Ein Arbeiter im Audi-Werk in Ingolstadt an der Fertigungsstraße.
Die Autoindustrie und ihre Zulieferer in der Metallindustrie sind vom Druck aus China und der Transformation zum Elektroauto besonders betroffen.
REUTERS / Michael Dalder

Die massive Streikdrohung der Gewerkschaft zu Beginn des sechsten Verhandlungstermins am Montag brachte nicht nur Druck auf die Verhandlungsteams der Metalltechnischen Industrie. Das Vorgehen der Gewerkschaft entfachte auch eine Diskussion über die Zulässigkeit von Arbeitsniederlegungen in den fünf anderen Branchenverbänden der Metallindustrie.

Denn Bergbau/Stahl-, Gießerei-, Fahrzeug- und Nicht-Eisen-Metallindustrie sehen sich vom ÖGB ebenso in Geiselhaft genommen wie die für die Metallindustrie essenziellen Gas-Wärme-Erzeuger. Sie alle bildeten bis vor zwölf Jahren eine Kollektivvertragsgemeinschaft, die Löhne und Gehälter für hunderttausende Metallarbeiter und Industrieangestellte in einem Aufwasch verhandelten. 2011 kündigten die Arbeitgeber-Fachverbände in der Wirtschaftskammer diese Runde auf, seither verhandelt jeder Branchenverband getrennt.

Die beabsichtige Differenzierung nach Branchen stellte sich jedoch nicht ein, denn das Gegenüber der Industrie blieb das gleiche: die Gewerkschaften Pro-Ge (ehemals Metall) und GPA. Die Termine sind seither gestaffelt, aber sobald der größte Fachverband, die in der Metalltechnischen Industrie vereinte Maschinen- und Metallwarenindustrie, einen Abschluss fixiert, schließen von Bergbau/Stahl über Aluhersteller bis Gas-Wärme-Erzeuger alle auf gleicher Höhe ab.

Warnstreiks querbeet

Ähnlich ist es bei den gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen. Warnstreiks finden querbeet statt – obwohl es sich nur in der größten Tarifgemeinschaft, der Metalltechnischen Industrie, spießt.

Das wollen sich Unternehmen der Fahrzeug-, Stahl- und Gießereiindustrie nicht mehr gefallen lassen. Sie verweisen auf ein Rechtsgutachten, in dem die Erhaltung der KV-Einheit der sechs Metallfachverbände als kein legitimes Streikziel bezeichnet wird. Auch ein unbefriedigendes Angebot legitimiere keinen Arbeitsausstand.

"Ein Streik ist selbstverständlich legitim und verfassungsrechtlich zulässig", betont der stellvertretende Vorstand des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Uni Wien, Wolfgang Mazal. "Aber er ist nur die Ultima Ratio, und es gibt klare Regeln: Das Streikziel muss erreichbar und seitens des Verhandlungspartners erfüllbar sein." Das sei hier nicht der Fall. Denn bei den Verhandlungen der Gewerkschaft mit den anderen Fachverbänden lägen – im Gegensatz zur Metalltechnischen Industrie (FMTI) – noch keine konkreten Angebote für einen Abschluss vor. Stahl- oder Kfz-Industrie seien nicht Verhandlungspartner des FMTI. Somit sei das Streikziel von den anderen Fachverbänden nicht erfüllbar. "Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Österreich nach vorherrschender Rechtslehre keinen Solidaritätsstreik", sagt Mazal. Geschädigte, etwa Mitgliedsfirmen anderer Fachverbände, könnten auf Unterlassung klagen.

Lohntafeln abgelaufen?

Diametral anders sieht dies Mazals Kollege Martin Gruber-Risak, der ebenfalls am Institut für Arbeits- und Sozialrecht lehrt. Er verweist auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der Streiks aus Solidarität für legitim erkannt hat. Wohl gebe es eine Friedenspflicht während der Laufzeit von Kollektivverträgen, aber die sei bei den Metallern bereits abgelaufen – mit den Lohntafeln aller sechs KVs, die bis 31. Oktober in Geltung waren. Die neuen KVs sollten am 1. November in Kraft treten – um sie wird gerade gerungen.

Die Bundessparte Industrie in der Wirtschaftskammer widerspricht: "Alle Kollektivverträge der fünf Metall-Fachverbände sowie die KVs der Berufsgruppe der Gießerei-Industrie haben keine befristeten Lohn- oder Gehaltstafeln, sondern diese wurden unbefristet abgeschlossen und sind daher weiterhin in Geltung, weshalb weiterhin von einer aufrechten und die KV-Parteien bindenden Friedenspflicht auszugehen ist."

Allfällige Einschränkungen des Streikrechts wären laut EGMR auf nationaler Ebene grundsätzlich zulässig, sagt Gruber-Risak. Aber Österreich habe nichts dergleichen umgesetzt. "Deshalb gilt das Streikrecht in vollem Umfang."

Spielraum sollte ein Aviso von Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) bringen: Er will die Steuer- und Abgabenfreiheit von Einmalzahlungen auf 2024 erstrecken – sofern diese Teil eines Kollektivvertrags sind und dies von den Sozialpartnern gewünscht wird.

(Luise Ungerboeck, 13.11.2023)