Hunderte Gewerkschafter und Betriebsräte bei einer Demo halten Schilder mit der Aufschrift 11,6 Prozent hoch.
"11,6 Prozent", werden Gewerkschaft und Arbeitnehmer ab Montag in und vor Metallindustriebetrieben skandieren – bevorzugt vor jenen der Arbeitgeber-Chefverhandler Johannes Collini und Evva-Chef Stefan Ehrlich-Adám.
APA/georg hochmuth

Die Betriebsversammlungen ab Montag bevorzugt in Unternehmen der Mitglieder des Kollektivvertragsverhandlungsteams sind seit Freitag fix. Denn die dritte Verhandlungsrunde zwischen den Abgesandten des Fachverbands Metalltechnische Industrie (FMTI) und den Gewerkschaften Proge und GPA endete im Unfrieden. Bis 31. Oktober sind gut 80 Betriebsversammlungen geplant, das erzeugt stundenweisen Arbeitsausfall.

Begonnen hatte die dritte Verhandlungsrunde mit einem Eklat: Die Verhandlungen wurden ausgesetzt, nachdem ein Drohbrief eingegangen war, der sich gegen ein Verhandlungsmitglied der Arbeitgeberseite richtete. So begründeten die Metallverarbeiter die etwa einstündige Unterbrechung zu Mittag. Die Wiederaufnahme der Gespräche knüpfte man an die Bedingung, dass sich die Gewerkschaft von Drohungen distanziert. Schließlich habe sie mit ihren Aussagen und Kommentaren maßgeblich zur "Verrohung der Sprache" und des Gesprächsklimas beigetragen, sagte ein Mitglied des Verhandlungsteams zum STANDARD. "Wir sind nicht deppert", stellt man unter Verweis auf einen Facebook-Eintrag der Gewerkschaft klar, eine inzwischen gelöschte (rhetorische) Frage in Reaktion auf das Arbeitgeberangebot von 2,5 Prozent plus 1050 Euro Einmalzahlung vor zwei Wochen. Die Proge hatte "Seid’s deppert?" gepostet, den Eintrag aber nach einer Stunde gelöscht. Das wird ihr nun als Beitrag zur Polarisierung angekreidet.

"Sauerei" als Aufreger

Aber zurück zum Drohbrief vom Freitag. Die Gewerkschaft kam der Forderung nach Distanzierung umgehend nach: "Drohungen sind absolut inakzeptabel, ein solches Vorgehen lehnen wir ab", teilte man mit. Den Vorwurf, mitverantwortlich für Drohverhalten zu sein, wiesen Proge-Chef Reinhold Binder und GPA-Geschäftsführer Karl Dürtscher zurück. Das genügte der Gegenseite, die sich an Aussagen wie jener von Binder gestoßen hatte, das Angebot der Arbeitgeber sei mit 2,5 Prozent plus 1050 Euro Einmalzahlung "eine Sauerei".

Lang dauerte die Unterredung nicht. Kurz nach 14.30 Uhr verließen die Gewerkschafter den Verhandlungsraum, um die weitere Vorgangsweise zu besprechen. Dem Gesprächsklima war der Zwischenfall nicht zuträglich, offensichtlich liegen die Nerven blank. Allein die Schuldzuweisungen auf Verdacht hin – Beweise, dass das anonyme Drohschreiben an die Industrie aus dem Umfeld der Arbeitnehmer stammt, legte die Arbeitgeberseite nicht vor – zeugen vom zerrütteten Klima.

Allzu groß war die Erwartung, die Verhandlungen würden diesmal hart, aber konstruktiv verlaufen, bereits vor dem Zwischenfall nicht. Beide Seiten haben sich tief in ihre Verhandlungspositionen eingegraben und die Chancen, dass sie aus diesen Gräben ohne Gesichtsverlust herauskommen, tendieren jetzt erst recht gegen null. Die Gewerkschafter fühlen sich brüskiert, weil die Industrie an ihrem Angebot unverbrüchlich festhält. Die knapp 140.000 Beschäftigten der Sparte Maschinen/Metallwaren bekämen dadurch netto durchschnittlich sieben bis neun Prozent mehr – die Abschaffung der kalten Progression, nicht aber Antiteuerungs- oder Energiehilfen eingerechnet, versteht sich. Das bringe eine deutliche Kaufkraftstärkung. Außerdem sei die Inflation inzwischen auf sechs Prozent gesunken.

Die Rezession

Das geht mit den 11,6 Prozent, die Metallarbeiter und Industrieangestellte an Erhöhung fordern, kaum zusammen, zumal die Gewerkschaft steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen, wie sie nur mehr heuer möglich sind, kategorisch ablehnt. Man begründet dies mit den Gewinnen und Dividenden der Branche in Milliardenhöhe. Einmalzahlungen bewirkten zwar eine Delle in der Lohnentwicklung, zusammen mit einer Basiserhöhung etwa in Höhe der zurückliegenden Kerninflation (VPI) abzüglich Lebensmittel- und Energiepreise) ließe sich daraus dennoch ein Abschluss zimmern, mit dem beide Seiten leben könnten. "Die Branche befindet sich in einer Rezession mit Auftragseinbrüchen bis zu 30 Prozent", appellierte Arbeitgebersprecher Christian Knill von der Knill-Gruppe in der Oststeiermark. "Wir können uns einen zu hohen Abschluss nicht leisten.

Ab Montag gibt es Protestversammlungen im Schichtbetrieb bis zum nächsten Verhandlungstermin am 2. November. Diese stören den laufenden Betrieb und wirken wie Betriebsunterbrechungen – auch wenn sie offiziell nicht Warnstreiks heißen. Ein Streikbeschluss des ÖGB-Vorstands liegt seit Mittwoch vor. Damit sind gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen abgesichert. Warnstreiks wären der nächste Schritt.

(Luise Ungerboeck, 21.10.2023)