemeinderatskreisen zu vernehmen ist, Teile der Wiener SPÖ um eine Positionierung zum Nahost-Konflikt gerungen haben. Anlass war ein Antrag aller Parteien mit dem Titel "Entschlossen gegen den Terror", der in der Sitzung am Mittwoch auf der Tagesordnung stand. Darin wird der "Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel" auf "das Schärfste" verurteilt und das Mitgefühl mit den Opfern und deren Angehörigen ausgedrückt. Seitens der SPÖ soll darauf bestanden worden sein, eine Passage zur Solidarität mit den "Opfern in der Zivilgesellschaft" einzufügen und einen Satz, der die Bedeutung des Völkerrechts bei Israels Verteidigung hervorstreicht, zu ergänzen.

Ebenso wird im Rathaus erzählt, dass SPÖ-Abgeordneter Omar Al-Rawi angekündigt habe, bei der Abstimmung den Saal zu verlassen. Vom STANDARD im Vorfeld darauf angesprochen, dementierte Al-Rawi dies und kündigte an, den Antrag sehr wohl zu unterstützen. Zu dem Gezerre um den Text wollte er sich nicht äußern. Der 62-Jährige sitzt seit 2002 im Gemeinderat und war bis 2011 Integrationssprecher der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Vor drei Jahren tauchte sein Name in Ermittlungsakten gegen angebliche Muslimbrüder und die Hamas in Österreich auf.

Im Gemeinderat meldete sich Al-Rawi am Mittwoch zu Wort und wies auf antimuslimische Anfeindungen infolge der Eskalation zwischen Israel und der Hamas hin. Wenn schon von "Nie wieder" die Rede sei, dann müsse man schon vom "gesamten Spektrum der Abwertungen" sprechen, betonte er. Wer am Dienstag die Rakete auf das Krankenhaus in Gaza abgefeuert habe, sei "sowas von wurscht". Ihm tue jedes zivile Opfer leid.

Die angekündigte Unterstützung für den Antrag leistete Al-Rawi schließlich. Wegen des Wirbels im Vorfeld wurde das Papier auf Betreiben der ÖVP sicherheitshalber namentlich abgestimmt - und bekam von allen 100 Abgeordneten ein "Ja".

Linke und Antisemitismus

Der Konflikt zwischen Palästinensern und Israel, der seit Anfang Oktober wieder einmal zu einem Krieg führte, sorgt im linken Spektrum seit Jahrzehnten für Debatten und Auseinandersetzungen. Die Frage, ob Linke vor muslimischem Antisemitismus die Augen verschließen, ist seit dem 7. Oktober bereits mehrfach aufgekommen. Verkürzt und vereinfacht: Wer sich im Nahostkonflikt für Antiimperialismus starkmacht, nimmt eine propalästinensische Haltung ein, der Begriff "antideutsch" steht hingegen für Unterstützung der israelischen Positionen.

Auf einer praktischen Ebene kann diese Auseinandersetzung beispielsweise an den studentischen kommunistischen Organisationen festgemacht werden: Während die Kommunistische Jugend Österreich (KJÖ) traditionell auf der palästinensischen Seite steht und vor wenigen Tagen mit dem Statement auffiel, Israel sei "nicht das Opfer", gilt das für den Kommunistischen Studierendenverband Linke Liste (KSV-Lili) nicht. In einem Beitrag auf Instagram am Dienstag hieß es etwa: "Denen, die sich die 'Palästinasolidarität' auf die Fahnen heften, geht es nicht um die Befreiung der palästinensischen Zivilist*innen aus den Verhältnissen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, geknechtetes, verlassenes Wesen ist." Zu den Praktiken der Hamas werde gerne geschwiegen.

Hinwegsehen über Verbrechen 

In einem Beitrag der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung heißt es, dass Antisemitismus zwar kein integraler Bestandteil linker Weltbilder sei, "aber ständiger Begleiter linkspolitischer Bewegungen". Besonders in drei Feldern schlage er sich immer wieder durch: Kapitalismuskritik, Antiimperialismus und Vergangenheitspolitik. "Insbesondere im Verhältnis zu Israel brechen sich in Teilen der politischen Linken immer wieder antisemitische Ressentiments Bahn", das gelte insbesondere seit dem Sechstagekrieg von 1967.

Warum? "Im antiimperialistischen Interpretationsraster wurde der Staat nun aufseiten des Imperialismus verortet und Partei für die Palästinenser:innen ergriffen", heißt es in dem Beitrag. Dabei werde "in der sogenannten Palästinasolidarität" zumeist über die Verfehlungen und Verbrechen der palästinensischen Führung hinweggesehen. Der derzeit wohl wirkmächtigste Ausdruck dieser Tendenz in Bewegungen der politischen Linken sei die antiisraelische BDS-Kampagne. Die Abkürzung steht für "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen", die Bewegung ruft zum Boykott israelischer Waren auf. Der BDS-Forderungskatalog läuft auf eine Abschaffung des jüdischen Staates hinaus. (Lara Hagen, Stefanie Rachbauer, 18.10.2023)