"Viele Menschen wissen einfach nicht, wie man Dinge richtig reinigt und einen Haushalt sauber hält – ich helfe da gerne weiter“, fasst Sabine Köhler-Grabner ihre Social-Media-Aktivitäten zusammen. Die 35-Jährige ist zurzeit wahrscheinlich Österreichs erfolgreichste Influencerin, wenn’s ums Putzen und Saubermachen geht.

Eine "Cleanfluencerin", wie man so sagt. Durchschnittlich stellt die Sankt Pöltnerin alle zwei Tage unter ihrem Alias "littlelilium" ein selbstgemachtes Video online. Die Reels, die sie meist innerhalb einer Stunde produziert, erfreuen sich dann regen Zuspruchs in ihrer Community.

Sabine Köhler-Grabner
204.000 Menschen folgen Sabine Köhler-Grabner auf Tiktok, wenn sie etwa zeigt, wie man Haushaltsgeräte gut reinigt.
© Christian Fischer

Saubere Arbeit

Angefangen hat das alles während der Corona-Pandemie: "Im ersten Lockdown hab ich mich intensiver mit Tiktok beschäftigt und dabei bemerkt, dass in den Postings gar nicht so wenige Fragen auftauchen, wenn es ums Putzen und Ordnunghalten geht. Da ich ohnehin immer schon geputzt habe, begann ich kleine Handyvideos davon zu machen", erzählt Köhler-Grabner in einer Konditorei in der Nähe ihres Wohnorts. Bei sich zu Hause empfängt die Cleanfluencerin momentan nämlich nur ungern Gäste, denn: "Es schaut ein bisschen aus."

Schmutzscham? Nicht wirklich, versichert sie, aber gleich drei Baustellen im und rund ums Haus, das sie mit Ehemann und Sohn bewohnt, sorgen für außertourliche Unordnung, die dann doch nicht so gerne hergezeigt wird. Mittlerweile folgen Köhler-Grabners Putzhilfestellungen über 87.000 Menschen auf Instagram, und auf Tiktok sind es sogar mehr als 204.000 Follower. Und die wollen sehen, wie Heizkörper fachgerecht gereinigt, Bildschirme schlierenfrei geputzt, Betten korrekt gemacht und Räume richtig gelüftet werden. Natürlich geht’s auch dem Dreck in Küche und Backrohr, Bad und Wanne, Klo und Muschel an den Kragen.

Probleme wegputzen

Genau genommen wird so ziemlich alles gesäubert, was sich so im Köhler-Grabner’schen Heim findet. Authentizität ist ihr dabei wichtig, wie sie betont: "Ich habe kein Pro­blem damit, den Staub und die Spinnweben in meinen Videos zu zeigen."

Eine kleine Spitze (Wischmobbing?) in die Richtung internationaler Cleanfluencer, die ihre Hochglanzwohnlandschaften in scheinbar sterile Sphären geschrubbt haben und perfekt in Szene setzen – nicht selten mit der ganzen Familie.

Die gelernte Einzelhandelskauffrau tut dies nicht, erfindet das Putz- und Haushaltsrad aber auch nicht neu. Wie andere erfolgreiche Insta-Saubermacher und -Saubermacherinnen bietet Köhler-Grabner ihren Followern Kochpläne für die Woche, gibt Motivationshilfen oder fordert zu Putzchallenges auf. Sie bleibt aber stets bodenständig ­unaufgeregt: "Ich hab meine Lehre in einem Elektrofachhandel mit Schwerpunkt Haushaltsgeräte gemacht. Ich hab gelernt, wie man Waschmaschinen und Geschirrspüler fachgerecht auseinandernimmt, kleine Defekte repariert und vor allem wie man sie richtig pflegt", erzählt sie. Beste Voraussetzungen also, um ein sehr fruchtbares Social-Media-Feld zu beackern.

Denn in den letzten Jahren wurden Putzen und Ausmisten respektive Influencern beim Putzen und Ausmisten zuzuschauen ziemlich populär. Über neun Millionen Beiträge sind auf Instgram mit dem Hashtag "cleaning" versehen, auf Tiktok sind es gar 75,6 Milliarden. Aber warum, bitte?

Man könnte jetzt kurz ausholen und die japanische Entrümpelungskönigin Marie Kondo aufs Tapet bringen. Sie traf 2019 mit ihrer Ausmistserie auf Netflix einen Nerv, versprach Seelenheil durch Ordnungsprinzipien und versprühte Freude. Cleanfluencer drehen das nun weiter, indem sie wild drauflos putzen. Zudem befeuerte die Covid-Pandemie den neu entdeckten Putzdrang wohl noch zusätzlich. Man war plötzlich zu Hause, hatte mehr Zeit und ein sensibilisiertes Bewusstsein dafür, was Sauberkeit auch abseits vom Händewaschen betrifft. In einer völlig unberechenbar gewordenen Welt wurde Putzen zum Mittel, um seine Sehnsüchte nach Ordnung zu stillen. Eine Art therapeutisches Versprechen, das für Stabilität sorgt und mit dem sich die Probleme da draußen, die jetzt auch nicht weniger geworden sind, einfach wegputzen lassen. Angenehmer Nebeneffekt: Ist man am Ende mit dem Wischiwaschi fertig, fühlt man sich auch noch gut.

Wonne ohne Wanne

"Nachwonne" nennt die deutsche Kultur- und Kunstwissenschafterin Stefanie Mallon, die unter anderem intensiv zum Thema Ordnung/Un-Ordnung forscht, dieses Gefühl. Die Wissenschafterin, die derzeit in Göttingen lehrt, holt aus, um den Erfolg der Cleanfluencer zu erklären. Vor allem weil der Schmäh nicht ganz neu ist: "Ratgeberliteratur zum Thema Haushaltshilfe hat sich stets sehr gut verkauft. Sie wurde auch sehr gerne gelesen. Aber die Schwelle, nach der Lektüre aktiv zu werden und sich dann daran zu halten, ist nicht gerade klein."

Das hat sich beim Medienwechsel vom Buch zu Online-Plattformen nicht wirklich geändert. "Cleanfluencer müssen ihre Follower zu einem gewissen Grad auch motivieren mitzumachen, wenn sie ihren fundamentalen Ordnungstrieb als etwas Lebensbejahendes verkaufen", so die Expertin, die auch auf ein psychologisches Detail hinweist, das als weiteres Puzzleteil zur Erklärung des Putzhypes herhalten kann: "Man muss gar nicht selber putzen, damit sich Glücksgefühle einstellen. Es reicht oft, wenn man zusieht wie das andere machen."

Das geht so weit, dass Videos, bei denen lediglich Putzgeräusche zu hören sind, beim Publikum wohlige Schauer auslösen. Fast fünf Milliarden dieser ASMR-Videos (Autonomous Sensory Meridian Response) zum Thema Putzen finden sich auf Tiktok. Hier hört (und sieht) man, wie Schwämme über Herde schrubben, Wischmopps auf Fliesenböden klatschen oder Kelim-Teppiche gekärchert werden.

Die einen bekommen Gänsehautfeeling bei Putzklängen, die anderen, wenn sie die Kassa klingeln hören. Die Speerspitze der Influencer-Putzbrigade verdient Millionen. Dass dabei die Aufmerksamkeit auf eine Tätigkeit gelenkt wird, die ­üblicherweise im Verborgenen passiert, unsichtbar bleibt und auch noch schlecht bezahlt wird, lässt sich auch als grimmige Pointe des Zeitgeists interpretieren.

Morgenroutine Putzen: Die deutsche Cleanfluencerin Jennifer Schulz hat 340.000 Follower.

Mit Ka-Ching zurück!

Eine der erfolgreichsten Cleanfluencerinnen ist Sophie Hinchliffe. Seit fünf Jahren säubert die Britin auf Social Media Haus und Hof. Als "mrshinchhome" hat sie auf Instagram rund 4,7 Millionen Follower, die sie als ihre "Hinch-Armee" bezeichnet. Bevor sie sich steil nach oben schrubbte, arbeitete die 33-Jährige als Teilzeitkraft in einem Friseursalon. Drei Millionen Pfund soll sie mittlerweile pro Jahr mit Postings, einschlägigen Büchern oder lukrativen Werbedeals wie etwa mit Procter & Gamble verdienen. Anfang des Jahres veröffentlichte sie ihr erstes Kinderbuch, das davon erzählt wie sie mit ihrer Familie einen Umzug meistert. Spätestens mit dem Cover dieses Bilder­buchs wird deutlich, dass hier eine spießige Biederkeit mitverkauft wird, die man so auch schon lange nicht mehr gesehen hat. "Cleanfluencer inszenieren in bonbonfarbener Ästhetik eine Welt, in der alle sauber und glücklich sind. Ordnung ist hier das ganze Leben", meint etwa Stefanie Mallon.

Auch die Wissenschaft ist auf den Putztrip gekommen und analysiert das Treiben der Picobelloperfektionisten. Und findet nicht wenig Kritisches dabei. So erschien heuer im März in The Sociological Review ein Artikel, der aufdröselt, dass Cleanfluencer hauptsächlich junge, verheiratete Frauen sind, die Hausarbeit und tradierte Rollen als erstrebenswert neu verpacken. Das fördert – so eine der Thesen – die Bereitschaft junger Frauen, unbezahlte Hausarbeit zu über- und als gegeben hinzunehmen. Hausarbeit bekommt ein fesches Reframing als gangbarer Weg zu einem lustigen, glamouröseren Alltag, der inneren Frieden und geistige Gesundheit verspricht und obendrein noch die Möglichkeit bietet, unternehmerisch tätig zu werden – Insta-Ruhm inklusive.

Ein Backlash

Dass das Cleanfluencer-Universum mehrheitlich weiblich ist – männliche erfolgreiche Putzteufel muss man suchen – und die Videos vorwiegend von Frauen konsumiert werden, verschärft die Situation zusätzlich. Das führt – so die britische Analyse – zu dem Resultat, dass das, was sich vordergründig als neue, positive Hausarbeitsbewegung präsentiert, in Wirklichkeit traditionelle, geschlechtsspezifische Rollenverteilung verstärkt bzw. wiederbelebt. Ein Backlash, der dann leider nicht mehr ganz so putzig ist und alte Familienordnungen wiederherstellt. Sauber. (Manfred Gram, 28.10.2023)