Die Geschichte geht immer ähnlich und in etwa so: Letztens sitze ich gemütlich mit einer Freundin zusammen, ich erzähle, dass ich langsam eine Brille brauche, sie empfiehlt mir eine Marke, von der ich noch nie gehört habe. Am nächsten Tag geht es los: Ob auf Instagram oder Facebook, schier überall scheinen mich plötzlich Werbungen für eben diese Marke zu verfolgen.

Schnell regt sich ein Verdacht: Kann es sein, dass mein Smartphone unsere Konversationen belauscht hat? Denn wie kann es sonst plötzlich für ein Produkt werben, von dem ich zuvor noch nie gehört und nach dem ich auch infolge unseres Gesprächs (Ehrenwort!) nie gesucht habe?

Eine kurze und eine nicht ganz so kurze Antwort

Um es kurz zu machen: Nein, kann es nicht. Es handelt sich hierbei um eine besonders hartnäckige Verschwörungstheorie, die mittlerweile seit fast einem Jahrzehnt durchs Netz geistert. Sehr oft stehen dabei Instagram und Facebook im Mittelpunkt der Erzählung selbst, manchmal ist es gleich das Smartphone als Ganzes.

Instagram Logo auf einem iPhone.
Oft steht Instagram im Fokus der Erzählung. Oder gleich das ganze Smartphone. Stimmen tut beides nicht.
AP

Was all diese Vorwürfe eint: Es gibt auch nach Jahren der Untersuchungen zu diesen Themen nicht den kleinsten Beweis für diese Behauptung, aber sehr, sehr viele Fakten, die dagegensprechen.

Technische Umsetzbarkeit

Gehen wir es Schritt für Schritt an, und da zunächst einmal mit der technischen Umsetzbarkeit. Das beginnt beim Thema Datentransfer. Würde etwa Facebook seine User dauerhaft belauschen, würde das Datenmengen erzeugen, die ein Vielfaches von dem darstellen, was bei der Plattform sonst so täglich an Daten anfällt. "Wired" hat vor einigen Jahren mal einen ungefähren Wert von 20 Petabyte für pro Tag an Daten berechnet – und zwar allein für die USA.

Selbst wenn wir mal annehmen würden, dass Meta die Möglichkeiten hätte, all das auszuwerten, und komplett außer Acht lassen, dass das die wohl ineffizienteste aller vorstellbaren Methoden wäre, um mehr über die eigenen User zu erfahren, würde das massive Kosten verursachen. Vor allem aber würde es auch am Smartphone selbst durch einen stark gestiegenen Netzwerkverkehr auffallen.

Wer meint, so etwas könnte unbemerkt bleiben, sei an einen Vorfall aus dem Jahr 2017 erinnert: Da wurde bekannt, dass einige Exemplare des smarten Lautsprechers Google Home Mini dauerhaft Sprache aufzeichneten. Dahinter steckte aber kein sinistrer Plan, sondern ein Hardwaredefekt, jener Knopf der zur manuellen Aktivierung des Sprachassistenten gedacht war, blieb bei einzelnen Exemplaren hängen. Das Ergebnis war dermaßen auffällig, dass der Fehler aufgrund der Rückmeldung eines Journalisten noch vor dem Verkaufsstart behoben wurde – einfach indem der Knopf deaktiviert wurde.

Lokale Spracherkennung?

Nun mögen manche schon mal gehört haben, dass es bei modernen Smartphones mittlerweile möglich ist, Spracherkennung lokal laufen zu lassen, womit der riesige Datentransfer also entfallen würde. Blenden wir der Theorie zuliebe einmal freundlich aus, dass es diese Möglichkeit erst seit wenigen Jahren gibt – also lange nachdem das Abhörgerücht in die Welt gesetzt wurde. Doch auch dann würde das auffallen.

Denn lokale Spracherkennung, die kurz einmal läuft, wenn man eine Textnachricht ansagt, ist etwas komplett anderes als eine Software, die dauernd lauscht und alles mitprotokolliert. Das hätte einen massiven Ressourcenverbrauch zur Folge, der sich nicht nur in einem rasanten Abbau der Akkulaufzeit, sondern auch der gesamten Geräteperformance zeigen würde. Zudem müssten die dabei erstellen Protokolle auch dann noch irgendwie an die spionierenden Unternehmen geschickt werden, was wiederum bei Analysen des Netzwerkverkehrs auffallen würde. Ist es bisher aber noch nie.

Android und iPhone unterbinden das

Dazu kommt, dass sowohl Android als auch Apples iPhone-Betriebssystem iOS mehrere Sicherheitsmechanismen haben, die so etwas unterbinden. So ist es bei beiden schon seit einigen Jahren nicht mehr möglich, dass Apps im Hintergrund auf das Mikrofon zugreifen können. Das heißt, eine spionierende App müsste schon dauerhaft aktiv im Vordergrund sein oder durch eine Benachrichtigung darüber informieren, dass sie gerade spioniert – was irgendwie den Sinn von Spionage ad absurdum führt.

iPhone Mikrofon Indikator
Ist das Mikrofon aktiv, wird das nicht nur beim iPhone, sondern auch bei Android in der Statuszeile angezeigt.
Apple

Doch das war es noch nicht mit den Sperren durch die Betriebssysteme. Denn selbst wenn eine App gerade aktiv genutzt wird, wird über die Nutzung des Mikrofons informiert. Dazu gibt es bei beiden Betriebssystemen seit einigen Jahren entsprechende Indikatoren, die direkt in der Statuszeile des Geräts angezeigt werden. Auch da würde also bald wem auffallen, wenn – sagen wir mal – bei der Nutzung von Instagram dieser Indikator dauernd aktiv ist.

Keyword-Erkennung ist nicht das Gleiche wie dauerhaftes Belauschen

Aber was ist jetzt mit Sprachassistenten wie Siri oder Google Assistant? Da ist doch immer wieder zu hören, dass sie dauerhaft mitlauschen. Nun, das Problem ist in diesem Fall eine gewisse Unschärfe beim Begriff "mitlauschen" oder eigentlich bei dessen Verwendung für knackige Überschriften. Viele verstehen darunter, dass das Gerät dauerhaft zuhört und so auch ausspioniert, was man redet, das ist aber nicht der Fall.

Diese Assistenten funktionieren – wenn sie mal die Genehmigung von den Nutzerinnen oder Nutzern eingeholt haben, meist ist das nämlich optional – so, dass sie nur auf ein einzelnes Keyword horchen. Erst wenn dieses ausgelöst wird, wird für ein paar Sekunden das im Umfeld Gesprochene analysiert – etwa um einen Sprachbefehl für das Starten eines Lieds entgegenzunehmen oder die richtige Antwort zu liefern, wenn nach dem Wetter gefragt wird.

Diese Keyword-Erkennung ist ein sehr, sehr viel einfacheres System als eine vollständige Spracherkennung, sie ist fix auf eine Phrase wie "Alexa", "Hey Google" oder auch "Hey Siri" – oder eigentlich genauer deren Klang – trainiert, oft passiert das sogar direkt in der Hardware. Genau das ist übrigens der Grund, warum solche Systeme oft unabsichtlich auf phonetisch ähnlich klingende Phrasen oder Begriffe anspringen. Eine "echte" Spracherkennung wäre da viel genauer, da sie auch den Kontext einbeziehen könnte.

Es wird wilder

Nächster Gedanke: Wäre es dann nicht möglich, so ein System auf eine Fülle von Keywords zu trainieren, um werberelevante Inhalte zu erkennen? Wenn wir jetzt mal der Theorie zuliebe geflissentlich ignorieren, dass Apps, wie oben erwähnt, diesen Zugriff gar nicht haben, wäre das dermaßen komplex, dass der Effizienzvorteil gegenüber einer vollständigen Spracherkennung schnell dahin wäre. Wir stünden also wieder vor dem Problem des enormen und somit auch unübersehbaren Ressourcenverbrauchs.

Keywords wie "Hey Google" werden immer erkannt. Aber das heißt nicht, dass die Geräte in dem Sinne "mitlauschen", dass sie alles in der Umgebung aufzeichnen oder mitprotokollieren.
AFP

An dieser Stelle ein kleiner Exkurs: Warum ist dann immer wieder vom Mitlauschen dieser Assistenten die Rede? Neben der bereits angerissenen, begrifflichen Unschärfe liegt das daran, dass es bei solchen Diensten tatsächlich immer wieder Privacy-Probleme gab und da sind offenbar bei vielen die Themen durcheinanderkommen.

Bei genauer Betrachtung ging es in diesen Fällen nämlich um ein ganz anderes Thema, und zwar dass nach dem Keyword getätigte Aufzeichnungen zum Teil von Menschen zur Verbesserung des jeweiligen Services ausgewertet wurden. Wenn dann mal das Keyword falsch erkannt wurde, konnten da also auch unerfreuliche private Details in diesen Aufnahmen landen, die dann von Dritten gehört wurden. Nach einiger Aufregung ist diese Praxis bei den großen Herstellern mittlerweile von Haus aus nicht mehr aktiviert. Das aber eben nur am Rande, mit dem eigentlichen Thema hat das genau genommen nämlich gar nichts zu tun.

Es gibt keinen faktischen Beleg, aber eine Chance für Zweifler

Wem all das zu technisch war, für den oder die sei noch einmal kurz der wichtigste Punkt erwähnt: Es gibt bisher keinen einzigen Beleg für die Behauptung – obwohl schon vielfach diesem Thema nachgeforscht wurde. Wer der Faktenlage trotzdem noch immer nicht traut und vielleicht auch noch was gegen Meta-Chef Mark Zuckerberg hat, für den birgt die Situation aber zumindest eine echte Chance. Nämlich in die Tech-Geschichte einzugehen.

Hat Zuckerberg doch vor dem US-Senat unter Eid ausgesagt, dass die eigenen Apps die Nutzer nicht über das Mikrofon belauschen. In solchen Situationen zu lügen, das sind Dinge, die die US-Justiz üblicherweise sehr scharf ahndet. Mal davon abgesehen, dass ein solch praktisch flächendeckender Lauschangriff auf die Weltbevölkerung natürlich generell hochkriminell wäre.

Aber wie kann das dann sein?

Nachdem also etabliert wäre, dass diese Verschwörungstheorie aus vielen Gründen keinen Sinn ergibt, bleibt noch die zweite Frage. Nämlich die, wie es dann zu solch verblüffenden Vorfällen kommt, wo die Werbung haargenau zu zuvor Gesprochenem passt. Denn natürlich sind diese Geschichten nicht einfach alle erfunden. Dafür gibt es wiederum mehrere Gründe.

Das eine ist simple Psychologie, genauer die Art, wie wir die Realität wahrnehmen – und vor allem, wie selektiv unser Gehirn dabei vorgeht. Denn auch wenn wir es uns gerne einreden, sehr vieles nehmen wir nur unbewusst wahr – und zwar genau so lange, bis etwas Externes passiert, mit dem wir es verknüpfen.

Es kann also durchaus sein, dass wir seit Wochen immer wieder über eine gewisse Werbung scrollen, diese aber erst registrieren, wenn jemand anderes genau dieses Produkt oder den Hersteller angesprochen hat. Wenn man jetzt noch irgendwann die Geschichte mit den lauschenden Smartphones gehört hat, dann ist dieser Effekt natürlich noch größer, weil zur Verwunderung auch noch das Andocken an eine Verschwörungstheorie dazu kommt und diesen Moment emotional weiter auflädt.

Wir sind nicht so individuell, wie wir uns gerne einreden

Umgekehrt reden wir uns alle sehr gern ein, dass wir total kreativ in der Auswahl unserer Gesprächsthemen sind. Das ist aber eben nicht wirklich der Fall. In der Realität gibt es immer aktuelle Trends und damit die Chance, dass wir über Dinge reden, die gerade auch viele andere beschäftigen. Oder eben auch Sachen, die wir irgendwie unbewusst schon wo gesehen oder gelesen haben, aus dem Nichts entstehen Gesprächsthemen eigentlich so gut wie nie.

Dazu kommt dann noch der Faktor Zufall: Wenn Milliarden Menschen pro Tag Instagram nutzen, dann gibt es natürlich immer eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass hier Werbung zu einem Thema dargestellt wird, über das man kurz zuvor erst geredet hat.

Gayle King asks Instagram's head: Are you listening to my private conversations?
CBS Mornings

Genau diese zwei Punkte sind es auch, die der damalige Instagram-Chef Adam Mosseri vor einigen Jahren auf die Verschwörungstheorie angesprochen als Antwort parat hatte. Einen Punkt ließ er damals im Interesse seines Arbeitgebers aber aus, dieser ist in vielerlei Hinsicht aber der entscheidende.

Die bittere Wahrheit

Große Tech-Firmen wie Meta wissen viel mehr über uns alle, als wir uns eingestehen wollen. Sie können auf eine Fülle von internen und externen Quellen zurückgreifen, um sehr genau – und oft genauer als uns bewusst ist – unsere Vorlieben zu erfassen. So wurde etwa vor einigen Jahren bekannt, dass Facebook 52.000 unterschiedliche Attribute für seine Userinnen und User hat.

Dazu liefern wir mit der Nutzung der entsprechenden Apps dauernd neue Daten. Und dafür muss man keine Werbung anklicken oder direkt nach einem Begriff suchen. Allein die Art, wie man sich durch die Apps bewegt, ist für die Hersteller interessant und wird exakt erfasst. Wer sich etwa durch endlose Feeds bei Instagram oder Tiktok swipt, der liefert dem Hersteller bereits damit, wie schnell ein Clip weggewischt wird, ein klares Signal. Einmal kurz innehalten, und schon folgen mehr Clips zu dem Thema.

Die Verknüpfung macht es aus

Doch es geht dabei nicht nur um unsere eigenen Daten: Diese Firmen wissen auch sehr genau, wer unsere Freundinnen und Freunde sind und wofür sie sich interessieren. Gerade Instagram hat diese fast schon gruselige Form der individualisierten Werbung über die Jahre auf die Spitze getrieben.

Das kann dann zur Folge haben, dass man sich mit Freunden trifft und die App das aus dem ungefähren Standort mitbekommt. Wenn jetzt eine Person nach dem Gespräch Interesse an einem Produkt zeigt, kann es sein, dass das auch anderen angeboten wird. Zumal wenn nie zuvor danach gesucht wurde, der Verdacht nahe liegt, dass darüber gesprochen wurde.

Facebook am Smartphone.
Die bittere Realität: Facebook und Co wissen einfach extrem viel über ihre Nutzerinnen und Nutzer.
AP

So weit zumindest, und das muss auch klar so bezeichnet werden, eine gängige Theorie. Im Detail spricht Meta nämlich nicht so gerne darüber, wie die personalisierte Werbung im Detail funktioniert oder gar wie stark dabei Signale unterschiedlicher User verknüpft werden. Diese Geheimhaltung ist es dann aber wiederum, die es schwerer macht, solche Berichte zu entkräften.

Denn natürlich will jede Person, die so etwa erlebt hat, dass ihr einzeln erklärt wird, wieso sie jetzt diese eine, für sie so irritierend passende Werbung gesehen hat. Das ist aufgrund der unvermeidlich bruchstückhaften Informationslage ohnehin schon so kaum realistisch. Immerhin können Außenstehende ja nicht einsehen, was davor wirklich passiert ist. Mit dem fehlenden Einblick in die Meta-Algorithmen wird es fast zur Gänze unmöglich. Das wiederum lässt einen gewissen Restzweifel übrig, und so manche entscheiden sich dann lieber für das Festhalten an der Verschwörungstheorie als den oben dargelegten Fakten.

Wo kommt das eigentlich her?

Wie bei jeder Verschwörungstheorie lohnt übrigens der Blick auf die Ursprünge. So richtig an Fahrt hat diese Erzählung im Jahr 2016 aufgenommen, als die Social-Media-Forscherin Kelli Burns in einem TV-Interview darüber berichtete. Dies löste eine Welle an leider sehr schlecht informierten Artikeln aus, die allesamt eines ignorierten: dass Burns bereits kurz danach klarstellte, dass sie nie behauptet hat, dass Facebook seine User abhört. Selbst dass sie betonte, dass sie das für Unsinn hält, konnte nicht mehr verhindern, dass sich die Geschichte verselbstständigte.

Auch all die in den vergangenen Jahren folgenden Erklärungen und Analysen konnten nicht mehr verhindern, dass sich diese Verschwörungstheorie bis heute hartnäckig hält. Zu verlockend ist das Narrativ, zumal den Tech-Riesen mittlerweile – und zum Teil ist dieser Ruf nicht unverdient – ohnehin so ziemlich alles zugetraut wird. Dass es ein Jahrzehnt später zwar noch immer viele Erfahrungsberichte, aber weiterhin nicht den kleinsten Anflug eines Belegs gibt, scheint da kein Hindernis zu sein. (Andreas Proschofsky, 12.11.2023)