Ein Transparent mit dem Wort Streik in großen Lettern bei einem Warnstreik
So könnte es demnächst vor vielen Unternehmen der Metallindustrie aussehen, wenn sich die Sozialpartner am Donnerstag nicht einigen.
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Wien – Entschlossenheit zu demonstrieren, daran mangelt es vor allem den Arbeitern in den großen Konzernen nicht. Druck kommt beispielsweise aus der Obersteiermark, wo am steirischen Voestalpine-Standort Donawitz an die tausend Stahlarbeiter und Industrieangestellte den Arbeitsausstand probten, sie wollen nicht lang fackeln.

Video: KV-Verhandlungen im Handel gehen in die zweite Runde
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"Wenn in der ersten Stunde kein ordentliches Angebot kommt, dann wird es ein unbefristeter Streik", sagt ein Funktionär, der nicht mit Namen genannt werden will. Man lasse sich von den Knill-Brüdern nicht in Geiselhaft nehmen, sagt ein anderer. Gemeint sind damit die Chefs der oststeirischen Knill-Gruppe, Christian und Georg Knill, die in ihren Funktionen als Obmann der Metalltechnischen Industrie und als Präsident der Industriellenvereinigung die österreichische Industriepolitik maßgeblich mitgestalten. Die gleichnamige, in zwölf Generationen aufgebaute Knill-Gruppe in Weiz ist auf Armaturen, Dämpfungssysteme sowie Freiluft-Schaltanlagen spezialisiert.

Scharfmacher gegen Marathonverhandler

Ob sich die Scharfmacher durchsetzen, bleibt abzuwarten. Denn die Fraktion derer, die, wenn es sein muss, Tag und Nacht verhandeln wollen, ist nicht minder einflussreich. Ohne Verhandlungen schwäche man die Legitimation eines Streiks, der diesfalls unbefristet und damit in der jüngeren Geschichte Österreichs eine Novität wäre. Dreistündige Warnstreiks, wie in den vergangenen drei Tagen in rund 400 Unternehmen der sechs Metallindustrie-Branchen, gab es schon öfter. Ein unbefristeter Streik war zuletzt 2011 geplant, auf dem Höhepunkt der auf die Finanzkrise folgenden Wirtschaftskrise. Nach einem eintägigen Warnstreik schalteten sich damals die Sozialpartnerspitzen ein, Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl und ÖGB-Präsident Erich Foglar führten an einem Sonntag im Wiener Hotel Intercontinental "Sondierungsgespräche". Danach war der Streik vom Tisch, und zwei Tage später gab es eine Einigung. Zuvor hatte es Kritik aus den Fachverbänden Bergbau/Stahl, Nichteisenmetaller, Fahrzeugindustrie, Gießereien und Gas/Wärmeversorger gehagelt, sie sahen sich vom größten, zwischenzeitlich in Metalltechnische Industrie umbenannten Metallfachverband in Geiselhaft genommen, weil auch ihre Betriebe bestreikt wurden.

Die Ausgangsbasis ist nun ähnlich und doch nicht vergleichbar. Auch damals lahmte die Industriekonjunktur, aber im Gegensatz zu heute war die Inflation niedrig, und die Zinsen sanken im Gefolge der Eurokrise. Angesichts der anhaltend hohen Inflation, teils massiv gestiegener Mieten und Preise für Haushaltsenergie, vor allem aber der teils massiv gestiegenen Unternehmensgewinne und Dividendenausschüttungen scheint die Kampfbereitschaft aktuell höher als damals. "Es liegt nun an den Arbeitgebern, ein neues Angebot zu legen, das die Teuerung der Vergangenheit berücksichtigt und damit für uns auch verhandelbar ist. Nur so lässt sich eine Ausweitung der Streiks abwenden“, betonten die gewerkschaftlichen Chefverhandler, Reinhold Binder (Proge) und Karl Dürtscher (GPA). Man stehe für ernsthafte Verhandlungen bereit, auch wenn diese die ganze Nacht dauern sollten.

Jeder einzelne Streik legitim?

Die Arbeitgeber wollten sich im Vorfeld der Verhandlungsrunde nicht mehr äußern. Sie hatten in den vergangenen Tagen und Wochen ihrerseits Entschlossenheit signalisiert, auch längere Streiks auszuhalten. Man könne die Rezession und mit ihr einhergehende rückläufige Auftragseingänge nicht wegstreiken. "Das ist unverantwortlich und sinnlos", so der Appell des Obmanns der Metalltechnischen Industrie (FMTI), Christian Knill. Dass beide Seiten rauf und runter rechneten, was an Kompromiss jeweils gerade noch zumutbar oder erträglich sein könnte, wurde auf beiden Seiten bestätigt. An die maßgebliche Inflationsrate von 9,6 Prozent kam keines der Angebote auch nur annähernd heran, schon gar nicht an die geforderten 11,6 Prozent.

Im Hintergrund heiß diskutiert wird übrigens die Frage, ob Streiks in den anderen Fachverbänden, also Bergbau/Stahl, Gießerei-, Fahrzeug- und Nichteisenmetallindustrie sowie Gas- und Wärmeerzeuger, in einem Aufwaschen legitim sind. Eskaliert sind die Verhandlungen nämlich nur in der Maschinen- und Metallwarenindustrie. Die anderen Fachverbände halten sich traditionell im Hintergrund, die Abschlüsse sind – darauf schaut die Gewerkschaft penibel – mehr oder weniger identisch. Genau das ist der Punkt, denn bestreikt werden alle. Ein von den Fachverbänden eingeholtes Rechtsgutachten komme zu dem Schluss, dass bestenfalls Streiks in FMTI-Betrieben gedeckt seien, allen anderen fehle es an Rechtmäßigkeit, erfuhr DER STANDARD in Arbeitgeberkreisen. Das kann teuer kommen, denn haftbar ist dafür der Betriebsrat des bestreikten Unternehmens. Er könnte zu Kostenersatz für entfallene Schichten etc. verdonnert werden – sofern ein betroffenes Unternehmen Klage einbringt.

Von den geschätzt 400 Warnstreiks, deren sich die Gewerkschaften Proge und GPA in den vergangenen drei Tagen rühmten, dürfte knapp die Hälfte auf Betriebe der Metalltechnischen Industrie entfallen. Das wäre jedes sechste Unternehmen des 1.200 Mitglieder zählenden Branchenverbands. Ob die Zahl stimmt? Es stehe noch nicht fest, nicht alle Streikmeldungen seien eingegangen. Manche Warnstreiks wiederum dauerten gerade einmal 15 Minuten – das ist kürzer als die (unbezahlte) Mittagspause. (Luise Ungerboeck, 9.11.2023)