Um die negativen Auswirkungen der Klimaveränderungen möglichst gering zu halten, gilt es, viele verschiedene Parameter im Auge zu behalten. Eine Größe sticht aber in ihrer Bedeutung besonders heraus: das verbleibende Kohlenstoffbudget, auf Englisch "remaining carbon budget", daher auch unter der Abkürzung RBC geläufig. Dieses drückt die Menge an CO2 aus, die noch emittiert werden kann, ohne eine bestimmte Erwärmungsschwelle zu überschreiten. RBC ist daher auch der wesentliche Parameter für die Planung von Klimaschutzmaßnahmen, die im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen stehen, wonach die globale Erwärmung auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden soll.

Wie eine neue Studie zeigt, müssen bisherige Schätzungen des verbleibenden Kohlenstoffbudgets aber drastisch revidiert werden. Tatsächlich dürfen wir nur noch viel weniger Treibhausgase emittieren, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen, berichten Forschende im Fachblatt "Nature Climate Change".

Windräder
Die Abkehr von fossiler Energie und die Hinwendung zu erneuerbaren Quellen erfolgt langsamer, als es für das Erreichen des Pariser Klimaziels notwendig wäre.
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Bedeutende Korrekturen

Wenn sich die Ergebnisse der aktuellen Studie, die auf einer Neubewertung bestehender Schätzungen basiert, bestätigen, sind die bisherigen Abschätzungen des verbleibenden Kohlenstoffbudgets nicht nur ein bisschen daneben gelegen, sondern massiv. Trotz ihrer Bedeutung für politische Maßnahmen und Kommunikation mit der Öffentlichkeit ist die Berechnung des RBC mit großen Unsicherheiten verbunden.

Indem Klimaforschende um die Studienhauptautoren Robin Lamboll vom Imperial College in London und Joeri Rogelj vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien einen aktualisierten Datensatz heranzogen und eine neue Methodik zur Schätzung des verbleibenden Kohlenstoffbudgets entwickelten, kamen sie auf einen völlig anderen Wert als der aktuellste Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC, der bislang als Referenzwert galt.

250 Gigatonnen statt 500 Gigatonnen

Während im IPCC-Sachstandsbericht das verbleibende Kohlenstoffbudget mit 500 Gigatonnen beziffert wurde, sieht die aktuelle Studie lediglich 250 Gigatonnen weiterer Emissionen vor, die noch möglich sind, um das 1,5-Grad-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent zu erreichen. Bei gleichbleibendem Ausstoß der globalen Treibhausgasemissionen wäre dieses Budget bereits in sechs Jahren aufgebraucht und das 1,5-Grad-Ziel endgültig verfehlt. "Unsere Ergebnisse bestätigen, was wir bereits wissen: Wir tun nicht annähernd genug, um die Erwärmung unter 1,5 Grad Celsius zu halten", sagt Studienautor Lamboll.

Auch für das Zwei-Grad-Ziel würde sich das Zeitfenster demnach schneller schließen als bisher angenommen: In der neuen Studie wird das verbleibende Kohlenstoffbudget mit 940 Gigatonnen beziffert (laut IPCC waren dies noch 1150 Gigatonnen CO2). Bei gleichbleibenden Emissionen wäre das Kohlenstoffbudget in 23 Jahren erschöpft.

Unkontrollierbare Prozesse

In diesem Fall würde auch das Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen, verfehlt und damit jenes klimatische Fenster verlassen werden, in dem sich die Menschheit seit Jahrtausenden bewegt – mit möglicherweise unkontrollierbaren und sich selbstverstärkenden Prozessen.

In der Fachwelt sorgt die Studie naturgemäß für Aufsehen. "Obwohl die Ergebnisse auf den ersten Blick wie eine radikale Abweichung von den Ergebnissen des sechsten Sachstandsberichts des IPCC erscheinen mögen, ist die Korrektur der Budgets nach unten vor allem eine Folge neuer Daten und methodischer Aktualisierungen", sagt etwa Gabriel Abrahão vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der nicht an der Studie beteiligt war. "Ein großer Teil der Senkung der Kohlenstoffbudgets ergibt sich aus der einfachen Tatsache, dass die Menschheit seit der Veröffentlichung des bislang letzten Budgets weiterhin jedes Jahr rund 40 Gigatonnen CO2 ausstößt."

Unsicherheiten berücksichtigen

Studienautor Joeri Rogelj, der sowohl am IIASA wie auch am Imperial College London tätig ist, betont: "Diese Aktualisierung des CO2-Budgets ist sowohl erwartet als auch im Einklang mit dem neuesten UN-Klimabericht." Für Rogelj zeigt die Studie weiters, "wie wichtig es ist, nicht nur zentrale Schätzungen zu betrachten, sondern auch die damit verbundene Unsicherheit zu berücksichtigen".

Obwohl die Grundzüge des Treibhauseffekts seit vielen Jahrzehnten klar sind, ist die Schätzung des verbleibenden Kohlenstoffbudgets mit zahlreichen Unsicherheiten behaftet, wie auch Tatiana Ilyina, Professorin an der Universität Hamburg, die nicht an der Studie beteiligt war, betont: "Schätzungen des verbleibenden Kohlenstoffbudgets gehen immer mit Unsicherheiten einher, da zugrundeliegende Unsicherheiten im Zusammenhang mit den gemeldeten Treibhausgasemissionen – CO2 und Nicht-CO2-Gase –, dem Verständnis der Rückkopplungen des Erdsystems und dem Effekt der Aerosole bestehen." Daher sei eine regelmäßige und strenge Bewertung der verbleibenden Kohlenstoffbudgets notwendig, die alle Beweislinien und alle Methoden umfasse. Ilyina fordert daher eine Art Überwachungssystem für Treibhausgase, das sämtliche Beobachtungs- und Vorhersagemethoden für Treibhausgasemissionen vereint, "um laufende Maßnahmen – oder Unterlassungen – zu verfolgen".

Überwältigende Evidenz

Auch Klaus Hubacek von der Universität Groningen in den Niederlanden, der ebenfalls nicht an der Studie beteiligt war, ist es wichtig festzuhalten, dass derartige Korrekturen nicht das Vertrauen in die Klimaforschung erschüttern sollten. "Während Studien wie die vorliegende wichtig und akademisch interessant sind, sollten sie angesichts der überwältigenden Evidenz und der Dringlichkeit politisch keinen Unterschied mehr machen", sagt Hubacek. "Die Forschung muss sich auf Mechanismen konzentrieren, die uns daran hindern, dringende Maßnahmen zu ergreifen."

Darüber hinaus spricht er sich dafür aus, dass sich die Klimaforschung auch verstärkt der Frage der Anpassung an Klimafolgen widmen sollte. "Leider brauchen wir jetzt immer mehr Forschung zur richtigen Anpassung, da wir es vermasselt haben, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten", sagt Hubacek. (Tanja Traxler, 30.10.2023)