Wer Plattformen wie Instagram als Basis für den Lebensunterhalt nutzen will, braucht vor allem eines: Aufmerksamkeit. Lukriert wird diese in Form von Abonnenten, Likes und Kommentaren. Der Weg zu großem Publikumsinteresse kann unterschiedlich ausgestaltet werden.

Immer wieder wird dabei auch eine Weisheit aus der Werbeindustrie vorgebracht: Nackte Haut verkauft sich gut. Wer mehr von sich zeigt, hat bessere Karten in der Aufmerksamkeitsökonomie. Aber stimmt diese populäre Annahme tatsächlich? Die Forscherin Sophia Gänßle, Assistenzprofessorin für Kreativindustrie und Digitalisierung an der Erasmus School of History, Culture and Communication der Universität Rotterdam, ist dem Thema auf den Grund gegangen.

Grundsätzlich ist es heute sehr einfach geworden, eigene Inhalte zu produzieren und ohne Einfluss von Mittelsmännern direkt über Instagram und Co für das Publikum auszuspielen. Während die technologischen Hürden niedrig sind, ist der Wettbewerb um Zuseher und ihre Zeit aber weiterhin hart. Hier kommt die Devise "sex sells" ins Spiel.

Das Logo der Instagram-App.
Instagram hat heuer die Marke von zwei Milliarden aktiven Nutzern geknackt.
IMAGO/photothek

Daten zu Reichweite und Umsatz

Gänßle hat 500 Instagram-Accounts über rund fünf Monate beobachtet und analysiert, wobei jeweils die 100 followerreichsten Konten aus den Kategorien "Fashion und Schönheit", "Fitness und Sport", "Musik", "Foto und Kunst" sowie "Essen und Veganismus" herangezogen wurden. Die Wahl der Plattform ergab sich einerseits aus ihrer Popularität und andererseits daraus, dass dort der Fokus auf visuellen Inhalten liegt.

Erhoben wurde neben der Beliebtheit in Form von Followern, Likes und Kommentaren auch die Anzahl sogenannter "Branded Posts". Dabei handelt es sich um Beiträge, in denen auch Werbung für einen Sponsor vorkommt, die üblicherweise die Haupteinnahmequelle der Influencer darstellt. Gänßle liefert dazu auch eine Schätzung des Werbeumsatzes und ermittelt statistische Zusammenhänge zur Freizügigkeit der Beiträge.

Am profitabelsten zeigt sich die Kategorie Musik. Hier wurde ein wöchentlicher durchschnittlicher Werbeumsatz von rund 41.300 Dollar ermittelt. Dahinter folgen Fashion-Influencer, die auf etwa 30.600 Dollar kommen. Jene, die auf Fitnessthemen setzen, erzielen im Schnitt 21.100 Dollar wöchentlich. Vergleichsweise wenig Umsatz erzielen die Contentproduzierenden in den Bereichen Essen (10.400 Dollar) und Kunst (9.500 Dollar).

Freizügige Fitness

Analysiert wurden weiters die Top-Ten-Accounts (gemessen am geschätzten Umsatz pro Bild) jeder Kategorie als auch die kategorieübergreifenden Top-20-Konten auf ihre Geschlechteraufteilung und freizügige Postings. Als "freizügig" gewertet wurden Aufnahmen, auf denen mehr als 50 Prozent nackte Haut zu sehen ist, sowie Aufnahmen, die auf "primäre sexuelle Charakteristiken" – Brustbereich, Po, Intimzone – fokussieren. Ausgenommen davon sind reine Porträtaufnahmen. Kategorisiert wurden die jeweils zwölf letzten Fotos, die von den Accountbetreibern gepostet worden waren.

Gänßle weist darauf hin, dass dabei keine Einordnung hinsichtlich subjektiver Kriterien wie "Sexappeal" vorgenommen wird. Es ist daher für die statistische Erfassung nicht relevant, ob ein als freizügig eingestuftes Foto eine Person in knapper Sportkleidung oder in Reizwäsche zeigt.

Die Top 20-Accounts umfassen jeweils sieben aus den Bereichen Fashion und Musik, fünf aus dem Bereich Fitness sowie einen aus dem Bereich Kunst und keinen aus dem Bereich Essen. 53 Prozent der Fotos zeigten eine Frau, 19 Prozent einen Mann, 24 Menschen beider Geschlechter, und auf vier Prozent der Bilder war keine Person zu sehen. 37 Prozent der Bilder, also etwas mehr als ein Drittel, wurden als "freizügig" eingestuft.

Fashion- und Beauty-Inhalte auf Instagram
Von den Fotos der Top-Ten-Accounts der einzelnen Kategorien waren fünf bis 40 Prozent "freizügig".
DER STANDARD/Pichler

Die Auswertung der Top Ten nach Kategorie zeigt teils hohe Schwankungen. In der Kategorie Fashion waren auf fast zwei Dritteln der Aufnahmen (64 Prozent) Frauen zu sehen, auf 20 Prozent beide Geschlechter und nur in 16 Prozent der Fälle ausschließlich Männer. Im Bereich "Fotos und Kunst" stellen Frauen mit 55 Prozent ebenfalls die absolute Mehrheit auf den Aufnahmen. Mit 44 zu 29 Prozent verzeichnet auch die Kategorie Musik einen klaren weiblichen Überhang. Auf Fitnessfotos waren beide Geschlechter annähernd gleich oft abgebildet (38 Prozent Frauen, 34 Prozent Männer), Ähnliches gilt für die Essenssektion, wo es mit 36 zu 42 Prozent etwas mehr Männer zu sehen gab.

Als am freizügigsten erwiesen sich dabei Fitnessfotos, hier wurde das Kriterium von 40 Prozent der Aufnahmen erfüllt. Dahinter folgen Fashion-Aufnahmen mit 37 Prozent und Bilder aus dem Bereich Musik mit 24 Prozent. Relativ wenig nackte Haut lieferten "Foto und Kunst" sowie – wenig überraschend – Food-Accounts (5 Prozent).

Fotos mit Frauen erwiesen sich kategorieübergreifend im Schnitt viel öfter als freizügig als jene von Männern. Von zwölf Fotos, die einen Mann zeigten, wurden im Schnitt 1,25 entsprechend eingestuft, wohingegen 4,3 von zwölf Fotos von Frauen entweder viel nackte Haut zeigten oder sexuell konnotierte Körperzonen in den Fokus stellten. Frauen bzw. an Frauen gerichtete Konten führen auch bei der Upload-Frequenz mit 2,17 versus 1,72 Fotos pro Woche.

Frauen posten mehr und nehmen weniger pro Foto ein

Das führt auch dazu, dass sie einen höheren Wochenumsatz erzielen. Sie kommen laut Gänßles Berechnung im Schnitt auf 26.200 Dollar pro Woche, Männer auf 22.700. Dazu trägt auch bei, dass sie häufiger gesponserte Postings absetzen. Allerdings können Männer pro Foto mehr Umsatz lukrieren. Sie kommen im Schnitt pro Beitrag auf 19.500 Dollar und damit etwa 15 Prozent mehr als Frauen mit 17.000 Dollar.

Das, so Gänßle, könnte auf eine Ungleichbehandlung hinweisen. Möglicherweise müssen Frauen öfter nackte Haut zeigen und gesponserte Beiträge posten, um beim Umsatz mitzuhalten. Klare Hinweise auf einen Gender-Pay-Gap beinhalte ihre Untersuchung allerdings nicht, so Gänßle. Hierzu sei weitere Forschung notwendig, um belastbare Aussagen treffen zu können.

Statistisch zeigt sich auch, dass nackte Haut – unabhängig von der thematischen Kategorie – einen messbar positiven Einfluss auf den Gesamtumsatz und die Einnahmen pro Foto hat. Diesbezüglich war zwischen Männern und Frauen allerdings kein signifikanter Unterschied zu sehen, was den Mythos, dass Influencerinnen durch Freizügigkeit stärker profitieren, entkräftet. Dass "sex sells" aber prinzipiell funktioniert, werfe weitere Fragen auf, etwa hinsichtlich der gesellschaftlichen und ethischen Implikationen von Sexualisierung und ihres Einflusses auf Kinder und Jugendliche.

Das Paper zur Untersuchung wurde im sozialwissenschaftlichen Journal "Kyklos" veröffentlicht. (gpi, 19.11.2023)