Blutproben
Ein Indikator im Blut kündigt das Fortschreiten der Krankheit weit im Voraus an und kann so bei der Behandlung helfen (Symbolbild).
dpa-Zentralbild/Martin Schutt/dpa

Multiple Sklerose – kurz MS – ist eine verheerende chronische Erkrankung. Das zentrale Nervensystem, also Gehirn und Rückenmark, werden vom Körper angegriffen, es handelt sich also um eine Autoimmunkrankheit. Normalerweise leiten Nervenfasern Reize elektronisch weiter, doch bei MS wird die isolierende Schicht attackiert, was für unterschiedliche Symptome sorgen kann. Der Zustand von Betroffenen verschlechtert sich immer mehr, oft in Schüben.

In den vergangenen Jahren haben Wissenschafterinnen und Wissenschafter immer mehr über Multiple Sklerose gelernt, die Ergebnisse sind vielversprechend. Forschungsteams kamen etwa einem möglichen Ursprung der Erkrankung auf die Spur und fanden heraus, dass das weitverbreitete Epstein-Barr-Virus MS auslösen kann. Im Tierversuch ließ sich die Erkrankung durch eine sogenannte inverse Impfung reversibel machen.

Nun hilft eine weitere Studie dabei, die künftigen Behandlungsmöglichkeiten zu verbessern. Denn bereits mehr als zwei Jahre bevor Nervenschäden durch MS auftreten, kann ein Blutmarker diese erkennen. Diese Entdeckung von einem Forschungsteam unter Leitung der Universität Basel ist laut den Forschenden für den langfristigen Behandlungserfolg entscheidend.

Frühe Ankündigung

Da der individuelle Verlauf der Krankheit dabei schwer voraussagbar sei, sei es schwierig, die Behandlung auf den einzelnen Patienten zeitgerecht anzupassen, hieß es am Montag in einer Mitteilung des Forschungszentrums für Neuroimmunologie und Neurowissenschaften des Universitätsspitals Basel. Ein frühzeitiges Erkennen von Verschlechterungen, in der Fachsprache als Progression bezeichnet, sei deshalb wichtig, betonten die Forschenden.

An diesem Punkt knüpfte die am Montag im Fachblatt "Jama Neurology" veröffentlichte Studie an. Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter der University of California San Francisco (USA) und der Schweizer Multiple-Sklerose-Kohorte (SMSC) analysierten dafür Langzeitdaten von rund 13.000 Patientenvisiten und Blutproben.

Dabei stellten sie einen starken Anstieg von sogenannten Leichtketten-Neurofilamenten (NfL) im Blutserum zwischen zwölf und 26 Monaten vor dem Auftreten einer schleichenden Verschlechterung fest. Bei NfL handelt es sich um Proteine, die in den Neuronen von Gehirn und Rückenmark vorkommen.

Bemerkenswert ist, dass diese NfL lange Zeit vor der Verschlechterung auftauchen, aber zum Zeitpunkt des Auftretens der Verschlechterung ist dieser Marker wieder unauffällig: Dann unterschieden sich die Blutspiegel nicht mehr von Patienten mit stabilem Krankheitsverlauf. Das deutet demnach darauf hin, dass die Messungen die eigentliche Nervenschädigung früher anzeigen als die körperliche Untersuchung.

Meilenstein für Forschung

"Unsere Ergebnisse stellen einen signifikanten Meilenstein für unser Verständnis von MS dar", sagt Studienleiter Ahmed Abdelhak von der Universität in San Francisco. Dass NfL als Indikator für die Verschlechterung ein bis zwei Jahre und mehr vor klinischen Nachweisen einer Progression dienen kann, "eröffnet neue Zeitfenster für frühzeitige therapeutische Intervention und ändert unseren Blick auf die Überwachung und Behandlung der Krankheit", wird Abdelhak in einer Aussendung zitiert.

Schon jetzt wird der NfL-Spiegel bei Betroffenen oft überwacht. Er gilt als anerkannter Indikator für die aktuelle Krankheitsaktivität, sagt Jens Kuhle von der SMSC. Dabei sei er sensibler als die klinische Untersuchung oder die konventionelle MRI-Bildgebung: "Die Ergebnisse unterstreichen den bahnbrechenden Wert von NfL als Biomarker für die personalisierte medizinischen Behandlung."

Im Mittelpunkt zukünftiger Untersuchungen werde der Versuch stehen, der Schädigung des zentralen Nervensystems durch frühen Therapiebeginn oder zukünftige Therapien entgegenzuwirken, hieß es. Weltweit sind rund drei Millionen Menschen von MS betroffen, in Österreich etwa 13.500 Personen. Die Krankheit ist eine der am öftesten auftretenden neurologischen Erkrankungen bei jungen Erwachsenen. (APA, red, 7.11.2023)