Archivbild während eines Montagsgebets in einer Wiener Moschee.
IGGÖ

"Unsere Brüder, die Führer der Hamas, die Führer des Widerstandes": Diese Worte sollen vor bald zehn Jahren in den Räumen der sogenannten Al-Hidaya-Moschee zu hören gewesen sein, einem bekannten muslimischen Gebetshaus in der Wiener Innenstadt. Gepredigt habe sie Ibrahim D., ein heute 54-jähriger Mann, geboren in Ägypten. In weiterer Folge seiner rein auf Arabisch gehaltenen Rede soll sich D. direkt an Gott gewandt und gesprochen haben: "Zerstöre die verfluchten Zionisten überall."

Es soll ein bedrohlich wirkender Abgesang auf das Existenzrecht Israels gewesen sein. Nicht zum ersten Mal. Schon in einer vorangegangenen Rede habe D. prophezeit: "2020 wird eine noch nie dagewesene Renaissance beginnen, 2027 wird Israel vom Erdboden verschwinden, durch die Hand von Männern, die sich Gott verschrieben haben."

Aufgrund der Massaker der Hamas in Israel und des neu entfachten Krieges in Nahost wirken diese alten Predigten bedrückend aktuell. Und es stellt sich die Frage, welche Geisteshaltung D. für gewöhnlich als Imam in Österreich vertritt, während ihm – wie er selbst in einer Einvernahme sagte – im Schnitt 400 bis 600 Personen bei seinen Predigten in der besagten Moschee lauschen, darunter auch Jugendliche.

Die Sicherheitsbehörden hegen den Verdacht, dass die Reden kein Zufall waren und D. ein extremer Prediger ist. Die Staatsanwaltschaft Graz hat Ermittlungen eingeleitet. Sie stützt sich dabei auf eine 143 Seiten dicke Studie der Dokumentationsstelle Politischer Islam aus dem vergangenen Dezember. Im Zuge derer wurden etliche Videopredigten des Imams ausgewertet, die in den Jahren 2013 bis 2020 auf Youtube hochgeladen wurden. DER STANDARD berichtete.

Das Fazit der Recherchen ist für die Forschungsstätte klar: D. soll in seinen Predigten die Ideologie der Muslimbruderschaft verbreitet, "das Martyrium und den Tod im Einsatz für die Religion" verherrlicht und offen mit der palästinensischen Terrororganisation Hamas sympathisiert haben. D. predigt nach wie vor in der Al-Hidaya-Moschee.

Aber was ist an alldem dran? Das lässt sich nicht mehr so leicht überprüfen. Einige der teils jahrealten Videopredigten auf Youtube wurden seit den Ermittlungen von den Betreibern auf "privat" gestellt, sind also nur noch für einen ausgewählten Personenkreis einsehbar. Und D., ebenfalls Beschuldigter in der viel diskutierten Operation Luxor gegen mutmaßliche Muslimbrüder in Österreich, gibt sich in seinen Polizeieinvernahmen bisher äußerst zugeknöpft.

Die Hamas, die "jeder vom Fernsehen her kennt"

In der vorerst letzten verakteten Einvernahme vom August versuchte D. die Vorwürfe gegen ihn vom Tisch zu wischen. Die Studie sei nicht wissenschaftlich, klagte er laut Protokoll, das dem STANDARD vorliegt. Die Übersetzungen seien nicht zu hundert Prozent korrekt, Ausschnitte aus den Videos aus dem Zusammenhang gerissen. Mit der Hamas will D. ebenfalls nichts zu tun haben. "Hamas kenne ich schon, da es ja ein jeder vom Fernsehen her kennt", sagte D. einmal in einer anderen Einvernahme. Der Prediger gab damals an, nicht zu wissen, ob sie eine Terrororganisation sei.

Wer die Predigten hochgeladen habe oder wer hinter den Youtube-Accounts stecke, könne sich D. ebenfalls nicht erklären. Das glauben ihm die Staatsschützer aber nicht. Es sei für sie nicht auszuschließen, dass D. die Videos am Ende doch selbst hochgeladen haben oder zumindest ein Mitwisser gewesen sein könnte.

Stille bei Frage nach Staat und Religion

Als die Ermittler damit begannen, D. mit den Inhalten seiner Predigten zu konfrontieren, wurde er jedoch immer schweigsamer. Im Juni 2017 soll D. etwa in der Moschee sinngemäß gepredigt haben, dass der Islam alle Aspekte des Lebens umfasse, also auch "Religion und Staat". Das hörte sich für die Sicherheitsbehörden wohl wie ein Bekenntnis zur Scharia an, die eine von Gott gesetzte Ordnung vorsieht. Was D. von der Trennung von Staat und Religion in Österreich halte, wurde er von den Ermittlern gefragt. "Ich habe dazu keine Antwort", sagte D. Kurz darauf weigerte sich der Prediger, weitere Fragen zur Causa zu beantworten.

Wo genau es aus Sicht von D. zu Schnitzern in der Studie der Dokumentationsstelle gekommen sein soll, lässt der Prediger also unbeantwortet. Warum eigentlich? Wegen des Umfangs mancher Fragen habe man sich "eine detaillierte Darstellung vorbehalten", bleibt der Anwalt des Mandanten, Farid Rifaat, auf Nachfrage kryptisch.

Ermittler lassen Verjährung nicht gelten

Aus Sicht von Österreichs Staatsschützern steht gegen D. in Summe der Vorwurf im Raum, dass der Prediger die Hamas-Terroristen "rühmlich und nachahmenswert vor einer breiten Öffentlichkeit in einer Art" dargestellt und zusätzlich zu Hass gegen "Ungläubige" aufgestachelt habe. Nach Einschätzung der Behörden könnte das unter anderem den Straftatbestand der Verhetzung erfüllen. Dabei ginge es um eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.

Dass die Predigten teilweise vor langer Zeit gehalten wurden und eine mögliche Strafbarkeit damit verjährt sein könnte, wollen die Ermittler laut Ermittlungsakt nicht gelten lassen. Die Predigten seien immerhin bis zum 25. April noch auf Youtube abrufbar und somit einem größeren Publikum zugänglich gewesen, lautet das Argument der Polizei.

Aus Sicht der Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) würden die "zitierten Passagen" in jene Zeit fallen, in der die IGGÖ noch nicht für das Gebetshaus zuständig gewesen sei. Seit die Moschee unter dem Dach der IGGÖ firmiert, konkret seit 31. Mai 2016, seien dort keinerlei Probleme aufgetaucht, "weder in der genannten Studie noch bei stichprobenartigen Besuchen der Freitagsgebete durch die IGGÖ". Gegenüber der IGGÖ habe der Prediger laut "Salzburger Nachrichten" zudem betont, er habe die Hamas in seinen Predigten nie erwähnt.

Hinsichtlich des Imams seien der Religionsvertretung laut eigenen Angaben auch die Hände gebunden. Die Moschee sei Teil einer Kultusgemeinde. Und die sei für die Bestellung und Abberufung ihrer Imame selbst verantwortlich. Die IGGÖ könne lediglich bei einer rechtskräftig strafrechtlichen Verurteilung des Predigers eingreifen – oder wenn er gegen die Lehre der Glaubensgemeinschaft verstoße. Das Islamgesetz lässt allerdings auch eine Abberufung bei moralischen Verstößen zu. (Jan Michael Marchart, 21.11.2023)