Es war ein zähes Ringen auf den Parteitag der sozialdemokratisch-kemalistischen Opposition, doch am Ende siegten die Erneuerer. Kemal Kılıçdaroğlu, seit 13 Jahren Chef der CHP und als Herausforderer von Präsident Recep Tayyip Erdoğan wiederholt an diesem gescheitert, muss das Feld für Özgür Özel räumen.

Özgür Öcel jubelt über seinen Sieg bei der Wahl der neuen CHP-Führung.
AFP/ADEM ALTAN

Die letzte Niederlage von Kılıçdaroğlu im Mai dieses Jahres – als Erdoğan gegen jede Wahrscheinlichkeit dennoch gewann – war eine zu viel. Schon unmittelbar nach der Riesenenttäuschung forderte ein großer Teil der Partei den Rücktritt von Kılıçdaroğlu, doch der 74-jährige CHP Chef wehrte sich mit allen zur Verfügung stehenden Tricks.

Unterstützt von der alten Garde der Partei, tat er alles, um seinen prominentesten Kontrahenten, den Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu, zu verhindern. Der muss im kommenden März bei den Kommunalwahlen um seine Wiederwahl kämpfen und hat außerdem mehrere Verfahren am Hals, mit denen ihn Erdoğan schon vor den Präsidentschaftswahlen aus der Politik verbannen wollte.

Neue Generation übernimmt

Dazu der Widerstand Kılıçdaroğlus, die Parteiführung an ihn zu übergeben: Das führte letztlich dazu, dass statt İmamoğlu der bisherige Geschäftsführer der CHP-Parlamentsfraktion, Özgür Özel, gegen Kılıçdaroğlu antrat. Der 49-jährige Özel repräsentiert wie İmamoğlu die neue Generation der CHP: weniger ideologisch als die alte Garde, hungriger auf Erfolg; eine Generation, die sich nicht mehr damit zufriedengeben will, einige Bürgermeister zu stellen und ansonsten im Parlament von Erdoğan vorgeführt zu werden.

Özel ist von Haus aus Apotheker. Er stammt aus der westtürkischen Provinz Manisa und lebt mit seiner Frau, die ebenfalls Pharmazeutin ist, in Izmir, einer Hochburg der CHP, die Erdoğan nie für sich gewinnen konnte. Bevor er 2011 ins Parlament gewählt wurde, war Özel Vorsitzender der türkischen Apothekervereinigung.

Özgür Öcel und Kemal Kılıçdaroğlu
Shakehands zum Abschied: der neue Parteichef Özgür Öcel (links) und der alte, Kemal Kılıçdaroğlu.
via REUTERS/ALP EREN KAYA/CHP

Im Parlament hat Özel sich als scharfer Redner profiliert, vor allem die Jüngeren in der Partei unterstützen ihn. Er will den bürokratischen Apparat der ältesten Partei der Türkei, der sich mehr oder weniger selbst genügt, aufbrechen und neue Akzente setzen.

Montag soll ein neuer Parteivorstand gewählt werden. Mit Özel und İmamoğlu steht nun ein neues, junges Team an der Spitze der alten Partei, das gewillt ist, die Depression nach der Niederlage im Mai zu überwinden und zunächst einmal erfolgreich die von der CHP regierten Großstädte wie Istanbul, Ankara, Izmir, Adana und Antalya bei den Kommunalwahlen im kommenden März zu verteidigen.

Schon jetzt zeigt sich, dass viele CHP-Anhänger durch die Wahl von Özel neu motiviert sind. Seine Wahl ist der erste demokratische Wechsel auf einem Parteikongress in der Geschichte der CHP. Aber auch in den anderen türkischen Parteien ist bisher nie ein Parteivorsitzender durch demokratische Wahlen abgesetzt worden. Die Wahl von Özel ist deshalb auch ein Zeichen gegen die Diktaturen der großen Patriarchen und für eine Modernisierung des Parteiensystems. (Jürgen Gottschlich, 6.11.2023)