Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein neuer Aufreger in der Gesundheitspolitik hochkocht – das hängt mit den aktuell im Endspurt liegenden Verhandlungen um den Finanzausgleich zusammen. Am Montag berichtete nun die Krone von "Lebensgefahr!" und "Spar-Alarm bei Krebs-Patienten" und verwies auf den Entwurf zur sogenannten Begleitlegistik zum Finanzausgleich im Gesundheitsbereich. Darüber wird derzeit noch verhandelt. Der Entwurf sieht die Einrichtung eines Bewertungsboards für die Anwendung spezialisierter und hochpreisiger Arzneimittel vor.

Pillen Fließband
Über die Anwendung teurer und hochspezialisierter Medikamente soll künftig in einem zentralen Bewertungsboard entschieden werden.
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Frage: Was ist da geplant?

Antwort: Dem Gesetzesentwurf nach ist vorgesehen, einen bundesweit einheitlichen Bewertungsprozess für neue Arzneispezialitäten zu etablieren und dafür ein Bewertungsboard einzuführen. Das Board soll laut dem Entwurf, der dem STANDARD vorliegt, "ausgewählte hochpreisige und spezialisierte Arzneispezialitäten" grundsätzlich vor deren Anwendung in Spitälern bewerten. Dann soll es im Grunde binnen fünf Monaten Empfehlungen abgeben – über Anwendung, Begleitmaßnahmen und über den Zusatznutzen "auf Basis eines Vergleichs mit therapeutischen Alternativen in Zusammenschau mit der Wirtschaftlichkeit".

Frage: Wer soll in dem Board vertreten sein?

Antwort: Es soll je eine Person aus Gesundheitsministerium, Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, Gesundheit Österreich Gmbh sowie ein Ländervertreter darin sitzen und je zwei Personen aus den drei Sozialversicherungsträgern ÖGK, BVAEB und SVS. Weiters sind drei Vertreter des Dachverbands der Sozialversicherungsträger vorgesehen sowie drei unabhängige Wissenschafterinnen aus Pharmakologie und Medizin sowie jemand von der Patientenanwaltschaft ohne Stimmrecht. Zusätzlich können Expertinnen und Experten zugezogen werden.

Den Vorsitz soll eine unabhängige Person aus der Wissenschaft haben, die dafür eine Aufwandsentschädigung erhalten soll. Alle Mitglieder sollen ehrenamtlich und ohne Weisung arbeiten sowie etwaige Beziehungen zur Pharmaindustrie offenlegen. Sollten diese in bestimmten Bereichen zu Befangenheit führen, sollen sie sich dabei ihrer Stimme zu enthalten.

Frage: Welche Bedenken gegen so ein Bewertungsboard bestehen?

Antwort: Ewald Wöll, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (ÖGHO), sagt im Gespräch mit dem STANDARD, dass seine Fachgesellschaft nicht in die Planung eingebunden gewesen sei, man aber "höchst alert" sei, dass künftig womöglich hauptsächlich Bezahler über die Anwendung spezialisierter oder hochpreisiger Medikamente entscheiden könnten. Derzeit würden dies behandelnde Ärztinnen und Ärzte mit dem Tumorboard individuell tun, sagt ÖGHO-Präsident Wöll. Das laufe gut.

In dem Bewertungsboard komme nach Wölls Einschätzung die fachliche Expertise aus der Medizin "möglicherweise zu kurz", was man seitens des Ministeriums aber zurückweist. Wöll gibt zu bedenken, dass in vielen Fällen sehr akut entschieden werden müsse und man womöglich nicht Entscheidungen abwarten könne. Der Vorstand der Universitätsklinik für Innere Medizin, Richard Greil wird in der Krone mit den Worten zitiert, dass man die Sorge vor "massiven Verzögerungen bei Medikamenten" habe.

Frage: Was sagt Gesundheitsminister Rauch?

Antwort: Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) weist die Vorwürfe entschieden zurück. "Es ist absurd zu glauben, ich als ehemaliger Krebspatient würde anderen Patient:innen lebenswichtige Medikamente verweigern", teilte Rauch in einem schriftlichen Statement am Montag mit. Das Bewertungsboard "evaluiert nach sachlichen und wissenschaftlichen Kriterien" den bundesweit einheitlichen Einsatz eines neuen Medikaments. Dieses Vorgehen sei international üblich und schaffe mehr Transparenz und Fairness. Derzeit verhandle jeder einzelne Spitalsträger individuell, was zu unterschiedlichen Ergebnissen führe, ergänzte eine Sprecherin Rauchs. Tumorboards werde es auch weiterhin geben.

Frage: Können Patientinnen oder Patienten aufgrund ihres Alters oder anderer Parameter von dem Board benachteiligt werden?

Antwort: Darauf kommt aus dem Ministerium ein klares Nein: Das Bewertungsboard werde keine individuellen Krankheitsfälle bewerten.

Frage: Warum ist die Debatte jetzt dermaßen aufgeheizt?

Antwort: Die Verhandlungen zum Bereich Gesundheit im Finanzausgleich gehen dem Ende zu, wie berichtet sieht sich die Ärztekammer vor einem Machtverlust zum Beispiel bei der Besetzung von vakanten Kassenstellen oder bei der Mitsprache bei Gesamtverträgen konfrontiert, wenn die Gesetzesänderungen so beschlossen werden, wie sie im aktuellen Entwurf stehen. Die Kammer hat vorige Woche bereits entsprechend gegen Rauch ausgeteilt, am Montag legte in einer Aussendung nach: Rauch sei ein "Totengräber des solidarischen Gesundheitssystems", der sich auf Kurs in den Abgrund befinde, hieß es da. Sie warnt vor einem "Ausverkauf des Gesundheitssystems an Investoren". Noch deftiger äußerte sich die FPÖ, die Rauch als "Scharfrichter der ohnehin schon Leidenden" bezeichnete.

Rauch wies alle Anwürfe zurück mit den Worten, dass die Ärztekammer angekündigt habe, "fünf Millionen Euro für eine Kampagne gegen die geplante Gesundheitsreform einzusetzen. Teil der Kampagne ist offenbar auch Desinformation", teilte der Minister mit. (Gudrun Springer, 13.11.2023)