"Realms of Ruin" ist das erste Videospiel im Universum von "Age of Sigmar". Warum sich das Entwicklerstudio Frontier ausgerechnet für ein Echtzeitstrategiespiel entschieden hat und warum sie nicht einfach ein neues "Dawn of War" machen, erklärt Gamedesigner Daniel Saunders im Interview mit dem STANDARD.

STANDARD: Wieso ausgerechnet ein Echtzeitstrategiespiel? Das Genre gilt seit Jahren als scheintot. Wäre ein Rollenspiel oder ein Shooter nicht die sichere Bank gewesen?

Saunders: Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Frontier hat eine lange Geschichte mit kreativen Managementsimulationen wie "Planet Zoo" und "Planet Coaster". Da ist ein Echtzeitstrategiespiel für uns das Naheliegendste. Da können wir unsere Expertise einbringen. Wir sind große Fans von Echtzeitstrategie, und wir möchten Teil der Wiederauferstehung des Genres sein. Das hat schon eine große Rolle gespielt.

Hier haben sich einige Stormcast Eternals mit dem Lord of Change angelegt.
Frontier / Games Workshop

STANDARD: "Realms of Ruin" scheint eine der größten Veröffentlichungen unter dem "Warhammer"-Franchise zu werden. Bislang gab es ja viele Nischentitel, meist rund um "Warhammer 40k". Warum traut ihr euch in die Fantasywelt von "Age of Sigmar"? Die war schließlich noch nie in einem Spiel vertreten.

Saunders: "Age of Sigmar" ist das zweitbeliebteste Tabletopspiel der Welt und Teil der größten Franchise, knapp hinter "Warhammer 40.000". Wir haben uns in die Welt verliebt, als wir die Romane gelesen und die Figuren gesehen haben – und weil wir jede Menge Tabletoprunden gespielt haben. Außerdem hat noch nie jemand ein Strategiespiel in "Age of Sigmar" gemacht. Und das war unser Ziel: ein Erlebnis zu schaffen, das dem Tabletopspiel treu bleibt, und dass wir dennoch mit den etablierten Regeln von Echtzeitstrategie herumexperimentieren dürfen.

STANDARD: Aber "Age of Sigmar" ist von der Erzählung bei weitem nicht so entwickelt wie "40k" und ist deutlich jünger ...

Saunders: Aber es gibt eine ganze Menge Buchumsetzungen, und da wird gerade eine Welt geschaffen und die unterschiedlichen Fraktionen erklärt. Da wollen wir reingehen und etwas dazu beitragen. Wir wollen ein wenig Einblick geben, wer die Stormcast Eternals sind, was die Kruleboyz machen und was die Anhänger des Tzeentch vorhaben und warum die Nighthaunt alles hassen, was lebendig ist.

Die Nighthaunt sind getrieben vom Hass auf alles Lebende.
Frontier / Games Workshop

STANDARD: Frontier verspricht eine filmreife Story. Wie wollt ihr das schaffen? Das ist in dem Genre ja nicht leicht umzusetzen.

Saunders: Unser Designer Sandy Sammarco hat einmal grob umrissen, was wir erzählen wollen, wie die Charaktere aufeinander und auf die Welt reagieren. Danach haben wir mit Gav Thorpe (Gavin Thorpe, ein Spieledesigner und Romanautor für Games Workshop) zusammengearbeitet, der die Story herausgearbeitet und dafür gesorgt, dass alles in die Erzählung der dritten Edition von "Age of Sigmar" passt. Vor allem, was das Wilde und Ungezähmte der Welt betrifft.

STANDARD: Ihr habt Stormcast Eternals als die klassische Menschenfraktion, die Kruleboyz als Orks, Nighthaunt als Geister und Tzeentch als die Dämonen des Chaos. Aber wie schafft ihr es, dass sich die Fraktionen unterschiedlich spielen?

Saunders: Die Stormcast sind gute Allrounder mit dicker Rüstung. Dann haben wir die Kruleboyz, die sich mehr auf Gerissenheit und Tricks verlassen und gern Fallen stellen. Aber sie haben auch riesige Monster, um ihre Feinde zu überwältigen. Die Nighthaunt werden eine Hordenfraktion sein, also mit riesigen Einheitengruppen. Die Anhänger des Tzeentch sind die Magier, die den richtigen Zauberspruch zur richtigen Zeit sprechen müssen, damit sie siegen.

Die Schlachten sollen sich dank "Sticky Combat" nicht zu stressig anfühlen und Zeit zum Nachdenken und Planen lassen.
Frontier / Games Workshop

STANDARD: Wie verrückt muss man eigentlich sein, eine Fraktion des Tzeentch, des Lords der Veränderung, für ein Spiel zu entwickeln? Ich meine, ihr hättet auch Khorne nehmen können.

Saunders: Ja schon, aber Khorne hätte sich spielerisch wohl sehr ähnlich wie andere Fraktionen, die wir bereits haben, angefühlt, am Ende wäre das einfach nur "Blut für den Blutgott". Mit dem Lord der Veränderung können wir außerdem eine einzigartige Geschichte erzählen und in all die Details gehen, die uns Tzeentch an die Hand gibt.

STANDARD: Ihr packt in euer Spiel nicht nur eine Story-Kampagne, sondern auch einen Fotomodus, einen Bemalmodus und prozedural generierte Feldzüge. Warum macht ihr nicht einfach "Dawn of War" im Fantasy-Setting, und jeder wäre glücklich?

Saunders: Wir wollten etwas erschaffen, das es so noch nicht gab, das sich aufregend und neu anfühlt. Es gibt Bereiche, da wollten wir uns ganz bewusst von "Dawn of War" abheben, etwa beim Kontrollschema. In anderen Bereichen haben wir uns schon auch davon inspirieren lassen.

Daniel Saunders ist Spieldesigner für "Realms of Ruin".
privat

STANDARD: "Realms of Ruin" erscheint auch für Konsolen. Nun sind Echtzeitstrategiespiele oft an der Konsolensteuerung gescheitert.

Saunders: Ja, das stimmt. Konsolenspieler hatten lange Zeit keinen Zugang zu Echtzeitstrategiespielen. Deshalb haben wir ein Schema entwickelt, das mit einem Controller dieselbe Menge an Befehlen erlaubt wie mit Maus und Tastatur. Wir nennen das Jump Select. Damit kann man mit einem Knopfdruck über die Map springen, indem man den Joystick benutzt und einen Button drückt, je nachdem, wo die Aufmerksamkeit des Spielers gerade gebraucht wird.

STANDARD: Zeit, über das Spieltempo zu reden. Ich bin mittlerweile in einem Alter, in dem ich nicht mehr 200 Befehle pro Minute in einem Spiel wie "Starcraft" geben kann oder will. "Realms of Ruin" wirkte in der Demo deutlich langsamer. Jetzt habt ihr aber nach einem Wunsch aus der Community das Tempo um ein Drittel erhöht. Komme Menschen wie ich da noch mit?

Saunders: Trotz der Änderungen im Tempo haben wir immer noch das, was wir Sticky Combat nennen. Wenn Einheiten in den Kampf gehen, dann bleiben sie auch dort, es sei denn, man gibt den Befehl zum Rückzug. Das verschafft mir mehr Zeit: Die Einheit ist beschäftigt, ich kann mich ein paar Augenblicke lang um etwas anderes kümmern und dann wieder zurückkehren. Das Spieltempo gibt einem mehr Zeit zum Nachdenken. Echtzeitstrategiespiele sind oft stressig, das ist aber nicht unbedingt das, was wir wollten.

Fanservice: Natürlich darf man seine eigene Armee je nach Gusto bemalen.
Frontier / Games Workshop

STANDARD: Es gab eine riesige Debatte, weil es in "Realms of Ruin" fast keinen Basenbau gibt. Warum habt ihr euch dafür entschieden?

Saunders: Für uns war die Schlacht der wichtigste Faktor, und wir wollten, dass man nicht in seiner Basis sitzt und sich einigelt. Basenbau kann sehr unterhaltsam sein, aber das ist nicht das, was wir erreichen wollten. Wir wollen, dass man dynamisch um Sektoren kämpft und man Gebiete vom Feind zurückerobern muss. Wir wollten sehen, wie sich die Schlacht entwickelt, vor allem mit diesen wunderschönen Modellen, die auf den Miniaturen basieren. Wenn du nur daheim in deiner Basis hockst, bekommst du davon ja kaum etwas mit.

STANDARD: Wie viel der Tabletop-Regeln stecken in "Realms of Ruin"?

Saunders: Eine ganze Menge der Kampffähigkeiten kommen direkt vom Tabletop. Aber in vielen Bereichen mussten wir uns von den Tabletop-Regeln lösen, weil sie einfach nicht in einem Echtzeitstrategiespiel funktioniert hätten. Es ist mehr ein Mix: Dort, wo es ging, blieben wir dem Ausgangsmaterial treu.

STANDARD: Wie viele Runden "Age of Sigmar" habt ihr zur Vorbereitung gespielt?

Saunders: Eine Menge! Und die meisten setzen sich immer noch zusammen und spielen eine Runde Tabletop. Das hält auch das Team zusammen.

STANDARD: Welche ist deine Lieblingsarmee?

Saunders: Tzeentch, weil sie so abgedreht und irre sind. Gleichzeitig haben sie diese Monster wie die Screamer, der einfach ein Rochen-Dämon ist, der durch die Luft fliegt und seine Feinde im Sturzflug aufspießt. Das ist schon ziemlich verrückt, das mag ich. Unlängst habe ich mir aber auch eine Box Seraphon gekauft. (Peter Zellinger aus Nottingham, 14.11.2023)