Spektakulär ist wohl untertrieben für das, was Forschenden in Japan gelungen ist: Sie schafften es, Hautzellen männlicher Mäuse in Eizellen umzuwandeln, diese zu befruchten und Mäuseleihmüttern einzusetzen, die gesunde Mäuse zur Welt brachten. Für den Nachwuchs brauchte es also gar keine Mutter mehr. Das Experiment sorgte international für Aufsehen. Der britische "Economist" berichtete darüber in einem Artikel mit dem Titel: "Making Babymaking Better". Darin steht, dass neue Technologien das Kinderkriegen in Zukunft revolutionieren könnten. Laut Genetikern ist es nämlich wahrscheinlich, dass die Technologie bereits in zehn Jahren beim Menschen funktioniert.

Eva Maria Bachinger warnt eindringlich vor solchen Entwicklungen. Sie ist Journalistin und hat sich für zwei Bücher mit der Fortpflanzungsmedizin auseinandergesetzt. Bachinger hat ausführlich zum Thema recherchiert, mit Medizinerinnen und Medizinern gesprochen, mit Ethikern und Philosophinnen, mit Paaren, die sich sehnlichst Nachwuchs wünschen, mit Kindern, die aus einer Samenspende entstanden sind und nichts über ihren Vater wissen, mit Psychologinnen und Psychiatern und vor allem auch mit Leihmüttern. Bachinger sagt: Nicht alles, was machbar ist, sollte auch gemacht werden. Denn die Folgen seien oft nur schwer abschätzbar. Nicht die Sehnsucht von Erwachsenen nach Nachwuchs, sondern die Rechte und das Wohl der Kinder sollen im Vordergrund stehen. Ein Interview über den menschlichen Kontrollwahn und Grenzen auf dem Weg zum Wunschkind.

STANDARD: Erst kürzlich hat ein Experiment Wellen geschlagen: Forschenden der japanischen Universität Kyūshū ist es gelungen, aus den männlichen Hautzellen einer Maus eine weibliche Eizelle zu entwickeln. Sie konnte befruchtet und der entstandene Embryo einer weiblichen Maus eingesetzt werden – kurze Zeit später kam eine gesunde Maus zur Welt, mit zwei biologischen Vätern. Genetiker halten es für sehr wahrscheinlich, dass das in zehn Jahren auch beim Menschen funktionieren wird. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Bachinger: Ich verstehe den Forscherdrang und dass man solche Dinge ausprobieren will. Gleichzeitig ist es eine sehr unheimliche Entwicklung, so wie auch die Forschung zur künstlichen Gebärmutter. Es scheint, als würde das ganze Potenzial, das der Mensch hat, auf Maschinen ausgelagert. Man denkt, das Künstliche, das Technische ist besser als das Natürliche. Zurzeit herrscht ein unglaubliches Machbarkeits- und Optimierungsdenken.

STANDARD: Die Maschinen schaffen für uns Dinge, die wir so nicht schaffen würden?

Bachinger: Durch sie haben wir das Gefühl, dass wir alles kontrollieren können. Oder wie es der deutsche Philosoph Odo Marquard so schön ausgedrückt hat: Wir haben uns vom Schicksal verabschiedet. Natürlich müssen wir unser Leben in die Hände nehmen und das Beste daraus machen. Aber derzeit meinen wir, alles tun, alles schaffen zu können, ohne irgendwelche Grenzen einzuhalten. Das Problematische daran: Irgendwann ist es nicht mehr möglich, die Folgen von alledem abzuschätzen – allen voran für die Kinder, die daraus entstehen.

STANDARD: Viele sehen es jedoch als Errungenschaft, als Gleichberechtigung, möglichst allen Menschen biologische Kinder zu ermöglichen.

Bachinger: Ich frage mich bei dem Thema immer mehr: Wieso ist es eigentlich so dringend nötig, dass jeder, wirklich jeder, genetisch eigene Kinder hat, um jeden Preis und mit jedem erdenklichen Aufwand? Dass man sich über die Forschungsergebnisse freut, ist die eine Sache. Aber die andere ist, sich zu fragen, wie man das in die Praxis umsetzt. Und wo hier noch die Grenzen sind. Das sind die unangenehmen Fragen, die sich eine Gesellschaft stellen müsste.

STANDARD: Ihr Buch ist "Ein Plädoyer für klare Grenzen". Wo ziehen Sie diese?

Bachinger: Die Grenzen sind die Menschenrechte, weil sie für uns alle Konsens sind. Die Kinderrechte sind Teil der Menschenrechte, und in der Kinderrechtskonvention gibt es drei Artikel, die bei dem Thema wichtig sind. Erstens das Recht auf Kenntnis der Herkunft, das aus meiner Sicht anonyme Spenden von Samen, Eizellen oder Embryonen verbietet. Zweitens gibt es das Recht, nicht gegen Geld gehandelt zu werden – und das ist bei einer sogenannten Leihmutterschaft der Fall. Eine Leihmutter bekommt den Großteil ihres Honorars erst dann, wenn sie ein gesundes Kind abgibt. Kind gegen Geld – das ist ein Handel, und das ist verboten. In der Kinderrechtskonvention steht außerdem: Bei allem muss überprüft werden, ob das dem Wohl des Kindes entspricht. Das gilt auch für Gesetze zur Fortpflanzungsmedizin. Für mich steht allerdings viel zu sehr der Wunsch von Erwachsenen im Vordergrund.

STANDARD: Die Sehnsucht von Paaren nach einem Kind wird also über das Wohl und die Rechte von Kindern gestellt?

Bachinger: Genau und das kann nicht sein. Der Kinderwunsch ist ein Wunsch, der zu respektieren ist, aber daraus entsteht nicht automatisch ein Anspruch auf alles. Die Rechte der einen Person müssen immer auch gegen die Rechte anderer abgewogen werden – in diesem Fall gegenüber jenen von Kindern. Mich wundert bei dem Thema sehr, dass es zwar ums Kinderkriegen geht – das Wohl der Kinder dann aber völlig in den Hintergrund gestellt wird. Wie gut das für sie überhaupt ist, scheint vollkommen zweitrangig. Menschen haben kein Recht auf ein Kind. Sie haben ein Recht auf Gleichstellung, auf Familienleben, aber in erster Linie haben Kinder Rechte. Weil sie hier die Schwächeren sind. Auch die Situation von Leihmüttern müsste eine stärkere Rolle in der Diskussion spielen. Denn wenn man das Szenario aus dem Experiment zu Ende denkt: Wollen zwei Männer ein Kind zusammen haben, braucht es eine Leihmutter.

"Mich wundert bei dem Thema sehr, dass es zwar ums Kinderkriegen geht – das Wohl der Kinder dann aber völlig in den Hintergrund gestellt wird. Wie gut das für sie überhaupt ist, scheint vollkommen zweitrangig." (Eva Maria Bachinger, Buchautorin)

STANDARD: Sie haben für Ihr Buch auch mit Leihmüttern gesprochen. Wie ist ihre Situation?

Bachinger: Die Leihmütter, die ich kennengelernt habe, waren vorwiegend Russinnen und alleinerziehend. Sie haben sich dazu entschieden, weil sie das Geld brauchten. Für mich erschreckend war, wie die Verträge gestaltet sind. Durch sie gilt das Recht, über den eigenen Körper selbst zu bestimmen, plötzlich nicht mehr. Über einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden beispielsweise das Wunschelternpaar und der Arzt, die Ärztin, etwa wenn ein Kind eine Behinderung hat oder nicht das gewünschte Geschlecht. Außerdem gibt es oft strenge Vorschriften: Die Frauen dürfen nicht reisen oder mit ihrem Ehemann Geschlechtsverkehr haben. Deshalb leben sie manchmal mehrere Monate lang getrennt von ihrer Familie in einer Wohngemeinschaft. Ohne dass die Familie weiß, was sie dort eigentlich machen. Die meisten Leihmütter haben auch vorschriftsmäßig einen Kaiserschnitt, weil das als weniger risikoreich gilt. Angesichts dessen davon zu sprechen, dass die Leihmutter eine selbstbestimmte Frau ist, erscheint mir zynisch.

Ich habe auch eine Leihmutter aus Georgien interviewt, die ein Kind für einen alleinstehenden Dänen ausgetragen hat. Sie hat das Kind zur Welt gebracht, er aber ist erst nach zwei oder drei Wochen gekommen. In dieser Zeit war das Kind bei ihr. Es dann abzugeben ist ihr extrem schwergefallen. Immer mal wieder verschwinden auch Kinder, die nicht abgeholt werden. Das ist die traurige Seite des Ganzen. Wenn man auf die Website der Klinken geht, merkt man natürlich nichts davon. Dort wird oft alles so romantisch dargestellt. Alles ist rosa, und zu sehen sind süße Babyfotos.

STANDARD: Sehr oft kommt der Begriff "helfen" auf: die Leihmütter, die Kinderlosen unbedingt helfen wollen, die Kinderwunschkliniken, die helfen wollen. Wieso spielt das so eine zentrale Rolle?

Bachinger: Dass es plötzlich so viele selbstlose Helferinnen gibt, ist tatsächlich auffällig. Natürlich kann es ein Motiv sein, kinderlosen Paaren zu helfen. Aber anstatt um echten Altruismus geht es darum, das eigentliche und nicht so ehrenwerte Motiv zu verschleiern: Geld. Die Leihmütter stellen sich aus einer sozialen Not heraus zur Verfügung. Und Kinderwunschkliniken verdienen sehr viel Geld mit ihren Angeboten. Die Reproduktionsmedizin sucht laufend nach neuen Zielgruppen und nach neuen Märkten, um mehr Profit zu erzielen. Egg-Freezing zum Beispiel war ursprünglich gedacht für Frauen, die krank sind, die Krebs haben. Es sollte dazu dienen, diesen Frauen nach der Behandlung ein Kind zu ermöglichen. Inzwischen nutzen es allerdings auch völlig gesunde Frauen.

STANDARD: In Tschechien gibt es die Möglichkeit der sogenannten Embryoadoption. Paare können eingefrorene Embryos, die von ihrer Behandlung übriggeblieben sind, an andere Paare spenden. Sie haben ihre Familienplanung meist abgeschlossen und erhalten dafür kein Geld. Ist das nicht sinnvoll?

Bachinger: Erst einmal ist fraglich, wie erfolgreich man damit überhaupt schwanger werden kann. Ein Frauenkörper stößt einen komplett fremden Embryo eher ab. Außerdem stellt sich die Frage, wie offen die Herkunft gehandhabt wird. Der herkömmlichen Adoption eines Kindes geht ein aufwendiges Prozedere voraus. Die Adoptiveltern haben Vorbereitungen und Kurse, weil die Behörden möchten, dass sie sich auch mit dem fremden Anteil des Kindes auseinandersetzen. Bei der Embryoadoption gibt es überhaupt keine Vorbereitung. Das Fremde wird einem dabei regelrecht eingepflanzt, und man ist nicht gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen. Dabei wäre das sehr wichtig, denn wie wir aus der Adoptionsforschung wissen, wird das Kind später Fragen stellen. Es gibt da offenbar den Drang in uns zu wissen: Woher komme ich? Wer waren meine leiblichen Eltern? Wenn die Embryospende anonym war, wird es schwierig, das nachzuvollziehen.

STANDARD: Sie haben auch mit Jugendlichen gesprochen, die aus einer Samenspende entstanden sind, das aber erst später herausgefunden haben. Sie hatten dann Schwierigkeiten, ihren biologischen Vater aufzuspüren. Was haben Sie dabei erfahren?

Bachinger: Diese Jugendlichen haben sich zu dem Verein Spenderkinder formiert, um darauf hinzuweisen, dass hier die Kinderrechte verletzt werden. Das bedeutet aber nicht, dass diese Kinder einen psychologischen Schaden haben oder ihr Leben auf Dauer nicht meistern. Es heißt nur, dass ihnen ein Recht verwehrt wird, das ein Menschenrecht ist – nämlich jenes, beide Eltern zu kennen. Eine junge Frau sagte mir, ihr Ohr sei auf eine Art geformt, wie es sonst in ihrer Familie nicht vorkommt, und sie glaubt, sie habe das von ihrem Vater. Die jungen Erwachsenen haben mir das so geschildert: Man will es einfach wissen, man möchte diesen Menschen einmal kennenlernen. Für viele bleibt das eine offene Wunde. Auch beim Arzt wird nach Vorerkrankungen in der Familie gefragt, und dann hat man da einen blinden Fleck. Es ist deshalb sehr bedauerlich, dass es immer noch Staaten gibt, die die anonyme Spende zulassen. Die Informationen müssten staatlich gesichert werden, um das Kinderrecht auf Kenntnis der Herkunft zu wahren. Auch in Österreich fehlt nach wie vor ein zentrales Spendendatenregister. Ich höre, dass private Kliniken sich oft weigern, Auskunft zu geben, obwohl sie eigentlich müssten.

Kinderwagen; Gehweg
Wer sich sehnlichst ein Kind wünscht, dem kann heute oft geholfen werden – Medizin und Wissenschaft machen es möglich. Dennoch dürfen Ethik und Moral nicht aus dem Blick geraten, mahnt die Autorin Eva Maria Bachinger.
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STANDARD: Immer öfter gibt es das Phänomen der "Single Mother by Choice". Das sind Frauen, die sich dazu entscheiden, mittels Samenspende schwanger zu werden und das Kind allein aufzuziehen. In Österreich ist das nicht erlaubt, deshalb gehen die Frauen ins Ausland. Wie beurteilen Sie das?

Bachinger: Ich bin immer wieder erstaunt, dass man das freiwillig will! Allein für ein Kind verantwortlich zu sein ist eine große Herausforderung. Es kann natürlich sein, dass Frauen, die privilegiert sind, das trotzdem gut machen. Weil sie genug Geld haben und Familie und Freunde, die sie unterstützen. Dennoch steht auch hier ein egoistisches Motiv im Vordergrund: Ich will etwas, ich habe das nötige Geld dafür, und der Staat soll mir meine Freiheit nicht beschränken. Ich finde es wirklich bedauerlich, dass man alles planen und kontrollieren muss und dem Leben nicht mehr vertrauen kann. Es gibt eine Vorstellung von einem perfekten Leben, aber keine Bereitschaft mehr zu schauen, wie ein gelungenes Leben aussehen kann. Und ob dafür unbedingt ein genetisch eigenes Kind nötig ist. Außerdem: Ein Kind hat wie gesagt ein Recht auf beide Eltern, das ist ein Kinderrecht. Insofern wird vorsätzlich ein anderer Elternteil vorenthalten.

STANDARD: Sie merken auch an, dass es viele Kinder gibt, um die sich niemand kümmert. Sie aufzunehmen ist eine Möglichkeit, an die die meisten nicht gleich denken.

Bachinger: Heutzutage ist man so sehr auf das "Eigene" bedacht, da ist so ein Besitzdenken. Das "eigene" Kind, das "eigene" Haus, das "eigene" Auto. Aber wenn wir eine menschliche Gesellschaft sein wollen, müssen wir dafür sorgen, dass es allen Kindern gutgeht. Wir haben auch eine Verantwortung gegenüber jenen Kindern, die aus schwierigen Verhältnissen kommen oder keine Eltern haben. Sie aufzunehmen kann sehr gutgehen, wie Beispiele zeigen. Bei einer Kinderwunschbehandlung geraten Paare oft in eine Endlosspirale: Sie investieren so viel Zeit, so viel Geld und Nerven, dass sie nicht loslassen können. Ich finde, vor so einer Behandlung sollte ehrlicher über die Wahrscheinlichkeit gesprochen werden, so schwanger zu werden. Ich habe Paare getroffen, die seit vielen Jahren künstliche Befruchtung versuchen und immer noch kinderlos sind. Ich bin der festen Überzeugung: Aus diesem Schmerz kann man etwas machen, es kann auch einen anderen Weg geben, der ebenso erfüllend ist.

STANDARD: "Der rasante Fortschritt lässt kaum noch Zeit zum Innehalten, ob und wie wir überhaupt so weit fortschreiten wollen", schreiben Sie. Wo müsste diese Diskussion stattfinden?

Bachinger: Jeder muss sich diese Frage stellen. Aber auch die Gesellschaft als Ganzes, die Politik. Bevor Gesetze beschlossen werden, sollten wir uns für die ethische Diskussion mehr Zeit lassen. In der Vergangenheit wurden kaum Vertreterinnen und Vertreter aus Berufen gehört, die mit den negativen Folgen dieser Medizin zu tun haben, etwa Hebammen, Ärzte oder Kinderpsychiaterinnen. Wir haben ein Problem damit, innezuhalten und zu schauen: Was passiert da eigentlich, und wo wollen wir hin? Die Reproduktionsmedizin hat sich ähnlich entwickelt wie die ästhetische Chirurgie: Früher ging es um Unfallopfer, die wieder ein Gesicht bekommen sollten. Mittlerweile ist die Schönheitschirurgie explodiert. Ähnlich ist es bei der Fortpflanzungsmedizin, die inzwischen zum Lifestyle geworden ist. Aber das darf nicht auf Kosten von anderen gehen, von Schwächeren und Ärmeren. (Lisa Breit, 20.11.2023)