Das israelische Militär (IDF, Israel Defense Forces) ist in der Nacht auf Mittwoch in das Al-Shifa-Spital in Gaza-Stadt vorgerückt, das größte Krankenhaus im Gazastreifen. Man führe eine gezielte Operation in einem bestimmten Teil des Spitals durch, um Hamas-Terroristen aufzuspüren, hieß es. Wenige Stunden später erklärten die IDF, dass man beim Eindringen in das Krankenhaus Hamas-Kämpfer getötet habe. Im israelischen Armeeradio war von fünf Toten die Rede. Im Gebäude selbst seien Waffen gefunden worden. Diese Angaben können nicht unabhängig überprüft werden.

Israel betonte bei der Bekanntgabe der Militäraktion, Zivilisten im Krankenhaus schützen zu wollen. Den vorrückenden Kräften gehörten auch Mediziner und Arabischsprechende an. Sie seien besonders geschult, damit den als menschliche Schutzschilde missbrauchten Zivilisten kein Schaden entstehe. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilte am Mittwoch mit, den Kontakt zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Spitals verloren zu haben.

Al Shifa-Spital
Das Al Shifa-Spital (Archivfoto vom 8. November 2023).
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Wie heikel dieser Einsatz ist, zeigt die Reaktion der USA: "Wir unterstützen keine Luftangriffe auf ein Spital und wollen auch keine Feuergefechte in einem Spital sehen", sagte ein Vertreter des Nationalen Sicherheitsrats. Spitäler und Patienten "müssen geschützt werden".

Laut Völkerrecht haben medizinische Einrichtungen wie Spitäler im Krieg einen besonderen Schutz. Sie dürfen nicht angegriffen werden, aber sie dürfen auch nicht für militärische Zwecke missbraucht werden. Genau das aber wirft Israel der Hamas vor. Demnach befindet sich direkt unter dem Spital die Kommandozentrale der Terroristen in Gaza. Einige der unterirdischen Bunker seien demnach direkt vom Krankenhaus zugänglich, die Klinik sei außerdem an das kilometerlange Tunnelnetz der Hamas angeschlossen.

Versteck für hunderte Menschen

Ein Ex-Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes sagte der "New York Times", dass sich in den Bunkern unter der Klinik hunderte Menschen verstecken könnten. Ihm zufolge geht Israel davon aus, dass auf mehreren Etagen unter der Erde Besprechungsräume, Wohnräume sowie Lagerräume gebaut wurden. Außerdem sollen verschiedene Abteilungen im Krankenhaus genutzt werden, um Raketenabschüsse durchzuführen. Israel beruft sich dabei auf Geheimdienstinformationen, Satellitenaufnahmen sowie eine Audioaufnahme von Hamas-Kämpfern.

Sollte das Krankenhaus also tatsächlich auch militärischen Zwecken dienen, darf es laut Völkerrecht angegriffen werden; allerdings müssen Personal und Patienten gewarnt werden und ihnen ausreichend Zeit gegeben werden, damit sie evakuiert werden können. Wichtig ist dabei auch die Verhältnismäßigkeit: Wie wichtig ist das Ausschalten dieser Kommandozentrale – verglichen mit der Zahl der möglichen zivilen Opfer? Einheitliche Kriterien gibt es dafür aber nicht.

Karim Khan, Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, erklärte dazu schon Ende Oktober, dass Israel bei Attacken auf eigentlich geschützte Gebäude wie Spitäler belegen muss, dass diese auch tatsächlich für militärische Zwecke missbraucht werden.

Die USA schlossen sich am Dienstag auf alle Fälle Israels Darstellung an: Die Hamas und die militante Palästinenserorganisation Islamischer Jihad betrieben einen "Kommando- und Kontrollknoten von Al-Shifa in der Stadt Gaza" aus, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby. "Sie haben dort Waffen gelagert, und sie sind darauf vorbereitet, auf einen israelischen Militäreinsatz gegen die Einrichtung zu antworten."

Kein Strom mehr

Die Hamas weist all diese Vorwürfe zurück. Und Mohammed Abu Salmiya, Direktor der Klinik, nannte diese Anschuldigungen schon vor Tagen einen "irreführenden Versuch", die Menschen aus dem Krankenhaus zu vertreiben. Die Lage im Spital mit 700 Betten, einer Intensivstation und Abteilungen für Chirurgie, Innere Medizin, Radiologie, Geburtshilfe und Gynäkologie sei außerdem schon seit Tagen kritisch.

Am Samstag fiel der letzte Generator aufgrund von Treibstoffmangel aus. Seitdem seien mehr als 30 Patienten gestorben, darunter drei Säuglinge; außerdem seien dutzende weitere Neugeborene in einem lebensbedrohlichen Zustand, erklärte das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium im Gazastreifen. Diese Angaben können nicht unabhängig überprüft werden. Das Uno-Nothilfebüro OCHA teilte mit, unter anderem 36 Frühchen, die auf Brutkästen und damit auf Strom angewiesen sind, seien in akuter Lebensgefahr.

Laut diesem Gesundheitsministerium befinden sich derzeit mehr als 2.000 Menschen im Spital: an die 650 Patientinnen und Patienten, bis zu 500 Mitarbeiter und rund 1.500 Menschen, die dort vor den israelischen Luftangriffen Schutz gesucht haben. Der WHO zufolge wird auch ohne Strom alles versucht, um die Patienten zu versorgen. Die hygienische Lage im Spital spitzt sich aber zu: Laut WHO beginnen die Leichen darin zu verwesen. Und man traue sich nicht, das Gebäude zu verlassen, um diese zu begraben.

Israel hat mehrfach Hilfe angeboten. Am Sonntag etwa wurden 300 Liter Treibstoff in Plastikbehältern nahe dem Spital deponiert. Dieser war aber einen Tag später noch an Ort und Stelle. Die IDF werfen der Hamas vor, das Krankenhauspersonal daran zu hindern, den Treibstoff abzuholen. Diese weist den Vorwurf zurück. Die Spitalsleitung erklärte, es sei zu gefährlich, den Treibstoff abzuholen, und schlug vor, dass der palästinensische Rote Halbmond (das Äquivalent zum Roten Kreuz) ihn ins Gebäude bringen soll. So oder so wären 300 Liter nicht einmal ansatzweise genug. Laut WHO benötigt Al-Shifa pro Tag 17.000 Liter.

Brutkästen dabei

Was Frühgeborene betrifft, hat Israel vor einigen Tagen vorgeschlagen, Brutkästen zu liefern. Bei ihrem in der Nacht auf Mittwoch begonnenen Einsatz haben israelische Soldaten dann auch eigenen Angaben zufolge Brutkästen, Babynahrung und medizinische Hilfsgüter ins Spital mitgebracht.

Israel hat den Schutzsuchenden im Spital zugesichert, sie könnten es sicher verlassen, um gen Süden zu wandern. Die Spitalsleitung aber erklärte, rund um das Gebäude gebe es permanent Gefechte. Auch seien überall israelische Scharfschützen postiert, sodass man nicht ins Freie gehen könne.

Was die Patienten betrifft, gab es laut israelischen Medien zwischen Israel und Rettungsdiensten bereits eine Einigung, 50 Patienten zu verlegen. Als die Krankenwagen eintrafen, ließ die Hamas den Berichten zufolge aber nur sieben Menschen aus dem Shifa-Krankenhaus gehen. Die WHO lehnt die Verlegung von Patientinnen und Patienten ab, da dies das Leben der Betroffenen gefährde.

Wenn sich die IDF weiter durch das Spital kämpfen, steigt auch das politische Risiko. Wie die USA wollen auch andere Staaten keine Feuergefechte oder Explosionen darin sehen. Der Druck auf Israel würde noch mehr steigen, einem Waffenstillstand zuzustimmen. Dann könnte man wohl auch die Menschen im Krankenhaus sicher evakuieren.

Das wäre aber auch der Fall, würde Israel das Krankenhaus einnehmen. Dann, so der israelische Militärexperte Danny Orbach, wäre die Zerstörung des "Mittelpunkts der Hamas-Herrschaft" auch ein symbolischer Sieg Israels über die Terrororganisation. (Kim Son Hoang, 15.11.2023)