Taxler sein, das war vielleicht einmal was. In jener Zukunft, in der die Serie "Nachts im Paradies" spielt, werden Chauffeure nicht mehr gebraucht. Das bekommt Taxler Vincent (Jürgen Vogel) zu spüren. Kein Wunder also, dass er schlecht drauf ist. Dazu kommt, dass er mit seiner Tochter (Lea Drinda) nicht das beste Verhältnis hat. Das Paradies ist in "Nachts im Paradies" nicht ganz einfach ausfindig zu machen, doch es blitzt immer wieder auf – zum Beispiel in der Person Birgit Minichmayrs, die eine schlagkräftige Schönheit der Nacht mit auffallend dunkelroten Lippen spielt. Die Serie basiert auf der Graphic Novel von Frank Schmolke. Das Drehbuch stammt von Matthias Glasner ("Das Boot") und Hannah Schopf ("Tiger Girl"). Die Serie ist auf Canal+ abrufbar.

Birgit Minichmayr als verruchte Schönheit der Nacht in
Birgit Minichmayr als verruchte Schönheit der Nacht in "Nachts im Paradies": 2024 auf Canal+.
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STANDARD: Wann sind Sie das letzte Mal mit einem Taxi gefahren?

Minichmayr: Das war zum Flughafen. Ich fahre nicht oft mit dem Taxi, und wenn, dann meistens zum Flughafen.

STANDARD: Unterhalten Sie sich dann mit dem Taxler, der Taxlerin?

Minichmayr: Ab und zu. Manchmal. Ich hatte schon die unglaublichsten Erlebnisse. Ein Taxifahrer hat mich mit der berührenden Geschichte seiner Herkunft zum Weinen gebracht. Bei einem anderen bin ich frühzeitig ausgestiegen.

STANDARD: Was ist passiert?

Minichmayr: Wir sind über den von ihm gewählten Weg aneinandergeraten. Dann haben wir uns getrennt.

STANDARD: Bei Uber soll man darüber hinaus bewerten. Bewerten Sie?

Minichmayr: Ja, aber ehrlich gesagt bewerte ich sehr, sehr, sehr unecht. Ich mache immer fünf Sterne, aber es hat mich tatsächlich irritiert, dass ich als Fahrgast nicht 5,0 habe, sondern nur 4,7. Das hat mich in meinem Ehrgeiz aufgeregt.

Ich finde es schrecklich, wenn man mich fragt, ob ich etwas im Internet bewerten könnte. Dann muss ich sagen, dass ich das leider nicht machen kann, weil ich lebe analog.

STANDARD: Was könnten Sie jetzt machen?

Minichmayr: Ich vermute, mehr Trinkgeld geben.

STANDARD: Bewerten Sie auch anderswo?

Minichmayr: Nein! Ich finde es schrecklich, wenn man mich fragt, ob ich etwas im Internet bewerten könnte. Dann muss ich sagen, dass ich das leider nicht machen kann, weil ich lebe analog.

STANDARD: Warum das?

Minichmayr: So kann ich keine Häkchensucht entwickeln. Mir gibt das alles nichts.

STANDARD: Welche Beobachtungen machen Sie zur Häkchensucht bei Kolleginnen und Kollegen. Wie abhängig sind sie von den Likes?

Minichmayr: Es gibt die Schauspieler, die sagen mir, sie werden nicht besetzt, weil sie zu wenige Follower haben. Und mittlerweile ist man ja als Schauspieler Werbetafel für alles Mögliche. Ich bin noch in einer Zeit aufgewachsen, in der man keine Werbung gemacht hat, wo man Konzerne fragwürdig fand und Werbung fast rufschädigend war.

STANDARD: Spüren Sie einen Nachteil, weil Sie sich dem entziehen?

Minichmayr: Okay, ich stehe da so davor und denke, mal gucken, ob ich eine Konsequenz spüre, wenn ich da nicht mitmache. Wenn sich die Nachfrage verändert, weil ich kein Social Media mache, dann ist es eben so. Natürlich merke auch ich, dass die ausverkauften Häuser Ausnahmen werden. Das kann damit zu tun haben, dass mein Bekanntheitsgrad abnimmt. Das kann aber auch damit zu tun haben, dass das Theater an sich weniger interessierte Leute anzieht.

Nachts im Paradies | Deutscher Trailer lang | CANAL+
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STANDARD: Der Taxifilm, an den man bei "Nachts im Paradies" unweigerlich denken muss, ist "Taxi Driver" und Jim Jarmuschs "Night on Earth". Sie spielen eine verruchte Person aus dem Milieu. Was haben Sie für die Figur überlegt?

Minichmayr: Ich habe wirklich an Béatrice Dalle aus "Night on Earth" gedacht. Meine erste Assoziation war, wie sie sich als erblindete Frau hinten im Taxi die Lippen nachschminkt. Dadurch wusste ich, ich möchte in dem Film ganz große Lippen haben. Die Serie ist sehr speziell. Das war der Hauptgrund, warum ich mich entschied, mitzumachen. Ich spiele eine komische Comicfigur, die sich am Schluss nur noch schlägert und sich rächt. Sehr viel war ich mit dem Look der Figur beschäftigt. Das war für mich ganz wichtig. Ich habe auf Pinterest ein Bild gefunden, von dem ich dachte, das wäre eine gute Frisur, und dabei nicht bedacht, dass ich jetzt nicht zehn Tage am Stück drehe, sondern nach längeren Pausen immer wieder. Das hat dazu geführt, dass ich über drei Monate hindurch diese Frisur immer wieder schneiden lassen musste. Das wäre prinzipiell nicht so schlimm, aber das ist eine Frisur, die man sehr viel pflegen muss, denn wenn man sie nicht pflegt, schaut man aus wie eine explodierte Klobürste, und ich bin so überhaupt nicht der Typ für perfekt gestyltes Haar. Mit Kindern hat man auch die Zeit irgendwie nicht.

STANDARD: Wie lange haben die Dreharbeiten gedauert?

Minichmayr: Drei Monate.

STANDARD: Drei Monate Klobürste?

Minichmayr: Genau.

STANDARD: Welche Überlegungen hatten Sie zum Charakter der Figur?

Minichmayr: Dass die absolut exzentrisch ist und dass sie ein sehr niederschwelliges Aggressionspotential hat, dass es nicht viel braucht, bis man zuschlägt.

Minichmayr: Mögen Sie körperlich intensive Figuren?

Minichmayr: Ich mag vieles, am liebsten Neues. Am Uninteressantesten ist es, wenn man auf einen bestimmten Typ besetzt wird.

STANDARD: Die Rolle der Schlägerin war Ihnen also neu. Wie ging es Ihnen dabei?

Minichmayr: Das macht natürlich alles Spaß, sich zu verwandeln und sich in diesen Zirkusanzug zu zwängen. Dieses Outfit mit Sabine Keller zu entwickeln hat wahnsinnig Spaß gemacht. Das Schlimmste von allen waren die Fingernägel.

STANDARD: Was war mit den Nägeln?

Minichmayr: Die Nägel waren angeklebt, und entweder ich habe sie ständig verloren oder war wie ein Baby und konnte gar nichts machen. Das Schlimmste war das Klo.

STANDARD: Wonach wählen Sie Ihre Rollen aus?

Minichmayr: Das ist ein intuitiver Vorgang. Manchmal ist es die Rolle allein, manchmal ist es, weil es der Regisseur macht. Manchmal ist es, weil das Drehbuch so fantastisch ist, manchmal, weil ich Geld brauche und es trotzdem inhaltsvoll ist, mich jetzt aber nicht so richtig begeistert, wo ich denke: Ja, das kann man schon mal machen.

STANDARD: Studien haben ergeben, dass sich Schauspielerinnen ab 40 schwerer tun, Rollen zu bekommen. Wie erleben Sie das?

Minichmayr: Ich habe schon das Gefühl, das es so ist, und das ist kein Jammern, keine Einbildung, wenn Frauen beklagen, dass die Rollen weniger werden. Und schauen wir uns mal das Erscheinungsbild einer Frau im Fernsehen oder im Kino an. Was ist da das durchschnittliche Alter? Vielleicht kommt das ja noch, dass mehr produziert wird mit Frauen ab 45 und es dann nicht die schrullige, lustige Tante ist oder so.

STANDARD: Aber wie würden Sie die schrullige, lustige Tante spielen, wenn es gar nichts anderes mehr gibt?

Minichmayr: Ich würde die schrullige, lustige Tante immer spielen, aber ich würde mir vielleicht überlegen, was man daraus machen kann.

STANDARD: "Nachts im Paradies" ist eine sehr dunkle, dystopische Serie. Die Zeiten sind alles andere als lustig. Und trotzdem kriegen die Leute offenbar gar nicht genug von Dystopien in Serien. Wie erklären Sie sich das?

Minichmayr: Vielleicht probt man den Weltuntergang, bereitet sich vor, sagt sich, ich ziehe mir davon ganz viel rein, dann weiß ich, was ich im Ernstfall tun muss.

STANDARD: Schauen Sie Serien?

Minichmayr: Ich schaue nur auf Empfehlungen, und zwar von ausgewählten Freunden, deren Geschmack ich extrem schätze. "Succession" sah ich zuletzt, eine krass gute Serie.

STANDARD: Ich finde, Sie hätten gut hineingepasst.

Minichmayr: Ja, das finde ich auch! Was Dystopien betrifft: Ich habe "The Handmaid's Tale" begonnen und wieder abgebrochen. Es war mir zu heftig. Ich gehe tatsächlich lieber ins Kino oder schaue mir alte Filme an, zuletzt "Sunday Bloody Sunday", ein ganz toller Film mit Glenda Jackson. Es macht mir ehrlich sehr viel mehr Spaß, und da ziehe ich auch für meinen Beruf mehr raus, als mit Serien en vogue zu sein. Ich habe mir vieles reingezogen und brauche eine Pause. Jetzt will ich einfach wieder Bergman-Filme anschauen. Mich stürzt Netflix eher in eine Depression, wenn ich keine Empfehlung bei der Hand habe. Es geht nur darum, immer mehr in sich reinzustopfen, und danach fühlt man sich wie bei McDonald's – vollgefressen.

STANDARD: Wie beschreiben Sie Ihr Medienverhalten?

Minichmayr: Ich denke, ich versuche mich schon zu informieren, auch weil ich das Gefühl habe, wir stehen kurz vor dem Abgrund. Warum sollte es in diesem Jahrhundert nicht auch zu einem Weltkrieg kommen, wenn es im vorigen Jahrhundert zwei davon gegeben hat?

STANDARD: Das ist sehr pessimistisch.

Minichmayr: Ja, ich kann gerade nicht anders. Es meldet sich in mir.

STANDARD: Umgekehrt haben viele Menschen gerade genug von Nachrichten. Sie schließen sich ein und wollen nichts mehr von außen wissen.

Minichmayr: Es ist auch schwierig, weil viele sich haltlos fühlen und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Und weil die Welt auf der anderen Seite so viel Ablenkung und so viel ständige Erreichbarkeit bietet.

STANDARD: Wie entziehen Sie sich dieser Beschleunigung?

Minichmayr: Bei meiner wundervollen zärtlich lustigsten Familie! (Doris Priesching, 18.11.2023, aktualisiert am 6.3.2024)