Jeder kennt sie, die Bilder von den Deponien Kenias, wo Menschen in meterhohen Müllbergen nach verwertbaren Dingen wühlen, die sie für ein paar Dollar verkaufen können. Plastik ist beliebt bei der Suche, es lässt sich gut zu Geld machen. Und das "Material" geht nicht aus, denn die weltweite Plastikproduktion nimmt stetig zu. Dementsprechend wachsen auch die Herausforderungen mit den Bergen an Plastikmüll.

Der Schweizer Keiran Smith hat vor rund 13 Jahren in Zürich ein Recycling-Unternehmen namens Mr. Green mitgegründet. Nach einigen Jahren hat er dann aber einen neuen Markt entdeckt, einen Markt mit einem viel größeren Abfall- und insbesondere Plastikproblem: Kenia. Gemeinsam mit einem Bekannten hat er 2016 begonnen, das Schwesterunternehmen Mr. Green Africa aufzuziehen. 2020 ging es los.

Eine Frau auf einer Müllhalde.
Das Unternehmen kauft Plastikmüll, den Menschen auf den Straßen Nairobis einsammeln, und verarbeitet ihn zu Granulat.
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Fairtrade-Plastikmüll

Mr. Green Africa kauft Plastikmüll, den Menschen auf den Straßen Nairobis und anderen Städten einsammeln, und verarbeitet ihn zu hochwertigem Granulat. Das recycelte Material wird wiederum an lokale Produzenten verkauft, die beispielsweise Wassertanks daraus herstellen. "Abfälle sind nicht zwingend Abfälle, sondern Wertstoffe. Das müssen viele erst verstehen, für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft ist es aber essenziell", sagt Smith zum STANDARD.

Der Unternehmer will den Fairtrade-Gedanken auf das Geschäft mit Plastik umlegen. "So wie Kleinbauern für Bananen oder Kaffee einen besseren Preis bekommen, erhalten unsere Waste-Picker bis zu einem Drittel mehr für den eingesammelten Müll, verglichen mit dem, was die lokale Industrie zahlt", erzählt der 36-Jährige. Im Schnitt liege der Kilopreis bei Mr. Green Africa zwischen 20 und 30 Cent.

Wer versucht, das Geschäft mit dem Müll in Ostafrika zu verstehen, stößt schnell an seine Grenzen, wie ein Besuch des STANDARD in Dandora, Kenias größter Müllhalde, im Vorjahr gezeigt hat. Das System erinnert an mafiöse Strukturen, "gute" und "schlechte" Sammelgebiete sind klar aufgeteilt, wirklich offen spricht darüber niemand. Mr. Green Africa umgeht Müllhalden, zumindest vorerst. "Wir wollen, dass der Plastikmüll gar nicht erst bis zur Müllhalde kommt, unsere Abnahmezentren befinden sich auch nicht an den Deponien", sagt Smith. Im Umfeld von Müllhalden anzudocken sei zwar angedacht, aber das sei durchaus kompliziert.

Tausende Tonnen Granulat

Auch ohne Material von den Müllhalden erzeugt Mr. Green Africa jährlich rund 4.000 Tonnen Granulat, in der Woche werden dafür 50 bis 80 Tonnen Müll recyclet. In einer Fabrik im Industriegebiet Nairobis unweit vom internationalen Flughafen wird der Müll sortiert, zerhäckselt, gewaschen und getrocknet. 130 Menschen sind Vollzeit angestellt, und das Waste-Picker-Netzwerk beschäftigt rund 4.000 Leute.

Den Wert des Abfalls kennen in Nairobi selbstredend auch andere Unternehmen. Laut Smith stehe man mit denen jedoch in freundschaftlicher Konkurrenz. Der Markt sei jung, das Potenzial riesig, und Müll gebe es genug – vor allem, weil die Infrastruktur zur Abfallbeseitigung mit der Plastikproduktion nicht mitkommt.

Keiran Smith steht mit rotem Hemd vor einer orangen Wand
Keiran Smith war Anfang Oktober in Wien zu Gast und hat bei der Corpor-AID-Konferenz sein Konzept vorgestellt. Er will den Fairtrade-Gedanken auch in die Welt des Plastikmülls bekommen.
ICEP

Mr. Green Africa hat sich indes prominente Geschäftspartner wie Shell, Total Energies und Unilever gesucht. "Mit Unilever haben wir die ersten 100 Prozent lokal recycelten und hergestellten Verpackungen auf den Markt gebracht", sagt Smith. Man stünde in sogenannten Verkaufspartnerschaften mit diesen Konzernen. Das ermögliche es auch, den Sammlern die höheren Preise zu zahlen und die ganze Wertschöpfung lokal zu halten. Wie viel Umsatz Mr. Green jährlich macht, verrät Smith nicht – er bestätigt jedoch eine Größenordnung von fünf Millionen Dollar.

Ein zentrales und heikles Thema beim Müllsammeln in Afrika ist Kinderarbeit. Zahllose Familien und Kinder kämpfen täglich ums Überleben und versuchen alles, um an ein bisschen Geld zu kommen. Kinder werden dann oft zum Müllsammeln geschickt anstatt in die Schule. Kinderarbeit sei für Mr. Green Africa ein No-Go, aber die Kontrolle sei schwierig. "Wer unter 18 ist, kann keinen Müll an uns verkaufen. Unsere Sammler werden geschult und bekommen einen Ausweis, den sie brauchen, um Müll in den Zentren abzugeben", erklärt Smith. Woher diese dann den Müll beziehen, ließe sich kaum kontrollieren, es könne also sein, dass ab und an von Kindern gesammelter Müll dabei ist. Gemeinsam mit NGOs versucht Mr. Green, Familien zu sensibilisieren bzw. Kinder von der Straße wegzubekommen, wenn diese Müll sammeln, anstatt in die Schule zu gehen.

Plastikabkommen

Plastik ist auch politisch ein hochbrisantes Thema. Im November wird es wieder spannend – auch für Smith. Die Verhandlungen für ein Uno-Plastikabkommen gehen weiter. Anfang September hat die Uno einen ersten Entwurf veröffentlicht. Delegierte aus 175 Ländern hatten im Juni in Paris vereinbart, den Entwurf bis Ende November zu verfassen. Ende 2024 soll dann der endgültige Vertragstext fertig sein. Eine zentrale Rolle wird Mr. Green Africa zwar nicht spielen, aber Smith ist dabei – und will seinen Beitrag für das Zustandekommen eines Abkommens leisten. (Andreas Danzer, 27.10.2023)