Nachfrage und Verfügbarkeit von Kokain in der Europäischen Union nehmen seit Jahren zu. Nach einem kurzen Knick im ersten Jahr der Corona-Pandemie konsumierten 2022 rund 3,7 Millionen EU-Bürger das aus Cocablättern gewonnene Rauschmittel. Auch in Österreich ist Kokain nach Cannabis inzwischen die am häufigsten konsumierte illegale Droge. Die Beliebtheit der Substanz liegt in ihrer scheinbar positiven Wirkung: Kokain stimuliert das Belohnungszentrum im Gehirn, wirkt aufputschend, sorgt für Euphorie und vermittelt ein trügerische Gefühl steigender Leistungsfähigkeit. Verantwortlich für den "Kokainkick" ist vor allem die hohe Konzentration der Botenstoffe Dopamin und Serotonin im Gehirn, die die Droge verursacht.

Kokain
Der Kokainkonsum in Europa und auch in Österreich nahm in den vergangenen Jahren zu. Nach Cannabis ist Kokain hierzulande die meistkonsumierte illegale Droge.
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Der Konsum hat allerdings viele Schattenseiten. Kokain hat ein enormes Suchtpotenzial, führt häufig zu psychischen Störungen und Schädigungen des Gehirns. Regelmäßige Konsumentinnen und Konsumenten leben nicht nur mit einem fünffach erhöhten Risiko für Schlaganfälle, ihr Gehirn macht auch einen beschleunigten Alterungsprozess durch: Die graue Gehirnmasse nimmt durch häufigen Kokainkonsum schneller und stärker ab – mit vielfältigen Folgen.

Schwächere Signale

Ein Forschungsteam der Ichan School of Medicine at Mount Sinai in New York hat nun genauer untersucht, wie Kokainsucht die Dopamin-Signalübertragung im Gehirn beeinflusst und welche Folgen das für das Belohnungssystem hat. Wie sie im Fachblatt "Neuron" berichten, verändert die Droge zwar nicht die Erwartungshaltung im Hinblick auf positive Erlebnisse, allerdings senden die Dopamin-Neuronen viel schwächere "Belohnungssignale" aus, wenn sie tatsächlich eintreten. Diese Veränderung erschwere es Abhängigen, das Suchtverhalten zu verändern, schreiben die Forschenden.

Aus früheren Studien ist bekannt, dass Kokainkonsum zwar durch kurzzeitige Erregung des sogenannten mesolimbischen Systems im Gehirn aufheiternd und euphorisierend wirkt. Bei häufigerem Konsum sorgt die Überstimulation aber im Alltag für das Gegenteil: Angenehme Erlebnisse und soziale Interaktionen lösen weniger Freude aus. Das dürfte auch von einer Störung beim Abgleich zwischen aus früheren Erlebnissen abgeleiteten Erwartungshaltungen und dem tatsächlichen Belohnungsgefühl herrühren. Welche Teile des Dopamin-Signalwegs dafür verantwortlich sind, war bislang jedoch unklar.

Für ihre Studie untersuchte das Team um Rita Goldstein mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie die neuronale Aktivität bei Menschen mit Kokainsucht im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen. Dafür mussten die Testpersonen eine einfache Entscheidungsaufgabe ausführen: Sie mussten zwischen einer "sicheren" Geldbelohnung und einer "riskanten" Option wählen, bei der sie entweder einen viel höheren oder einen viel niedrigeren Betrag erhalten konnten. Die Forschenden verglichen die Hirnaktivität zunächst während der Erwartungsphase, in der die Teilnehmer ihre Entscheidung trafen. Im nächsten Schritt analysierten sie die Hirnaktivität während der tatsächlichen Belohnungsphase, als den Teilnehmern das Ergebnis präsentiert wurde.

Neuronale Folgen

Dabei stellte sich heraus, dass die Belohnungserwartung bei beiden Gruppen ähnlich waren. Das Signal für die erhaltene Belohnung war bei den Testpersonen mit Kokainabhängigkeit aber deutlich schwächer. "Das verringerte Belohnungssignal scheint sich auch auf andere Hirnregionen auszubreiten, die diese Informationen erhalten, um dann die Erwartungen für die nächste Situation zu aktualisieren", sagte die Studienerstautorin Anna Konova von der Rutgers University.

Die Untersuchung zeigte auch, dass Menschen mit Kokainsucht im Vergleich zur Kontrollgruppe eher riskante Optionen wählten. Bei Personen, die bereits in einem früheren Alter mit dem Kokainkonsum begonnen hatten, war dies deutlicher ausgeprägt. "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Maßnahmen, die die Wahrnehmung der erhaltenen Belohnungen verbessern, ein wertvoller Bestandteil der Suchtbehandlung sein könnten", sagte Goldstein. Zudem würde die Studie einmal mehr zeigen: "Sucht ist eine Störung und keine Wahl oder moralische Schwäche." (dare, 25.10.2023)