Schreiende Frau
Wut hat in unserer Gesellschaft nicht den besten Ruf. Eine neue Studie legt nun nahe, dass die Emotion in gewissen Situationen aber auch von großem Nutzen sein kann.
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Einmal tief durchatmen, zur Ruhe kommen, und dann geht jede Aufgabe leichter von der Hand. Diese Überzeugung hat als Ratschlag viele von uns durch Schul- und Studienzeit begleitet. Selbst in der Arbeitswelt gilt Besonnenheit ob schwieriger Herausforderungen als wünschenswert. Eine neue Erhebung der Texas A&M University könnte diese Annahmen nun allerdings Lügen strafen.

Wie die Forschenden in einer Untersuchung mit mehr als 1.000 Probandinnen und Probanden herausfanden, helfen negative Emotionen wie Wut und Ärger beim Lösen kniffliger Aufgabenstellungen. Wer diese mit einer gewissen Wut im Bauch anging, erzielte bessere Ergebnisse als jene Teilnehmenden, die emotional neutral blieben. Zusätzlich analysierte Umfragedaten von mehr als 1.400 Personen zu ihrem Wahlverhalten in den Jahren 2016 und 2020 stützten die Annahme, dass Wut motivierend wirken kann.

Besser als ihr Ruf

"Unsere Ergebnisse zeigen, dass Wut die Anstrengung erhöht, ein gewünschtes Ziel zu erreichen, was häufig zu größerem Erfolg führt", sagte Heather Lench, Erstautorin der Studie. Zwar sei die Ansicht, dass positive Emotionen ideal für die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden sind, in psychologischen Darstellungen von Emotionen vorherrschend. "Frühere Untersuchungen deuten aber darauf hin, dass eine Mischung von Emotionen, einschließlich negativer Emotionen wie Wut, zu den besten Ergebnissen führt", hält Lench fest. Erschienen ist die Studie im Fachblatt "Journal of Personality and Social Psychology".

Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter wählten für ihre Studie bewusst eine Emotion als Untersuchungsgegenstand, die gesellschaftlich ein eher negatives Image hat. Häufig werde sie als etwas diskutiert, das reguliert oder kontrolliert werden sollte. Das gehe so weit, dass Menschen sogar Geld für Coachings bezahlen, in denen sie lernen, Wut gar nicht erst zu erleben. Dabei zeigen vorangegangene Studie, dass negative Emotionen für das Lösen von Herausforderungen ebenfalls große Bedeutung haben. Demzufolge lassen sich die besten Ergebnisse erzielen, wenn ihnen mit einer Mischung von positiven und negativen Emotionen begegnet wird.

Videospiel und Anagramme

In insgesamt sieben Studiendurchgängen untersuchte das US-amerikanische Team, wie sich Wut auf die Leistung auswirkt. Bei allen sieben Teiluntersuchungen konnte es feststellen, dass die negative Emotion bei herausfordernden Aufgaben zu einem besseren Erreichen der gesetzten Ziele führte. In einem Experiment wurden den teilnehmenden Personen Bilder gezeigt, die Wut, Belustigung, Verlangen, Traurigkeit oder keine besondere Emotion hervorrufen. Die Wirkung dieser Bilder auf die Teilnehmenden wurde schon vor dem Test abgefragt und festgehalten.

Nachdem die Probandinnen und Probanden mithilfe der Bilder in die jeweilige Gefühlslage versetzt worden waren, sollten sie eine Reihe von Anagrammen lösen. Während sich bei einfachen Anagrammen kein Unterschied zeigte, schnitten die wütenden Testpersonen bei kniffligen Anagrammen deutlich besser ab. Eine mögliche Erklärung ist die größere Beharrlichkeit, die sich bei den von Wut getriebenen Menschen feststellen ließ. In einem weiteren Experiment sollten die teilnehmenden Personen in einem Ski-Videospiel Flaggen ausweichen und eine möglichst hohe Punktezahl erreichen. Auch hier schnitten die wütenden Spielerinnen und Spieler besser ab als neutral gestimmte oder traurige Personen.

Ebenbürtig waren den Wütenden beim virtuellen Skifahren jene Personen, die sich in einem Zustand des Verlangens oder der Belustigung befanden. "Dieses Muster könnte darauf hindeuten, dass allgemeine körperliche Erregung einen Vorteil für die Spielergebnisse hatte", schreiben die Forschenden des Department of Psychological and Brain Sciences. Bei einem einfacheren Videospiel wurden jedoch keine derartigen Leistungsunterschiede festgestellt.

Mehr Energie – auch krimineller Art

Ein Experiment deutete darauf hin, dass Wut im Vergleich zu den anderen Emotionen – außer Belustigung – das Ausmaß der Betrügereien bei Aufgaben erhöhte. In einem weiteren Teil der Studie konnte Wut mit einer kürzeren Reaktionszeit beim Lösen der gestellten Aufgabe verbunden werden. Wie motivierend Wut wirken kann, belegten auch die Auswertungen von Umfragen rund um die US-Wahlen 2016 und 2020. Waren Menschen dabei über den hypothetischen Sieg eines Kandidaten wütend, den sie nicht unterstützten, machten sie sich bei der folgenden Wahl eher zur Urne auf. "Diese Ergebnisse zeigen, dass Wut die Anstrengung steigert, ein gewünschtes Ziel zu erreichen, was häufig zu größerem Erfolg führt", erläuterte Lench.

Die anspornende Wirkung von Wut zeigte sich der Wissenschafterin zufolge besonders deutlich in Situationen, in denen anspruchsvolle Situationen zu lösen waren. Für das Forschungsteam liegt damit nahe, dass als negativ angesehen Emotionen durchaus vonnutzen sein können. "Menschen nutzen oft lieber positive als negative Emotionen als Werkzeuge und neigen dazu, negative Emotionen als unerwünscht und unpassend zu betrachten", sagt sie. Die nun vorliegenden Ergebnisse lieferten aber einen Beweis, dass ein Mix positiver und negativer Emotionen das Wohlbefinden fördere. Sie zeigen Lench zufolge auch, "dass der Einsatz negativer Emotionen als Hilfsmittel in manchen Situationen besonders effektiv sein kann". (Marlene Erhart, 2.11.2023)