Christoph Daum
Exzentriker, Provokateur und Trainergenie: Christoph Daum.
Sky/Banijay Productions

"Früher", sagt Christoph Daum, war der Gegner auf dem Spielfeld, "jetzt ist er im Körper." Ging es damals um Pokale und Meisterschalen, so geht es jetzt um Leben und Tod. Christoph Daum hat Lungenkrebs, diagnostiziert Mitte des Jahres 2022. Ein Filmteam begleitet Daum zur Chemotherapie, wo der Ex-Fußballtrainer im Krankenbett über seine Kämpfe sinniert, die er immer angenommen und ausgefochten habe. Einer davon betraf Bayern-München-Boss Uli Hoeneß, langjähriges Feindbild Daums – und vice versa Gegner aus Leidenschaft. Zwei Riesenegos, die sich jahrelang duellierten – zur Freude der Medien.

Christoph Daum bei der Chemotherapie.
Christoph Daum bei der Chemotherapie.
Sky/Banijay Productions

Bayern-Trainer als Zielscheibe

So sagte Daum etwa über Bayern-Trainer Jupp Heynckes, dass er Werbung für Schlaftabletten machen könne und eine Wetterkarte interessanter sei als ein Gespräch mit ihm. Das kam beim Bayern-Zampano Hoeneß gar nicht gut an – wie vieles, das Daum im Lauf seiner Trainerkarriere getan hat. Christoph Daum ist der wohl schillerndste Trainer der Deutschen Bundesligageschichte. Jedenfalls ist er eine charismatische Persönlichkeit, die kaum jemanden kalt lässt. Anlässlich seines 70. Geburtstags würdigt ihn Sky mit dem Dokumentarfilm "Daum – Triumphe & Skandale", zu sehen seit Freitag.

Daum – Triumphe & Skandale | Trailer | Sky Original | Sky Österreich
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Cheftrainer mit 32 Jahren

Daums Vita als Trainer ist bemerkenswert, seine Karriere als Spieler hingegen nicht der Rede wert. Über einen Amateurmeistertitel kam er als Kicker nicht hinaus. Nach dem Studium der Sportwissenschaften an der Deutschen Sporthochschule Köln begann Daum seine Karriere als Jugendtrainer des 1. FC Köln, wo er parallel die Strukturen für die Nachwuchsakademie aufbaute. Das wäre er auch geblieben, wenn er nicht gebeten worden wäre, als Co-Trainer der Profimannschaft zu fungieren, erzählt er. Das war in der Saison 1985/86. Danach ging alles sehr schnell. 1986 zum Cheftrainer befördert, rettete er 32-jährig den "Effzeh" vor dem Abstieg, um ihn nur eine Saison später mit Fußballergrößen wie Jürgen Kohler, Pierre Littbarski und Thomas Häßler auf den dritten Platz und damit zum Uefa-Pokal zu führen.

"Am Anfang war der schüchtern", sagt Harald "Toni" Schumacher, der unter Daum das Tor hütete, über seinen Trainer von damals. Erst später sollte er zum lautstarken Polterer und Provokateur werden. Für Jürgen Kohler war Daum anderen Trainern um zehn bis 15 Jahre voraus, sowohl in Sachen Taktik als auch Psychologie und Menschenführung. Zum "Lautsprecher" oder "Maulhelden", wie Daum gerne tituliert wurde, mutiert er erst, als er beim 1. FC Köln den zuvor als Trainer erfolgreichen Udo Lattek als Sportdirektor vorgesetzt bekam.

Legendäres Duell im "Sportstudio"

Um aus Latteks langem Schatten zu treten, musste der Mann mit dem Schnauzer und den eloquenten Formulierungen lautere Töne anschlagen. Von da an gehörten seine Verbalattacken zur psychologischen Kriegsführung. Die Giftpfeile flogen meistens Richtung München und gipfelten in dem Duell mit Uli Hoeneß, das sich die beiden im Jahr 1989 im ZDF-"Sportstudio" lieferten. Der Grund waren Daums Schmähungen, die der Person Jupp Heynckes galten.

Erhitzte Diskussion vor Topduell: Daum vs. Hoeneß 1989 | das aktuelle sportstudio – ZDF
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Meister mit dem VfB Stuttgart

Im Jahr 1990, nach vier Jahren, wurde Daum trotz der sportlichen Erfolge völlig überraschend als Köln-Trainer gefeuert. Der 1. FC Köln wurde zu sehr als FC Daum wahrgenommen, sagt der Namensgeber viele Jahre später über dessen erste Entlassung als Trainer. "Ich kam mir so vor, als wäre meine Familie jetzt weg. Das war so schmerzhaft." Daum heuerte danach beim VfB Stuttgart an. Bereits in seinem zweiten Jahr führte er die Schwaben zum Meistertitel. Daum war dort angekommen, wo er sich immer schon sah: auf dem Thron. Der Fall war umso schmerzhafter. Daum wechselte in der ersten Runde der Champions League im Spiel gegen Leeds United am 30. September 1992 regelwidrig einen vierten Ausländer ein. Erlaubt waren nur drei. Aus Daum wurde "Dumm". Damals habe er den Brief der Uefa zum geänderten Regelwerk nicht gelesen, sagt er heute über seinen Fauxpas.

Fast-Meister mit Bayer Leverkusen

Nach zwei erfolgreichen Jahren – sportlich und finanziell – bei Besiktas Istanbul, wo er zum Pokalsieger und türkischen Meister avancierte, holte ihn im Jahr 1996 Bayer 04 Leverkusen wieder zurück in die deutsche Bundesliga. Seine Spieler mussten über Glasscherben laufen, um ihren Mut unter Beweis zu stellen. Sehr schmerzhaft war aber die letzte Vizemeisterschaft, als Bayer in der letzten Runde eine 0:2-Niederlage bei Aufsteiger Unterhaching zum Verhängnis wurde. Ein Unentschieden hätte bereits genügt, und so fuhr ausgerechnet wieder Daums Erzfeind Bayern München die Meisterschale ein. Der neuerliche Fußballolymp blieb ihm verwehrt.

Daum als designierter DFB-Trainer

Der Ruf, deutscher Nationaltrainer zu werden, ereilte Daum nach dem frühen EM-Aus Deutschlands im Jahr 2000. Sogar Uli Hoeneß plädierte für Daum. Aber es wäre nicht Hoeneß, hätte es nicht einen Hintergedanken dabei gegeben. Er wollte verhindern, dass Bayern Trainer Ottmar Hitzfeld abgeworben werde, erzählt Hoeneß in der Sky-Doku. Der Traum, 2001 das Team von Interimstrainer Rudi Völler zu übernehmen, platzte allerdings mit der Kokainaffäre, die im Film breiten Raum einnimmt. "Scheiß drauf, jetzt probierst es auch einmal aus", rekapituliert Daum heute, was er sich damals gedacht hatte. Nach der Trennung von seiner Frau lebte er in einem Kölner Hotel, wo sich die Schickeria berauschte. Er habe es aber nur vereinzelt und in überschaubaren Mengen konsumiert, betont er.

Die berühmte Haaranalyse

Seine Finger hatte auch wieder Uli Hoeneß im Spiel, der zuvor auf die in Medien kursierenden Gerüchte über Daums Kokainkonsum mit den Worten reagierte, dass dieser nicht Bundestrainer werden könne, sollten sie sich als wahr erweisen. Hoeneß wurde zu Deutschlands Buhmann, Daum als Held stilisiert. Auch weil er immer wieder sagte, mit Drogen nichts am Hut zu haben. Warum er im Oktober 2000 eine freiwillige Haaranalyse machte, erklärt er so: Der letzte Kokainkonsum sei sechs Monate her gewesen, und eine Probe zuvor bei einem befreundeten Arzt habe keinen Hinweis auf das Rauschmittel gegeben. Statt des erhofften Befreiungsschlags kam der Knock-out: Daum wurde überführt, obwohl er zuvor noch von einem "absolut reinen Gewissen" gesprochen hatte. Das sollte sich als folgenschwerer Fehler erweisen. Sonst hätte man ihm vielleicht verziehen.

Christoph Daum mit Haarprobe.
Eine Haaranalyse wurde Christoph Daum zum Verhängnis.
Sky/Banijay Productions

Flucht nach Florida und Trainer bei "Sturm Gras"?

Statt in Bälde Bundestrainer zu werden, flüchtete Daum nach der Haarprobe für zweieinhalb Monate nach Florida. Seine Anwälte hätten ihm geraten, keine Interviews zu geben. Im Jänner 2001 kam er nach Deutschland retour, um erstmals bei einer Pressekonferenz über die Kokainaffäre zu sprechen. Die Haaranalyse sei ein Fehler gewesen, sagte er flapsig und lachend. TV-Entertainer Stefan Raab fragte Daum, ob er Trainer beim österreichischen Erstligisten "Sturm Gras" werde. Daums Aufstieg und Fall war ein gefundenes Fressen für die Medien. Vor Gericht wurde Daum schließlich vom Vorwurf des Erwerbs von und der Anstiftung zum Handel mit Kokain freigesprochen.

"Der Kokser von Wien"

Und so lässt sich Daums Wirken in die Zeit vor und nach der Haarprobe einteilen. Dank Frank Stronachs Millionen verschlug es ihn nach dem Ende des Prozesses nach Wien, wo er mit Austria Wien österreichischer Meister und Pokalsieger wurde. Nach Österreich ging er weniger des Fußballs wegen, sondern aufgrund der Schönheit Wiens, erzählt er. Seine Frau hatte in Wien studiert und drängte ihn, das Angebot der Austria anzunehmen. Daum erinnert sich an die Rapid-Fans, die über den Austria-Trainer "Jeder kennt ihn, den Kokser von Wien" gesungen hatten. Der Abstecher nach Österreich war ein voller Erfolg. Das Double mit der Austria hatte ihn auf den Markt der begehrten Trainer zurückkatapultiert.

Zehn Titel geholt

Daums weitere Stationen waren Fenerbahçe Istanbul, 1. FC Köln, Eintracht Frankfurt, FC Brügge, Bursaspor. Seine große Karriere als Trainer beendete er bei der rumänischen Nationalmannschaft, die er rund ein Jahr lang bis September 2017 betreute. Daums Bilanz als Trainer kann sich sehen lassen: Er hat in drei Ländern mit insgesamt vier Vereinen zehn Titel gewonnen. "Ich habe mir nicht nur Freunde gemacht, aber mit allen Frieden geschlossen", sagt Daum. Auch mit Uli Hoeneß, den er im August 2023 für die Doku wieder traf. Aus der Rivalität von einst sei ein respektvolles Miteinander geworden, sagen beide. Sie hätten sich ausgesprochen.

Uli Hoeneß (links) und Christoph Daum.
Zwei Riesenegos an einem Tisch: Uli Hoeneß (links) und Christoph Daum.
Sky/Banijay Productions

"Ich habe in meinem Leben einiges an Scheiß gebaut", sagte Daum im September 2023, auf dem Krankenbett liegend. Aber die positiven Dinge überwiegen. Sein schwerster Kampf ist allerdings noch im Gange – jener gegen den Krebs. Daum hatte seit der Diagnose 22 Chemotherapien. Laut seinen Ärzten sieht es gut aus, dass er den Kampf gewinnt. (Oliver Mark, 27.10.2023)