
"Kaum jemand kennt Wladimir Putin so gut wie Hubert Seipel, der als einziger westlicher Journalist einen direkten, persönlichen Zugang zu ihm hat. In seinem Buch analysiert er die Politik Russlands und ein globales Machtsystem, das sich neu ausrichtet."
So steht es Mittwoch noch auf der Website des renommierten deutschen Verlags Hoffmann und Campe zu lesen. Auch der preisgekrönte Journalist und Autor Hubert Seipel kommt zu Wort: "Wir müssen die Vergangenheit aufarbeiten. Ansonsten wird Europa da stehen bleiben, wo wir schon nach dem Ersten Weltkrieg standen – in den Schützengräben. Der Krieg der Erinnerung anstelle der Erinnerung an den Krieg garantiert nur eines: Krieg."
Doch nun möchte der Verlag diese Bücher nicht mehr unter die Leute bringen und hat den Verkauf gestoppt. Hoffmann und Campe teilte auch mit, der Verlag habe keine Kenntnis von dem geschilderten Sachverhalt gehabt. Seipel hatte Russlands Präsident Wladimir Putin mehrfach interviewt. 2015 erschien seine Biografie "Putin. Innenansichten der Macht". 2021 folgte das Buch "Putins Macht. Warum Europa Russland braucht" – beide im Verlag Hoffmann und Campe.
600.000 Euro im Spiel
Der "geschilderte Sachverhalt" schlägt seit Dienstag hohe Wellen. Hubert Seipel, Russland-Kenner, Putin-Biograf, Grimme-Preis-Träger, Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, wurde aus Russland bezahlt, und zwar allem Anschein nach seit mindestens zehn Jahren. Das belegen geheime Unterlagen, die dem STANDARD-Partner Paper Trail Media zugespielt wurden. Demnach unterschrieb Hubert Seipel im März 2018 einen Vertrag, der ihm mindestens 600.000 Euro einbringen sollte.
Die Informationen gingen aus vertraulichen Unterlagen zyprischer Finanzdienstleister hervor. Gemeinsam mit dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) wurden entsprechende Datenleaks ausgewertet. Unter den Medienpartnern waren die "Washington Post" und der "Guardian", im deutschsprachigen Raum haben DER STANDARD, der ORF, der "Spiegel", das ZDF und das Schweizer Medienhaus Tamedia mitrecherchiert.
Seipels Vertragspartner war demnach offiziell eine Briefkastenfirma namens De Vere Worldwide Corporation mit Sitz auf den britischen Jungferninseln. Diese gehört augenscheinlich zum Firmengeflecht des russischen Oligarchen und langjährigen Tui-Großaktionärs Alexej Mordaschow, den die Europäische Union nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine mit Sanktionen belegte.
Verdacht der Publikumstäuschung
Auch der Norddeutsche Rundfunk (NDR), für den Seipel unter anderem "Ich, Putin – Ein Portrait" (2012) sowie Interviews mit Edward Snowden und Wladimir Putin in Moskau (2014) realisiert hat, hat reagiert. Der Sender teilte mit, dass er mit Seipel sowie Verantwortlichen der Produktionsfirma Kontakt aufgenommen habe. Seipel habe dabei dem NDR gegenüber eingeräumt, er habe über zwei "Sponsoringverträge" 2013 und 2018 Geld von Alexej Mordaschow erhalten, und erklärt, es sei für zwei Buchprojekte gewesen.
Den Abschluss der Verträge hatte Seipel dem NDR gegenüber damals nicht offengelegt, heißt es beim Sender, der darin einen "erheblichen Interessenkonflikt" sieht, der "Seipels journalistische Unabhängigkeit in Zweifel zieht".
Den Abschluss hätte Seipel der Produktionsfirma und dem NDR gegenüber offenlegen müssen, meint man beim NDR, für den Seipel zuletzt 2019 tätig war. NDR-Intendant Joachim Knuth erklärt: "Es besteht der Verdacht, dass wir und damit auch unser Publikum vorsätzlich getäuscht worden sind. Dem gehen wir jetzt nach und prüfen rechtliche Schritte."
Die Prüfung wird der ehemalige "Spiegel"-Chefredakteur Steffen Klusmann übernehmen. Beim "Spiegel" hatte 2018 die Affäre um den Reporter Claas Relotius für Aufsehen gesorgt. Dieser hatte weite Teile seiner Reportagen erfunden.
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger erklärte auf X (vormals Twitter): „Eine heftige Geschichte, die einmal mehr zeigt, dass hinter Putin-Verstehern und ausgerechnet jenen, die 'einordnen' sollten, möglicherweise bezahlte Propagandisten stehen. Schluss mit Naivität und Scheuklappen!" (Birgit Baumann aus Berlin, 15.11.2023)