Götter in Weiß? Ärztevertreter hätten in Österreich zu viel Einfluss, glaubt der Gesundheitsminister und will den Einfluss nun begrenzen.
Mareen Fischinger via www.imago-

Johannes Rauch hatte schon einmal eine bessere Nachrede. Als "Totengräber des solidarischen Gesundheitssystems" hat die Ärztekammer den Gesundheitsminister tituliert. Grund sind Reformpläne des grünen Regierungsmitgliedes, die in den Ohren der Standesvertreter wie eine Provokation klingen.

Doch Rauch steht nicht allein. Am Dienstag erntete er demonstrative Unterstützung vonseiten des Koalitionspartners ÖVP, was angesichts früherer Verbindungen zur Kammer nicht selbstverständlich ist. "Die nun plötzlich auftauchende Kritik kommt nicht nur viel zu spät, sondern macht den gleichen Fehler wie in der Vergangenheit", urteilt Digitalisierungsstaatssekretär Florian Tursky: "Die Bürgerinnen und Bürger müssen im Mittelpunkt unseres Gesundheitswesens stehen und nicht Einzelinteressen." Rauch beweise im Verein mit der Bundesregierung Mut, so der Verteidiger. Transparenz und Kundenorientierung seien "nichts, vor dem man sich fürchten muss". Die "Blockadepolitik" im Gesundheitswesen müsse beendet werden.

Was die Kammer derart aufschreckt, lässt sich aus einem aktuellen Entwurf zu jener Gesundheitsreform schließen, die demnächst im Zuge des Finanzausgleichs fixiert werden soll: Tatsächlich drohen die Ärztevertreter beträchtlich an Einfluss zu verlieren.

Johannes Rauch, Florian Tursky
Rückhalt, statt in den Rücken zu fallen: Bei der Gesundheitsreform hält die Achse von Minister Johannes Rauch (Grüne) und Staatssekretär Florian Tursky (ÖVP).
BUNDESKANZLERAMT/REGINA AIGNER

"Digital vor ambulant und stationär" lautet das künftige Moto der Gesundheitsversorgung, soll heißen: Hilfesuchende sollen erst einmal Online- und Telefonberatung in Anspruch nehmen, ehe sie einen womöglich überflüssigen Arztbesuch machen. Ist ein solcher unausweichlich, sollen die Patienten möglichst ambulant behandelt werden, statt im teureren Spital zu landen. Dies soll durch den raschen flächendeckenden Ausbau von Primärversorgungseinheiten (PVE) und anderen ambulanten Fachangeboten gelingen.

Ruf des Blockierers

Doch die Ärztekammer genießt bis dato weitreichende Mitbestimmungsrechte – und gilt nach Ansicht von Rauch und der für den Bereich der niedergelassen Ärzte zuständigen Gesundheitskasse (ÖGK) als Hindernis. Denn der Ausbau alternativer Versorgungsangebote deckt sich nicht zwangsläufig mit den Interessen der vertretenen Klientel. Manch traditionell gesinnter Mediziner bleibt lieber Einzelkämpfer in der eigenen Praxis und wünscht sich keine neue Konkurrenz.

Die Regierung schraubt diesen Einfluss zurück. Das Mitentscheidungsrecht bei der Errichtung von Primärversorgungszentren wurde bereits ausgehöhlt. Laut dem vorliegenden Entwurf soll nun auch die Zulassung selbstständiger Ambulatorien nicht mehr in jedem Fall der Zustimmung der Kammer bedürfen – etwa dann, wenn mindestens drei Ärztestellen in einer Region zweimal erfolglos ausgeschrieben wurden. Ebenfalls einfacher wird das Genehmigungsverfahren für Gruppenpraxen, auch für jene von Zahnärzten.

Kampfansage an das Veto

Aufgeweicht wird das Vetorecht überdies bei der Erstellung jener Stellenpläne, nach denen das ärztliche Angebot aufs Land verteilt wird. Bislang gilt eine paradoxe Regelung: Zwar erstellen Bundesländer und ÖGK regionale Strukturpläne (RSG), doch die Ärztekammer muss sich in den Verhandlungen über den konkreten Stellenplan nicht an diese Vorgaben halten, sondern lediglich "Bedacht" darauf nehmen. Nun sollen die RSG verbindlich werden, heißt es aus der ÖGK. Kommt es überdies innerhalb von sechs Monaten zu keiner Einigung mit der Kammer, kann die Kasse ohne ärztliche Mitsprache selbst entscheiden.

Sauer stößt den Kämmerern auch auf, dass Ärzte künftig in aller Regel nicht mehr ein bestimmtes Arzneimittel, sondern nur mehr einen Wirkstoff verschreiben sollen. Apotheken könnten dann einfacher auf andere Präparate ausweichen und Lieferengpässe umgehen, hofft der Gesundheitsminister. Weil die Pharmazeuten dabei nach wirtschaftlichen Kriterien vorzugehen haben, sollte das günstigste Produkt zum Zug kommen.

Patienten liefen Gefahr, nicht das für sie beste Medikament zu erhalten, kritisiert die Kammer, niemand wisse darüber besser Bescheid als der Arzt. Da nur idente Wirkstoffe ausgegeben würden, gebe es kein Risiko, hält man in Rauchs Büro entgegen: Österreich sei das einzige EU-Land, wo es die Wirkstoffverschreibung noch nicht gebe

Weiteres Novum: Für die Bewertung des Einsatzes hochpreisiger und spezialisierter Arzneispezialitäten kommt – wie vom STANDARD berichtet – ein bundesweit einheitlicher Bewertungsprozess ("Bewertungsboard") zum Einsatz. Fachärzte warnten davor, dass bei akutem Bedarf für eine Behandlung Verzögerungen eintreten könnten. Michaela Wlattnig, die Wortführerin der Patientenanwälte in Österreich, äußert im STANDARD-Gespräch eine ähnliche Sorge sowie rechtliche Bedenken.

Verpflichtung zu E-Card und Elga

Ab 2026 sollen auch Wahlärzte verpflichtet sein, die E-Card und die Elektronische Gesundheitsakte (Elga) zu nutzen. Außerdem werden Ärzte zur Diagnose- und Leistungscodierung verpflichtet, wovon sich die Politik wichtige Erkenntnisse für die Planung des Gesundheitssystems erhofft.

All das will die türkis-grüne Regierung in den nächsten Tagen endgültig fixieren und spätestens kommende Woche im Ministerrat beschließen, die Regierungsvorlage soll in der nächstwöchigen Session des Nationalrats eingebracht werden. Der Beschluss des Pakets könnte dann im Dezember fallen. Auf das sonst übliche parlamentarische Begutachtungsverfahren will das Gesundheitsministerium verzichten, schließlich seien ohnehin alle Systempartner eingebunden gewesen.

Die Ärztekammer sieht das freilich entschieden anders, sie hat ihre Arsenale vorsorglich aufmunitioniert. Allein die Wiener Sektion will laut Letztstand acht Millionen Euro für Kampagnen und Kampfmaßnahmen lockermachen. Fünf Millionen Euro sind derzeit für den Protest gegen die Situation an Wiener Spitälern vorgesehen, drei Millionen Euro dem Widerstand gegen die Bundesregierung gewidmet.

Spitalsärzte mit Hacker unzufrieden

Die unter Druck geratene Wiener Ärztekammer teilt aktuell jedenfalls in viele verschiedene Richtungen aus. Neben dem Kampf gegen die Gesundheitsreform der türkis-grünen Bundesregierung wird seit längerem schon Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) ins Visier genommen. Am Dienstag veröffentlichte die Ärztekammer einen weiteren Teil einer Umfrage unter den Wiener Spitalsärzten, wonach 66 Prozent der Befragten mit der Politik von Hacker "gar nicht" oder "eher nicht" zufrieden sind. Im Vorjahr hat dieser Wert laut der Spitalsumfrage von Meinungsforscher Peter Hajek 42 Prozent betragen.

Am negativsten sei Hackers Arbeit in den Spitälern des Wiener Gesundheitsverbunds beurteilt worden: Hier gaben 73 Prozent der Befragten an, "gar nicht" oder "eher nicht" zufrieden zu sein. Befragt wurden 1.887 Spitalsärztinnen und -ärzte in einer, wie Hajek anmerkte, "vollkommen repräsentativen" Online-Umfrage im August und September 2023. Die Stichprobe entspreche "allen Kriterien der Wissenschaft".

Abgefragt wurde auch die Qualität der Unternehmensführung in den Spitälern: 61 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte äußerten sich nicht zufrieden, in den Häusern des Wiener Gesundheitsverbunds betrug der Wert 72 Prozent. Hajek konstatiert "eine breite Unzufriedenheit" unter den Wiener Spitalsärzten. Die Umfrageergebnisse seien ein "Appell an alle Stakeholder, sich der Sache anzunehmen".

Warnstreik am 4. Dezember in Wien

Stefan Ferenci, Vizepräsident der Wiener Ärztekammer, meinte, dass er kein "Politiker-Bashing" gegen Hacker betreiben wolle. Dem Spitalspersonal würden vonseiten der Stadtregierung aber keine Lösungen für die Personalmisere vermittelt. Der angekündigte Protestmarsch der Spitalsärzte am 4. Dezember ab 14 Uhr in der Wiener Innenstadt sei ein "Hilfeschrei". Gefordert werden vor allem mehr Gehalt und mehr Personal.

In der Diskussion über die Gesundheitsreform stimmte Ferenci Gesundheitsminister Rauch zu, dass Reformen notwendig seien. Die Kammer sei teilweise auch "zu wenig progressiv und innovativ". Allerdings verteidigte Ferenci auch das Vorgehen der Kammer, die gegen ihre Entmachtung kämpft und mit dem Ausstieg aus dem Gesamtvertrag mit der Sozialversicherung droht. Die Ärztekammer müsse weiterhin beim Gesamtvertrag mitbestimmen können. Die geplante Entmachtung der Ärztekammer in dieser Frage ist laut Ferenci "ein Tabubruch".

Im seit Monaten tobenden Machtstreit innerhalb der Wiener Ärztekammer hatte Vizepräsident Ferenci auch den Rücktritt von Präsident Steinhart gefordert. Einer entsprechenden Frage, ob er den Rücktritt seines Präsidenten weiterhin fordere, wich Ferenci aus. Es sei jetzt wichtiger, "interne Streitigkeiten hintanzustellen". Ein weiterer Steinhart-Kritiker, der Wiener Kammer-Finanzreferent Frédéric Tömböl, gab hingegen in einem Schreiben an die Ärztekammer seinen Rücktritt von dieser Funktion bekannt. Sein Mandat im Vorstand der Wiener Ärztekammer sowie in der Vollversammlung werde er aber weiterhin ausüben. (Gerald John, David Krutzler, 14.11.2023)