Die Rufe nach einer Feuerpause im Gazastreifen werden mit jedem weiteren Opfer, jedem grauenhaften Bild und jeder weiteren Schreckensnachricht immer lauter. Nun hat auch der UN-Sicherheitsrat, das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen, am Mittwoch eine völkerrechtlich bindende Resolution zum Nahostkrieg angenommen, in der unter anderem "dringende und ausgedehnte humanitäre Pausen und Korridore im gesamten Gazastreifen für eine ausreichende Anzahl von Tagen" gefordert werden, um der dortigen Zivilbevölkerung humanitäre Hilfe leisten zu können.

Kibbuz Beeri
Während in Gaza der Krieg tobt, wird der am 7. Oktober von der Hamas angegriffene Kibbuz Beeri weiter bewacht. Erst vor kurzem wurde bekannt, dass dort die Friedensaktivistin Vivian Silver ermordet wurde.
REUTERS/ALEXANDER ERMOCHENKO

Der Adressat dieser Resolution erteilte dieser Forderung eine prompte Absage. Man lehne längere Feuerpausen ab, solange sich die bei den Angriffen vom 7. Oktober verschleppten 239 Geiseln weiterhin in der Gewalt der Hamas befinden, teilte das israelische Außenministerium Mittwochabend mit. "Israel ruft den Weltsicherheitsrat und die internationale Gemeinschaft dazu auf, entschlossen die Freilassung aller israelischen Geiseln zu fordern, wie es die Resolution festlegt", hieß es in der Stellungnahme.

Verhandlungen laufen

Dieser Forderung entsprechend laufen weiterhin Verhandlungen, um eine Freilassung von Geiseln und eine mehrtägige Feuerpause zu erreichen. Im Gespräch sei derzeit die Freilassung von mindestens 50 Frauen und Kindern und eine drei bis fünf Tage lange Feuerpause, sagte eine mit den Verhandlungen vertraute Person. Auch werde über mehr Hilfslieferungen in den Gazastreifen und die Freilassung einer unbestimmten Zahl an Frauen und Minderjährigen aus israelischen Gefängnissen diskutiert.

Aus ägyptischen Sicherheitskreisen hieß es ebenfalls, die Hamas habe einer mehrtägigen Feuerpause und der Freilassung von 50 Frauen und Kindern zugestimmt. Im Gegenzug sollten 75 palästinensische Frauen und Kinder freigelassen werden. Zudem solle die Lieferung von Hilfsgütern für den Gazastreifen auf 200 Lastwagenladungen täglich steigen und die tägliche Einfuhr von Treibstoff ermöglicht werden.

Die Washington Post berichtete, dass nun auf eine Antwort Israels gewartet werde. Am Rande des Zusammentreffens mit Chinas Staatsoberhaupt Xi Jinping erklärte US-Präsident Joe Biden, er sei "leicht hoffnungsvoll" hinsichtlich der Befreiung von Geiseln im Gazastreifen. Man habe in dieser Frage großartig mit Katar kooperiert, erklärte er.

Keine Frist, aber ...

"Ich arbeite daran, wie ich dazu beitragen kann, dass die Geiseln freigelassen werden und dass es eine Zeitspanne für eine Pause gibt, die lang genug ist, um dies zu ermöglichen", sagte Biden. Auf die Frage, ob Biden dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu eine Frist für die Angriffe in Gaza gesetzt habe, sagte er: "Ich denke, dass aufgehört wird, wenn die Hamas nicht mehr die Fähigkeit hat, zu morden, zu missbrauchen und den Israelis einfach nur schreckliche Dinge anzutun."

Diesbezüglich steht auch Biden selbst unter Druck. Dies belegen Proteste rund um die Parteizentrale seiner Demokraten in Washington, bei denen einen Waffenstillstand in Gaza gefordert wurde. Etwa 150 Menschen hätten in der Nähe des Kongresses "illegal und gewaltsam" protestiert, teilte die Kapitolpolizei mit. Sechs Polizisten seien verletzt, eine Person sei festgenommen worden.

Auch bei der britischen Labour-Partei führt der Gazakrieg zu Spannungen. Am Mittwochabend traten zehn Mitglieder des Schattenkabinetts von Oppositionsführer Keir Starmer zurück, weil sie entgegen der Parteilinie einen Antrag der Schottischen Nationalpartei (SNP) für einen Waffenstillstand unterstützten. Der Labour-Chef will aber nur humanitäre Pausen zulassen.

Unterdessen hat Israels Militär laut der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa am Donnerstag zum zweiten Mal das Al-Shifa-Krankenhaus gestürmt. Dort vermutet es eine Kommandozentrale der Hamas. Das Vorgehen ist sehr umstritten, weil Spitäler im Krieg völkerrechtlich besonders geschützt sind.

Hafen eingenommen

Eigenen Angaben zufolge haben die Israel Defence Forces am Donnerstag auch die "operative Kontrolle" über den Hafen von Gaza-Stadt übernommen. Bei dem Militäreinsatz mit Unterstützung der Marine und der Luftwaffe seien auch zehn Terroristen getötet worden, teilte die Armee mit. Diese Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Innenpolitisch gerät derweil Israels Premier Netanjahu unter Druck. Oppositionsführer Yair Lapid forderte dessen Likud-Partei auf, einen neuen Regierungschef zu wählen. "Netanjahu hat das Vertrauen seiner Bürger verloren, das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft und am schwerwiegendsten: das Vertrauen des Sicherheitsapparats." (Kim Son Hoang, 16.11.2023)