Wirklich vorbei ist die Corona-Pandemie noch nicht, vor allem vulnerable Personen kämpfen weiter mit dem Infektionsrisiko. Für die meisten Menschen in Österreich sind die Erkrankungswellen und das Social Distancing aber nur noch eine unangenehme Erinnerung. Parallel laufen Bemühungen, die Pandemie aufzuarbeiten.

TeilnehmerInnen der Demonstration
Bei den Demonstrationen von Maßnahmengegnern während der Corona-Pandemie stand die Impfung im Zentrum der Kritik.
IMAGO/SEPA.Media

Doch es gibt Gruppen, die das Thema Pandemie nicht loslässt – und die es nicht loslassen wollen: Maßnahmengegner, die der Ansicht sind, dass die Bekämpfung des weltweiten Corona-Ausbruchs nur der Auftakt für noch weit umfassendere Freiheitseinschränkungen und Kontrollen war – und die diesen angeblichen Plänen Widerstand entgegensetzen wollen. Politisch beheimatet sind sie hierzulande unter anderem in der FPÖ, ihre Informationen erhalten sie aus Medien wie FPÖ TV, Auf 1, RTV und Report 24, die vielfach den Rechtsextremen zuzurechnen sind.

"Lockdowns und Impfzwänge"

Im Zentrum ihrer Kritik steht ein Abkommen, das derzeit in der Weltgesundheitsorganisation (WHO) diskutiert wird. Der WHO-Pandemievertrag soll die Welt nach den katastrophalen Erfahrungen mit dem Coronavirus besser auf künftige Pandemien vorbereiten.

Das könne zu umfassenden Zwangsmaßnahmen führen, befürchtet etwa der freiheitliche Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak. Im Zusammenwirken mit den WHO-Gesundheitsvorschriften seien "Lockdowns und Impfzwänge" etwa auch im Fall saisonaler Grippeausbrüche denkbar.

Und nicht nur dann. "Selbst hohe Ozonwerte oder sommerliche Hitzeperioden könnten mit dem überschießenden One-Health-Ansatz massive Einschränkungen nach sich ziehen. Es droht uns also der Corona-Wahnsinn in Dauerschleife", schrieb Kaniak in eine Presseaussendung Ende Juli.

Am 1. Oktober brachten die WHO-Gegnerinnen und -Gegner in Wien mehrere Tausend Menschen auf die Straße. Auf Plakaten ("Nein zu weiteren WHO-Pandemien") und in Sprechchören forderten sie unter anderem den Austritt Österreichs aus der Weltgesundheitsorganisation.

Vertrag soll im März 2024 stehen

Von den obengenannten Medien abgesehen, berichtete über die Kundgebung niemand. Das führte zu geharnischten Mails auch an den STANDARD: "Könnt ihr euch noch in den Spiegel schauen? Von den Klimaterroristen, die aus dem Ausland finanziert werden, bringt ihr ständig irgendwelche blödsinnigen Berichte, aber von einer Demo, wo über 10.000 Menschen gegen die WHO-Diktatur antreten, kein einziges Wort?", erregte sich etwa eine gewisse Carisma von Hagenberg.

Was ist, abgesehen vom Beschimpfen, von dieser radikalen WHO-Gegnerschaft zu halten – und von den Vorbehalten gegenüber dem diskutierten WHO-Pandemievertrag? Fakt ist, dass sich das Regelwerk noch in einem Vorbereitungsstadium befindet. Geplant ist eine Einigung bei der Weltgesundheitsversammlung am 24. Mai 2024. Für die EU-Staaten verhandelt die Europäische Kommission.

Patente, Produkte, Technologieaustausch

Die bisherigen drei Entwürfe umfassten je zwischen 30 und 35 Seiten. In ihnen wird einerseits die Souveränität der Staaten betont – auch gegenüber dem geplanten Regelwerk selbst. Andererseits ist von "sowohl rechtlich bindenden als auch nicht bindenden" Bestimmungen des Vertrags die Rede. Bis dato kann die WHO den Staaten lediglich Empfehlungen erteilen.

Die Umsetzungsregeln für Pandemiemaßnahmen sind jedoch nicht der Kern. Vielmehr geht es zentral um den Zugang zu Patenten und Produkten, um Technologieaustausch und Vorteilsausgleich.

Am 30. Oktober wird ein neuer, überarbeiteter Entwurf des WHO-Pandemievertrags öffentlich gemacht. Laut Fachleuten, die ihn einsehen konnten, beinhaltet er nach wie vor auch einen vieldiskutierten Passus: Im Fall einer Pandemie sollen 20 Prozent der Produktion pandemiebezogener Produkte an die WHO gespendet werden. Sie sollen eingesetzt werden, wo man sie am dringendsten braucht.

Experte Czypionka kritisch

Der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka hält von diesem Plan nicht viel. Die WHO als supranationale Organisation sei für eine bedarfsorientierte Verteilung nicht ideal, sagt er: "Das sollte nach dem Subsidiaritätsprinzip innerhalb kleinerer Staatenverbünde wie der EU oder der Afrikanischen Union oder auch der USA geschehen." Auf dieser Ebene könnten auch Maßnahmen wie Grenzschließungen oder allenfalls Lockdowns weit adäquater koordiniert werden.

Die Furcht vor neuen Lockdown-Zwängen durch den WHO-Pandemievertrag ist laut Czypionka unbegründet. Unkritisch müsse man der Weltgesundheitsorganisation aber nicht gegenüberstehen: "Wie jede übergeordnete Organisation möchte auch sie relevant sein und neigt dazu, Kompetenzen an sich ziehen zu wollen." (Irene Brickner, 24.10.2023)