"Wir tragen auf unseren Schultern die historische Verantwortung, die Demokratie der wechselnden Mehrheiten zu konsolidieren und Italien endlich in die dritte Republik zu führen", erklärte Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni am Wochenende nicht ganz ohne Pathos. Mit einer Verfassungsreform soll "ein neues Kapitel in unserer Geschichte" aufgeschlagen werden, in welchem die Exekutive stabiler und das Regieren effizienter würde.

Italiens Präsident Sergio Mattarella (li.) genießt höchstes Ansehen, dennoch hätte Giorgia Meloni (re.) gerne mehr macht in ihrem Amt als Regierungschefin.
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Den Weg in die "dritte Republik" (die Zahl erhöht sich mit jeder Verfassungsänderung – die bislang letzte erfolgte 2001) soll laut Meloni die Direktwahl des Regierungschefs oder der Regierungschefin weisen, begleitet durch ein Mehrheitswahlrecht. Das bisherige Wahlsystem enthält sowohl Proporz- als auch Mehrheitskomponenten.

Das Ziel der Reform ist klar: Die Position des Regierungschefs soll gestärkt werden – auf Kosten des Staatspräsidenten, dem in Italien bei der Regierungsbildung und vor allem auch bei den häufigen Regierungskrisen die Schlüsselrolle zukommt. Der Präsident ernennt den Premier und auf Vorschlag von diesem die Minister; gleichzeitig hat er die alleinige Befugnis, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben.

Ein besserer Notar?

Laut Meloni und anderen Vertretern der Rechtsregierung wird er diese Befugnisse zwar behalten, aber insbesondere bei der Nominierung des Premiers wird er keine Wahlfreiheit mehr haben: Aus dem Präsidenten droht eine Art Notar zu werden, der bei der Regierungsbildung einfach noch seine Unterschrift leistet.

Die Opposition ist alarmiert: Mit der Reform soll "das Parlament entmachtet", die "Verfassung entkernt" und an der Spitze des Staates wieder ein "uomo solo al comando", also ein alleiniger Führer installiert werden, betonte der Ex-Premier und heutige Chef der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung Giuseppe Conte. Als "gefährlich und konfus" wurde das Vorhaben von der liberalen Mitte-Partei "+Europa" bezeichnet. Elly Schlein, Chefin des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) und damit der größten Oppositionspartei, schloss eine Zustimmung zur Reform ebenfalls kategorisch aus.

Die Abwehrhaltung der Opposition ist verständlich: Den "uomo solo al comando" hat Italien schon einmal gehabt, in den finsteren Zeiten mit dem faschistischen Diktator Benito Mussolini. Dass Meloni ihre gesamte politische Karriere in postfaschistischen Bewegungen und Parteien verbracht hat, trägt ebenfalls nicht zur Beruhigung der Gegner bei. Andererseits ist die Direktwahl des Premiers nicht a priori ein autoritäres oder gar faschistisches Anliegen: Die früheren Regierungschefs Silvio Berlusconi und Matteo Renzi (damals Chef des PD) hatten ebenfalls Verfassungsreformen vorgelegt, in denen die Direktwahl vorgesehen war. Beide sind in den Volksabstimmungen jeweils krachend gescheitert.

Heikles Projekt

Dasselbe Schicksal könnte auch Melonis Reform erleiden. Wie groß die Gefahr des Scheiterns ist, wird in erster Linie davon abhängen, wie stark die Macht des Staatspräsidenten tatsächlich beschnitten werden soll: Das Staatsoberhaupt genießt bei den italienischen Wählerinnen und Wählern eine enorme Sympathie, weil die jeweiligen Präsidenten als überparteiliche Garanten von Demokratie und rechtsstaatlicher Ordnung wahrgenommen werden – ganz im Unterschied zur Regierung. Der aktuelle Amtsinhaber Sergio Mattarella genießt laut Umfragen das Vertrauen von über 70 Prozent der Bevölkerung; Giorgia Meloni kommt als beliebtestes Regierungsmitglied auf 40 Prozent Zustimmung.

Meloni weiß, wie schwer es Staatsreformen in Italien haben, wenn der Staatspräsident angetastet werden soll, und so wird sie sich am kommenden Freitag, wenn die Regierung die – im Detail noch nicht veröffentlichte – Vorlage diskutieren und möglicherweise auch verabschieden wird, vor einem allzu forschen Vorgehen hüten. Ihre Vorsicht zeigt sich bereits beim Datum des geplanten Inkrafttretens der Reform: Dieses ist für 2029 geplant, also bei Ablauf der zweiten Amtszeit Mattarellas. Niemand soll ihr vorwerfen können, dass sie mit der Reform das geliebte amtierende Staatsoberhaupt entmachten wolle. (Dominik Straub aus Rom, 31.10.2023)