Er war eine streitbare öffentliche Persönlichkeit, aber unbestritten einer der profiliertesten Strafrechtler Österreichs. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag ist Christian Pilnacek im Alter von 60 Jahren verstorben. Pilnacek war als Spitzenbeamter mehr als zwanzig Jahre lang im Justizministerium tätig, die Hälfte dieser Zeit als wohl mächtigster Mann des Hauses. Er galt als ausgezeichneter Jurist und als einer der Architekten der aktuellen österreichischen Strafprozessordnung (StPO). Gleichzeitig schreckte er nicht davor zurück, Konflikte offen auszutragen.

Der studierte Jurist startete seine Karriere in der Justiz im Jahr 1990. Zwei Jahre später wurde er Richter am Bezirksgericht Innere Stadt in Wien und bekam eine Dienstzuteilung in der Sektion für Straflegistik im Justizministerium. 1998 und 1999 war er Richter des Landesgerichts Korneuburg, danach wechselte er zurück ins Ministerium.

Er leitete zunächst die Abteilung für Strafverfahrensrecht und zeichnete für die Jahrhundertreform der österreichischen Strafprozessordnung verantwortlich, die im Jahr 2008 in Kraft trat. Die bis dahin üblichen Untersuchungsrichter wurden abgeschafft, die Staatsanwaltschaften für das Ermittlungsverfahren zuständig gemacht und verfassungsrechtlich als Organe der Gerichtsbarkeit verankert. Die Rechte von Opfern und Beschuldigten wurden gestärkt.

Video: Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek 60-jährig gestorben.
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Chef der "Supersektion"

2010 übernahm Pilnacek dann eine "Supersektion" des Ministeriums und leitete fortan die Bereiche Legistik und Einzelstrafsachen. Als Justizsektionschef kontrollierte Pilnacek die lokalen Staatsanwaltschaften, die vier Oberstaatsanwaltschaften und die WKStA. Zwischen Februar 2018 und Mai 2019 war er zusätzlich Generalsekretär des Justizministeriums und damit dessen oberster Beamter. Pilnacek galt vielen als Verbindungsmann zwischen Justizministerium und ÖVP, zu der er gute Kontakte pflegte.

Im Laufe der vergangenen Jahre geriet Pilnacek dann zusehends mit Teilen der Justiz in Konflikt, vor allem mit der neu gegründeten Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Die Stimmung eskalierte im April 2019, als der Eurofighter-Akt von der Staatsanwaltschaft Wien zur WKStA wanderte. Die Vorstellungen über das Vorgehen gingen zwischen Pilnacek und den Korruptionsermittlerinnen und Korruptionsermittlern auseinander. Eine Tonaufnahme einer Dienstbesprechung gelangte an Medien, die Sache wurde zu einem erbitterten Schlagabtausch. Berühmt wurde der Satz "Daschlogts es".

Justizministerin Alma Zadić (Grüne) reagierte und trennte im Frühjahr 2020 Pilnaceks "Supersektion" auf, damit im Ressort eine "innere Gewaltenteilung" herrsche. Künftig sollte es wieder eigene Sektionen für Legistik und für die Fachaufsicht über Staatsanwaltschaften geben. Letztere Sektion wurde an Barbara Göth-Flemmich übertragen, Pilnacek wurde Legistik-Chef. Laut Chats empfand er diese Auftrennung als Entmachtung und Demütigung – wenngleich die Grünen in dieser Phase dennoch seine Expertise geschätzt haben sollen.

Christian Pilnacek im Sommer 2022.
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Ermittlungen der Justiz

Im Frühjahr 2021 erlitt Pilnaceks Karriere dann einen weiteren Rückschlag: Ermittler der Staatsanwaltschaft Wien nahmen ihm sein Handy ab, sie verdächtigten ihn des Verrats von Amtsgeheimnissen, und Pilnacek wurde suspendiert. In der Folge kamen einige fragwürdige Chats ans Tageslicht. So beriet Pilnacek gemeinsam mit Johann Fuchs, dem zeitweise ebenfalls suspendierten Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, über eine Observation einzelner WKStA-Mitarbeiter.

In der Folge wurden von der Staatsanwaltschaft Innsbruck, die den Fall übernommen hatte, einige Ermittlungsverfahren eröffnet. In einem Prozess, in dem es um die Weitergabe von Informationen an eine damalige Kurier-Journalistin ging, wurde Pilnacek rechtskräftig freigesprochen. Andere Verfahren liefen weiter. Zuletzt, im April 2023, verhängte die Bundesdisziplinarbehörde eine Geldstrafe, sprach ihn jedoch in zwei Fällen frei.

Ermittlungen und Diziplinarverfahren

Der Tod Pilnaceks wurde Freitagvormittag vom Justizministerium bestätigt. Die genauen Umstände sind nicht bekannt. Auf Anfrage des STANDARD teilte die Landespolizeidirektion Niederösterreich mit, dass Pilnacek in der Nacht von Donnerstag auf Freitag als Geisterfahrer und in alkoholisiertem Zustand von einer Streife angehalten wurde. Bei der Polizeikontrolle wurde ihm der Führerschein abgenommen. Er sei daraufhin von einer weiteren Person abgeholt worden. Später sei er in Niederösterreich tot aufgefunden worden, wie die Behörde bekanntgab. Das Landeskriminalamt Niederösterreich hat Ermittlungen zur Todesursache aufgenommen und eine Obduktion angeregt.

Pilnacek wird Wegbegleitern nicht nur als herausragender Jurist und ambitionierter Beamter, sondern auch als humorvolle und gesellige Persönlichkeit in Erinnerung bleiben. Christian Pilnacek verstarb im Alter von 60 Jahren. Er hinterlässt eine Ehefrau und drei erwachsene Kinder aus erster Ehe. (Fabian Schmid, Jakob Pflügl, 20.10.2023)