Island, Vulkan, Grindavík, Fahrbahnschäden.
Die Erdstöße und Bodenverschiebungen der letzten Tage haben in und rund um Grindavík für Schäden an Gebäuden und Infrastruktur gesorgt.
Foto: Reuters/ Road Administration of Iceland

Die Gemeinde Grindavík, nur 40 Kilometer südwestlich der isländischen Hauptstadt Reykjavik, liegt direkt über einer emporsteigenden Magmablase. Die Behörden haben den Ort und seine Umgebung vor drei Tagen evakuiert, mehr als 3.400 Menschen mussten verhältnismäßig eilig ihr Zuhause verlassen. Einige konnten für kurze Zeit und im Rahmen einer organisierten Aktion zurückkehren, um wichtige Habseligkeiten und Haustiere zu holen.

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Der Grund für diese Dringlichkeit war eine immer noch anhaltende Serie von mehreren Hundert Erdbeben in der Gegend, 15 davon erreichten zuletzt eine Stärke von über 3,0, zwei übersprangen sogar die 4,0-Marke. Die Erdstöße verursachten schwere Schäden an Straßen und Gebäuden. Fachleute der Isländischen Meteorologischen Behörde (IMO) sehen darin Vorboten eines möglichen Ausbruchs und riefen eine erhöhte Gefahrenstufe aus.

Blaue Lagune, Island, Vulkan
Die Blaue Lagune in unmittelbarer Nähe des Vulkanherds musste vorläufig ihren Badebetrieb einstellen.
Foto: AFP/HALLDOR KOLBEINS

Die vulkanischen Aktivitäten haben auch für die Schließung einer wichtigen Touristenattraktion gesorgt: Die berühmte Blaue Lagune, ein Freiluftthermalbecken bei einem Geothermalkraftwerk vier Kilometer nördlich von Grindavík, wurde schon am Donnerstag geschlossen. Hier sind es vor allem austretende giftige Gase, die den Verantwortlichen Sorgen bereiten.

Wo liegt das betroffene Gebiet, und was geht dort vor?

Grindavík liegt an der Südküste der Halbinsel Reykjanes im Südosten von Island. Das naheliegende brodelnde Gebiet Fagradalsfjall war zuletzt der ideale Touristenvulkan: überschaubar in der Ausdehnung und erreichbar für nahezu alle Grade der Wanderlust und -fähigkeiten. Das Vulkansystem Fagradalsfjall brach 2021 zum ersten Mal seit mehr als 6.000 Jahren wieder aus. Seither wird die Landschaft dort von dicken, schwarzen Lavakrusten, Rauch und Asche beherrscht.

In Zusammenhang mit dem Vulkan steht ein mittlerweile 15 Kilometer langer Magmakorridor im Untergrund, der sich laut der isländischen Katastrophenschutzbehörde von nordwestlich von Grindavík bis in den Atlantik erstreckt. Die größte Magmakonzentration vermutet die IMO in Sundhnúkur nahe der Blauen Lagune, 3,5 Kilometer nordwestlich von Grindavík. Diese Angaben stützen sich auf Modelle und Daten, die am Samstag in dem Gebiet gesammelt wurden. Per Satellitenaufnahmen festgestellte Bodenhebungen in den vergangenen Tagen und nicht zuletzt die jüngsten Schwarmbeben sprechen dafür, dass sich die Magmablase auch in Richtung Oberfläche bewegt, erklärten die Fachleute.

Welche Gefahr geht von dem Magma aus?

Laut IMO verlief die Magmablase Anfang der Woche in einer Tiefe von etwa 800 Metern. Schafft es das Magma, bis zur Oberfläche durchzubrechen, hängen die Folgen dieser Eruption von mehreren Faktoren ab, weshalb ihre Auswirkungen auch schwer vorherzusagen sind. Ein Magmaausbruch unter dem Meer hätte aufgrund des Aufeinandertreffens von Wasser und geschmolzenem Gestein eine explosivere Wirkung.

Island, Vulkan, Fagradalsfjall
Das Fagradalsfjall-Vulkangebiet bot Touristinnen und Touristen in den vergangenen Jahren ein beeindruckendes geologisches Schauspiel. Nun aber scheint sich womöglich Größeres anzubahnen.
Foto: REUTERS/CIVIL PROTECTION OF

Ein Ausbruch an Land dagegen würde mit Lavafontänen und Lavaflüssen für Grindavík und seine Umgebung eine größere Bedrohung darstellen. Wie sehr der Ort in Mitleidenschaft gezogen wird, hängt vor allem davon ab, wo das Magma schließlich die Oberfläche erreicht.

Womit rechnen Fachleute bei einem Ausbruch?

"Ich fürchte, wir nähern uns einer Eruption", erklärte Anfang November der Vulkanologe Thorvaldur Thordarson von der Universität Reykjavik im "Iceland Monitor". Das Magma habe sich in einer geringen Tiefe angesammelt. Um diese Regionen zu erreichen, muss es ein geringeres Gewicht haben. Der Forscher schließt daraus, dass das Magma weniger magnesiumhaltig und daher "gröber" und reich an Gasen sein dürfte, was eine heftigere Explosion und hohe Magmaausflussraten begünstigen würde. Ähnlich äußerten sich die Expertinnen und Experten der IMO:

Wäre auch Reykjavík von einem Ausbruch betroffen?

Derzeit sieht es nicht so aus, wiederum unter dem Vorbehalt, dass sich Ausmaß und Ort einer Eruption sehr schwer prognostizieren lassen. Das potenzielle Eruptionsgebiet liegt rund 35 Kilometer Luftlinie vom Zentrum der Hauptstadt Reykjavík entfernt. Deutlich näher und damit gefährdeter scheint der internationale Flughafen Keflavík, der sich etwa 20 Kilometer nordwestlich der aktiven Zone befindet.

Chaos im Flugverkehr würde ein Ausbruch dennoch nicht auslösen, meinen die Fachleute vom IMO – zumindest nicht in einem Ausmaß, wie es der Ausbruch des Eyjafjallajökull im Jahr 2010 bewirkt hatte. Damals führte die Kombination aus Lava und Gletschereis zu einer deutlich heftigeren Eruption. Riesige Aschewolken in der Atmosphäre beeinträchtigten den europäischen Luftverkehr über Wochen hinweg.

Kann sich die Situation auch wieder beruhigen?

Die Expertinnen und Experten, darunter Dave McGarvie von der University of Lancaster, Großbritannien, halten es auch für möglich, dass es das Magma gar nicht bis ganz nach oben schafft und aus dem Ausbruch nichts wird. Das Best-Case-Szenario wäre laut dem Vulkanologen, wenn sich die 15 Kilometer lange Magmawalze in der Tiefe wieder beruhigt, buchstäblich abkühlt und langsam erstarrt.

Island, Vulkan, Fagradalsfjall
Vorerst ist es mit den Besuchen bei den Schloten und Lavaflüssen im Fagradalsfjall-Vulkangebiet vorbei.
Foto: APA/AFP/JEREMIE RICHARD

Wie sieht es momentan dort aus?

Das IMO berichtet auf seiner Website laufend über das Geschehen im Vulkangebiet. Entlang eines neu entstandenen Grabens zwischen Sundhnúkagígar und Grindavík stellten die Wissenschafter zuletzt erhöhte Schwefeldioxid-Werte fest, doch die Messungen wurden durch schlechte Licht- und Windverhältnisse beeinträchtigt. Die Daten könnten aber darauf hinweisen, dass sich Magma bereits in den oberen hundert Metern der Kruste befindet.

Insgesamt bleibt es unruhig: Seit Mitternacht am 14. November wurden mehr als 700 Erdbeben entlang des Magmakorridors registriert. Zuletzt hatte hat sich die Lage offenbar etwas beruhigt. Satellitendaten zeigen, dass die Bodenbewegungen anhalten.

Auch in Italien rumort es im Untergrund – gibt es da eine Verbindung?

Ein Zusammenhang ist kaum anzunehmen. Die Vulkane Italiens verdanken ihre Existenz dem Abtauchen der afrikanischen Kontinentalplatte unter die europäische. Die isländischen Vulkangebiete dagegen stellen einen der wenigen Teile des Mittelatlantischen Rückens dar, der die Meeresoberfläche überragt.

Sorgen bereiten in Italien die Phlegräischen Felder nahe Neapel. In der Gegend ist es zuletzt zu zahlreichen Erdbeben gekommen, seit Monaten hebt sich die Region und zeigt auch andere Anzeichen verstärkter Aktivität. Seit einigen Tagen präsentiert sich weiter im Süden auf Sizilien auch der Ätna von seiner feurigen Seite. Lavafontänen und kilometerhohe Wolken aus magmatischen Gasen und Asche brachen zuletzt aus dem Krater des größten aktiven Vulkans Europas (Höhe: 3.357 Meter) hervor.

Vulkan, Ätna, Sizilien
Der Ätna auf Sizilien muss ab und zu etwas Dampf ablassen.
Fozo: AP/Salvatore Allegra

Auf mehrere Städte in der Umgebung ging Ascheregen nieder. Gefahr für die Bevölkerung bestand jedoch keine, wie die Behörden bekanntgaben. Der Ätna gilt als vergleichsweise "gutmütiger" Vulkan, der nicht explodiert wie der Vesuv bei Neapel, sondern regelmäßig und in kleineren Dosen Druck ablässt. Zuletzt war es im Winter 2020/21 so weit. Am Montag hat sich der Ätna bereits wieder beruhigt. (Thomas Bergmayr, 15.11.2023)