Auf Tiktok und Co kursiert unfassbar viel antisemitische und skurrile Propaganda über den Krieg in Nahost.
Auf Tiktok und Co kursiert unfassbar viel antisemitische und skurrile Propaganda über den Krieg in Nahost.
APA/MAX SLOVENCIK

Der junge Mann schaut ernst in die Kamera und greift zu einem Papiersackerl von McDonald’s. Unterlegt ist das Video mit düsteren Klängen. Er zieht einen Burger hervor – verpackt in einem Papier, auf das die israelische Flagge gedruckt ist. Nachdem er in den Burger hineingebissen hat, lässt er flüssiges Ketchup aus seinem Mund rinnen. Wie Blut. Dann wischt er sich betroffen mit einem Palästinensertuch sauber.

Es kursieren derzeit unzählige Tiktok-Videos dieser Art. Junge Menschen sollen damit zum Boykott sämtlicher Waren aufgerufen werden, von denen die israelische Wirtschaft angeblich direkt oder indirekt profitiere. Der US-Schnellrestaurantbetreiber McDonald’s kommt häufig vor, auch zahlreiche andere US-amerikanische Lebensmittelmarken werden immer wieder genannt. Wer sich auf Plattformen wie Tiktok über die Lage in Israel und Gaza informieren möchte, landet schnell bei teils skurriler Propaganda.

Auch auf Österreichs Straßen sind Aufrufe zum Boykott längst Realität. Stellvertretend dafür steht die internationale Bewegung Boycott, Divestment, Sanctions (BDS), die seit 2014 auch hierzulande regelmäßig Kundgebungen abhält. Die antisemitische Gruppe setzt sich aus einem links-islamistischen Milieu zusammen. Sie hält Israel für einen "Apartheitsstaat".

Hass und abgerissene Flaggen

Im Februar 2020 unterstützten alle Nationalratsparteien geschlossen einen Antrag, der sich gegen Antisemitismus und die BDS-Bewegung richtete. Die Gruppe und ihre Ausrichtung wurden darin vehement verurteilt. Die Bundesregierung ist seither aufgefordert, Veranstaltungen des BDS weder finanziell noch anderweitig zu fördern.

Hass auf Israel ist in Österreich aktuell jedoch so spürbar wie schon lange nicht mehr. In den vergangenen Wochen wurden in mehreren österreichischen Städten immer wieder Israel-Flaggen von Masten gerissen. Die Flaggen wurden nach dem Angriff der Hamas aus Solidarität mit Israel an vielen öffentlichen Orten gehisst. Vor dem Alten Rathaus in Linz wurde sie Montagfrüh nun bereits zum dritten Mal heruntergerissen. Getan sollen das zwei Studenten haben – Österreicher ohne Migrationshintergrund, wie erklärt wurde –, die zuvor den Portier beschimpft hatten, der sie hissen wollte. Bei den Vorfällen davor sollen syrische Jugendliche die Flagge vom Mast gerissen haben. Nachts wird die Flagge in Linz mittlerweile schon präventiv abgenommen.

Am Wochenende demonstrierten in Salzburg und Bregenz mehrere Hundert Menschen für Palästina und eine Waffenruhe; an der Universität Wien kam es zu Beschmierungen, bei denen Israel auf Deutsch und Englisch "Apartheid" sowie "Genozid" vorgeworfen wird.

Regierung so klar wie nie

Die österreichische Bundesregierung ist in ihrer bedingungslosen Unterstützung Israels hingegen so klar wie nie – insbesondere die Kanzlerpartei ÖVP. Gerade hat Österreich als einer von wenigen Staaten eine UN-Resolution für eine Waffenruhe abgelehnt. Bundeskanzler Karl Nehammer steht felsenfest hinter diesem Vorgehen. Die Grünen gaben sich zurückhaltend bis skeptisch.

Warum deklariert sich die Volkspartei so deutlich? Und was ist die konkrete Position der Grünen? Ein Überblick.

Die Position der ÖVP zu Israel: Bundeskanzler Nehammer lässt keinen Zweifel an seiner Positionierung. Nachdem Österreich die UN-Resolution abgelehnt hatte, erklärte er via X: "Eine Resolution, in der die Terrororganisation Hamas nicht beim Namen genannt wird, in der die Gräuel der Hamas vom 7. Oktober nicht verurteilt werden und in der Israels völkerrechtlich verankertes Recht auf Selbstverteidigung nicht festgehalten wird – so einer Resolution kann Österreich nicht zustimmen." Deutschland hatte sich bei der Abstimmung etwa bloß enthalten.

Es war Sebastian Kurz, der die Beziehungen zu Israel und dem damaligen wie aktuellen israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu deutlich intensivierte. Der frühere ÖVP-Chef und Kanzler hatte auch die Praxis eingestellt, bei Israel-Reisen zur Palästinenserregierung zu fahren.

Nehammer führt die Linie, die unter Kurz etabliert wurde, fort. Die Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle wundert das nicht. Einerseits gebe es unter Karl Nehammer eine "gewisse Kontinuität seit Kurz, was Berater und das Kommunikationspersonal angeht", sagt sie. Darüber hinaus sei die klare Positionierung pro Israel auch eine "Abgrenzung zur SPÖ, die immer wieder an die Beziehungen von Bruno Kreisky zu PLO-Führer Yassir Arafat erinnert". Nicht zuletzt, sagt Stainer-Hämmerle, gehe es auch um Wählerzielgruppen: "Menschen mit etwa arabischem Migrationshintergrund möchte eher die SPÖ ansprechen als ÖVP." Die Volkspartei könne von einer weniger deutlichen Positionierung also auch am Wählermarkt schlichtweg nicht profitieren.

Die grüne Position zu Israel: Bei den Grünen nimmt man die jüngsten türkisen Vorstöße recht locker. Die Kanzlerpartei stehe merklich unter Druck. Nach der vieldiskutierten Attacke von Jugendlichen auf eine Israelflagge am Wiener Stadttempel vor rund einer Woche würden sich Nehammer und Co dazu gezwungen sehen, sich als Macher zu präsentieren. Immerhin sei es nur wenige Tage nach der Erhöhung der Terrorwarnstufe zu dem Vorfall gekommen. Und das, obwohl Innenminister Gerhard Karner zuvor versichert hatte, dass jüdische Einrichtungen besonders geschützt werden. Wenig später forderte Karner härte Strafen für Flaggenzerstörer.

Weniger nachvollziehbar ist für die Grünen, dass die ÖVP bei der UN-Resolution einen Alleingang zelebriert und sie darüber nicht informiert hatte. Beim Juniorpartner gibt es durchaus Stimmen, darunter die außenpolitische Sprecherin Ewa Ernst-Dziedzic, die sich für den deutschen Weg entschieden und sich damit enthalten hätten. Grund für einen innerkoalitionären Streit bietet diese türkise Episode allerdings nicht.

Im Gegenteil. So mancher Grüner ist sich bewusst, dass die Kanzlerpartei zwar gerade Österreichs Außenpolitik innerkoalitionär vorgibt und damit im Inland zeitgleich polarisiert. Das liege allein schon daran, dass die Grünen kein Ministerium anführen würden, das passe. Das Außenministerium ist in türkiser Hand, darüber hinaus sei Vizekanzler Werner Kogler "kein ausgewiesener Außenpolitiker", wie es ein Grüner formuliert.

In der aktuellen Situation stehen die Grünen ganz klar hinter Israel. Auch des Herunterreißen der Israelfahne des Stadttempels kritisierte Kogler lautstark. Bei manchen Grünen besteht allerdings sehr wohl der Wunsch, die verheerende Situation in Nahost innerparteilich stärker zum Thema zu machen. In der Partei wähne man sich aber in einer Zwickmühle: Man will den Krieg nicht aussparen, aber auch die Polarisierung nicht weiter anheizen. "Wir trauen uns aktuell nicht, weil wir nicht wissen, wohin sich der Diskurs bewegt und das alles auch der FPÖ zugutekommen könnte", sagt ein Funktionär. (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, 30.10.2023)