In die bosnischen Kelim-Teppichen wurden vor hundert Jahren noch üppige riesige Rosen gewebt, die Farben scheinen aus der Popkultur geborgt, auch die gepixelt anmutende Ausformung der Blüten wirkt modern. Erst später wurden die Blumen auf den Teppichen abstrakter und wandelten sich zu Trapezen. Die Nähe zur unmittelbaren Natur ist auch in einigen Moscheen gut sichtbar. In der Herzegowina sind auf die Wände oft Zypressen oder Orangebäume gemalt. Diese Fröhlichkeit, das Helle, der Hang zum Grünen zeichnet islamische Ausdrucksformen in Bosnien-Herzegowina aus.

In dieser besonderen südosteuropäischen Kultur wurden nicht nur alle möglichen Einflüsse vermischt – jene aus der Türkei, aber auch Literatur und Musik aus dem arabischen und dem mitteleuropäischen Raum –, sondern eben auch etwas ganz Eigenes daraus entwickelt.

Kultureller Reichtum

In der Ausstellung "Unter dem Himmel mit hellem Glauben" sind zum Beispiel Bilder einer Moschee in der Herzegowina zu sehen, deren Minarett einem Kirchturm gleicht, oder eine Sure aus dem Koran, die in der alten balkanischen Schrift Bosančica in Holz graviert ist.

Tatsächlich wurden in Bosnien-Herzegowina im Laufe der Zeit fünf verschiedene Schriftarten verwendet: die besagte Bosančica, die glagolitische Schrift, das Arabische, das kyrillische und das lateinische Alphabet. Als sich im Jahr 1902 Frau Begzada Gavrankapetanović beim Finanzministerium in Österreich über unzufriedenstellende Grundstücksmachenschaften in Bosančica-Schrift beschwerte, konnte man das in Wien nicht entziffern. Der bosnische kulturelle Reichtum war sogar für die von Vielfalt geprägte Monarchie zu viel.

Das Minarett dieser Moschee sieht aus wie ein Kirchturm.
Das Minarett dieser Moschee sieht aus wie ein Kirchturm.
Foto: Adelheid Wölfl
Eine Sure in Bosančica-Schrift
Eine Sure in Bosančica-Schrift.
Foto: Adelheid Wölfl
Bosnien verfügt über verschiedene Schriftarten
Bosnien verfügt über verschiedene Schriftarten.
Foto: Adelheid Wölfl

In der Ausstellung, die im Herbst im Collegium Artisticum in Sarajevo gezeigt wurde, geht es um das Spiegeln der Einflüsse, aber auch um die Bilder, die man im sogenannten Westen von Bosnien und Herzegowina hatte und hat. Herangezogen werden Reiseberichte und Zeitungsartikel, um den "orientalistischen Blick" vieler Besucher und Betrachter zu veranschaulichen.

Dieser "orientalistische" Blick der anderen, der gar nichts mit Bosnien-Herzegowina zu tun hat, ist ganz gut am Beispiel der "neomaurischen Architektur" festzumachen, die Ausländer nach Bosnien-Herzegowina brachten. Die neomaurischen Gebäude, die in der Zeit, als Bosnien-Herzegowina zu Österreich-Ungarn gehörte, entstanden, nehmen Anleihe an den maurischen Gebäuden in Spanien und haben nichts mit der osmanischen Architektur gemeinsam. Sie waren für die Bosnierinnen und Bosnier genauso fremd wie für die meist tschechischen Architekten, die sie entwarfen und errichteten. Doch die Ausländer dachten, sie würden sich im "Orient" mit etwas "Orientalischem" in das Kulturerbe einfügen.

Charta von 1189

In der Schau über den "Islam und Europa aus der bosnischen Erfahrung" wird aber auch das älteste Dokument zum Staate Bosnien und Herzegowina, die Charta von Ban Kulin aus dem Jahr 1189, gezeigt – es ging damals um eine Freihandelszone mit Dubrovnik. Bosnien war ein Königreich mit ähnlichen Grenzen, wie der Staat sie heute hat. Im Mittelalter bildete sich in Bosnien und Herzegowina eine eigene Kirche heraus – wohl auch, weil sowohl der Vatikan als auch Konstantinopel fernab lagen und das gebirgige Land von deren Vertretern auch nicht so leicht zu erreichen war.

Als die Osmanen den Balkan im 15. Jahrhundert eroberten, begann eine Verwebung zwischen dem Islam und dieser Bosnischen Kirche, die ihre eigenen Regeln hatte. So gibt es etwa muslimische Grabsteine mit Bosančica-Aufschrift. Die Kuratorin der Ausstellung, Aida Abadžić Hodžić, meint, dass die Leute den Islam damals an ihre bisherigen Vorstellungen anpassten. Das war auch deshalb so leicht möglich, weil es keine "strikten Institutionen" gab, erklärt sie. Die Verwebung ging ohne Aufregung vonstatten. Und so entstand ein ganz besonderer Kelim des Glaubens.

Nach dem Ende des Osmanischen Reichs beschäftigten sich Mitteleuropäer, die nach Bosnien kamen, mit dem Umstand, dass ein Land mit einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung ab 1878 von Österreich-Ungarn verwaltet wurde. Sie nannten dies die "östlichen Frage". Bis heute werden von vielen Europäern und Europäerinnen die Musliminnen und Muslime in Südosteuropa vor allem als "Erbe" des Osmanischen Reichs gesehen, ihre Kultur wird damit auch verkannt.

Diskriminierung, Rassismsus und eine Vorstellung von einem "christlichen Europa" waren dann auch Gründe, weshalb so viele Balkan-Muslime im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts systematisch vertrieben, unterdrückt und ermordet wurden. Der große Balkan-Historiker Oliver Jens Schmitt hat das in seinem Buch "Der Balkan im 20. Jahrhundert" ausgezeichnet dargelegt.

Großmufti

In der Ausstellung ist in diesem Zusammenhang auch ein Video des Künstlers Damir Nikšić aus dem Jahr 2005 mit dem Namen "If I wasn't Muslim" zu sehen, in dem er sich mit dem europäischen "Befürfnis", sich von nichtchristlichen Elementen "zu säubern", auseinandersetzt.

Zur Sprache kommt in der Ausstellung auch, dass der Islam und die muslimische Kultur in Bosnien-Herzegowina vor allem "städtisch" waren. Handel und Bildung waren die zentralen Träger dieser Kultur. In der Musik wurde das urbane Liedgut, die Sevdalinka zu einer Ausdrucksform. Der bosnische Islam hat aufgrund der österreichisch-ungarischen Geschichte aber auch eine kirchliche Struktur. Im Jahr 1882 wurde erstmals ein Großmufti, damals Mustafa Hilmi Hadžiomerović, ernannt. Die Monarchie brauchte einen Ansprechpartner, eine kirchliche Struktur und einen Staatsvertrag.

Noch bevor das Wort "Diversität" modern wurde, war Bosnien und Herzegowina aber vor allem ein Beispiel für die Koexistenz verschiedener Kulturen und Religionen über die Jahrhunderte, für einen sehr weichen Pluralismus. Genau deshalb wurde dieses Gefüge dann auch im 19. und 20. Jahrhundert und bis heute zum Hassobjekt für Rassisten und Nationalisten, die Homogenität herstellen wollen. Dabei geht es in der bosnischen Alltagskultur meist nicht um Religion oder irgendwelche Unterschiede, sondern um den momentanen Genuss der kleinen Dinge und Ereignisse. Und zwar in einem sehr beschaulichem Tempo. In einem in der Ausstellung integrierten Kaffeehaus kann man diesem Lebensgefühl auch nachspüren. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 30.11.2023)