
Das hat Verve, das hat Elan und Witz. Kein Wunder, dass Paul Eippers Tierbuch Tiere sehen dich an anno 1928 ein Erfolg wurde. Und man es rasch variierte. Alfred Polgar betitelte wenig später einen Rapport über eine Automobilausstellung "Automobile sehen dich an". 1929 nannte Kurt Tucholsky dann John Heartfields bitterböse Montage blutsaufender Generäle noch bitterböser "Tiere sehen dich an".
Und 1987 überschrieb Hans Wollschläger, der heute fast vergessene Karl-May-Fan, Arno-Schmidt-Adorant und Übersetzer aus Bamberg, einen Essay "Tiere sehen dich an". Es war ein wortgewaltiger Aufschrei, ein zur Legende gewordenes Pamphlet wider industrielle Agronomie, Rinderwahn, Schweinepest und für die "Mitgeschöpfe", so der juridisch neutralisierende Terminus, die zu Abermillionen gemästet, geschlachtet, zu Tode gequält werden.

Revolutionen und Knechtsein
Was aber, wenn einen Tiere anschauen, die die Mehrheit der Menschen nicht unbedingt intim kennenlernen will? Tiere wie Schlangen oder Hyänen, Quallen, Gelsen oder Kraken. Die Abscheu vor verrufenen Tieren, denen Stephan Wunsch nun in Verrufene Tiere. Ein Bestiarium menschlicher Ängste eine angenehm zu lesende Pfui-Revue widmet. Auf Verblüffendes macht er anregend aufmerksam. Während Hunde, da viel zu gehorsam, für Revolutionen sich so gut wie gar nicht eignen, taugen Hyänen nicht eine Sekunde zum Knechtsein. Hyänenrudel sind eher Clans, angeführt von weiblichen Tieren, die matriarchale Dynastien begründen. Tiere sind häufig, wie Wunsch ausführt, Bild oder Gegenbild, anthropomorphisierte Projektionsfläche oder neurotischer Spiegel von Urängsten.
Wie bekommt man als Hochschuldozent sein Evolutionsbiologie-Seminar voll? Die Antwort: mit einem Kursus über – Katzen. So bot vor Jahren der Evolutionsbiologe Jonathan B. Losos, der 2006 von der Washington University in St. Louis, Missouri, an die Harvard University wechselte und 2018 nach Missouri zurückkehrte, einen Grundkurs für Erstsemester über Fellnasen an. Er war sich sicher, das Seminar würde ausgebucht sein und er könne unter der Hand Cutting-Edge-Wissen seines Fachs vermitteln. Die Strategie ging auf. Die Studentenschaft erfuhr viel über die felinen Welt- und Wohnungsgenossen und zugleich ausgreifend Zeitgenössisches über Evolutionsbiologie wie über Biodiversität.
Früher waren sie Götter
Nun legt Losos eine Monografie über Katzen vor, Ergebnis ausgiebiger, fundierter Recherche. Zugleich flossen alltägliche Erlebnisse und Erkenntnisse ein, hat Losos doch selbst drei Katzen, mit denen er sich zu Hause ein Sofa teilen darf. Daneben hat er in den vergangenen 20 Jahren Forschungsreisen in diverse Länder unternommen, um dort auch Großkatzen in Augenschein zu nehmen.
Sein Buch Von der Savanne aufs Sofa. Eine Evolutionsgeschichte der Katze umfasst einen Zeitraum von rund 9500 Jahren. Aus dieser Zeit, also rund 7500 v. Chr., datiert ein von Archäologen gefundenes Grab, in dem eine acht Monate junge Katze mitbeigesetzt worden war. Die Domestizierung der Katze war etwa 5500 Jahre später, in Ägypten, abgeschlossen. Die geschmeidigen Vierpföter galten dort als Götter.
Vorläufer der Hauskatze war die ihr erstaunlich ähnelnde afrikanische Wildkatze Felis silvestris lybica. Dabei gab es die allerfrühesten Katzen bereits vor rund 30 Millionen Jahren. Neuere Genomstudien bestätigen, dass Felis silvestris den meisten Hauskatzen bezüglich Anatomie, Physiologie und Verhalten erstaunlich ähnlich war. 2014 erbrachte eine Studie, dass Wild- und Hauskatzen sich in gerade einmal 13 von 20.000 Genen voneinander unterscheiden.

Wieso miauen Katzen eigentlich?
Losos stellt grundlegende Fragen in seinem Rundum-Wissen-Katzenweltpanorama: Wieso miauen Katzen eigentlich? Und tun sie es wirklich nur, weil sie Menschenlaute kopiert haben und mit ihnen pseudo-empathisch "kommunizieren"? Viele weitere Erhellungen im Zusammenleben von Katze und zweibeinigen Dosenöffnern breitet Losos aus, aber noch mehr häufen sich, welchen Katzenuntermieter wundert’s, offene Fragen.
Losos beschreibt mit Charme, Verve, oft mit Witz und Ironie komplexeste Zusammenhänge, Fortschritte der Evolutionstheorie wie der DNA-Analyse. Was allerdings hat nur die Herstellungsabteilung des Hanser-Verlags geritten, einen extrabreiten, beim Lesen Irismuskulatur wie Ziliarkörper der Augen rasch überanstrengenden Satzspiegel aufzuziehen?! Und das Designbüro, das den Schutzumschlag verantwortete, muss vieles haben, nur keine Bürokatze. Oder eine, die tot ist. Denn wie käme man sonst auf die Idee, ein derart tristes Cover zu entwerfen – mit einer schwarz gescheckten Fellnase auf schwarzem Grund? Da will man eigentlich gleich abtauchen.

Gejagte Räuber
Ebendies macht der französische Ozeanologe François Sarano. Und er rückt zurecht. Denn die Verfilmung des Peter-Benchley-Schockers durch Steven Spielberg als Der Weiße Hai führte zu einer grotesken Umpolung des Bildes, das man von Haien hat. Wie Sarano nüchtern anmerkt: In den letzten 40 Jahren starben an den US-amerikanischen Küsten 26 Menschen durch Haiattacken. Pro Jahr verenden aber Hunderte von Haien in Netzen, die Strände schützen. Und sage und schreibe 38 Millionen Exemplare werden nur wegen ihrer Flossen gemetzelt. Haie, eiskalte Killer? Das widerlegt Sarano in seinem Band Wie man mit Haien schwimmt. Eine Liebeserklärung, bei dem wissenschaftliche Wissensvermittlung mehr als Beifang ist. Selbst Makrelen können durch trickreiches Verhalten Haie vertreiben.
Viel Weiches
"Ein Elefant von vorn sieht fast / So aus wie ein Nilpferd von rückwärts", dichtete der große, 1934 verstorbene Poet Joachim Ringelnatz. Und: "Sie tragen unter zementiger Haut / Viel Weiches und viel Zartes. / Wer richtig in ihren Rachen schaut, / Gewahrt es." Elefanten sind die Lieblingstiere der Wiener Kognitionsbiologin Angela Stöger. Als ausgewiesene Expertin für Bioakustik und Lautkommunikation hat sie sich seit 20 Jahren auf Elefanten spezialisiert. Stöger, die seit 2011 das Mammal Communication Lab der Universität Wien leitet, gilt als eine der weltweit führenden Expertinnen für diese Säugetiere.
In zoologischen Gärten, in Nationalparks und in Tierauffangstationen auf mehreren Kontinenten hat sie länger geforscht und der Elefanten Intelligenz, Emotionalität und andere Qualitäten erkundet. Stöger verweist auf deren hoch entwickelten Hippocampus, die zuständige Großhirnregion für ausgeprägte Sensibilität, Fürsorglichkeit und Empathie. Letzteres etwa ist unübersehbar, wenn ein Herdenmitglied gestorben ist. Dann harren die anderen Elefanten bei der Leiche aus, oft stundenlang, berüsseln den Toten, beriechen ihn und nehmen auf diese sensuell interaktive, buchstäblich berührende Art und Weise Abschied vom Verstorbenen. Plastisch schildert Stöger in Elefanten. Ihre Weisheit, ihre Sprache und ihr soziales Miteinander, wie Elefanten denken, wie sie kommunizieren, wie sie innerhalb eines alles andere denn unterkomplexen Sozialsystems agieren und navigieren.

Gefährdeter Bestand
Sie beschreibt auch, wie sehr Elefanten im Bestand heute durch Wilderei gefährdet wie durch den Klimawandel bedroht sind. Im Grunde robust, sind sie lange in der Lage gewesen, sich an den Klimawandel und die damit einhergehenden sich wandelnden Habitatverhältnisse zu adaptieren. Die fortschreitende Erderhitzung allerdings hat für sie immer fatalere Folgen – wird es doch für die Tiere so immer schwieriger, ausreichend Wasser und ausreichend Nahrung zu finden. Am Ende ist dies ein eindringlicher Appell für den Schutz dieser Tiere und ihrer Umwelt. Denn: "Abgesehen von dem Stellenwert, den Elefanten für das Klima haben, sollten wir uns auch überlegen, was sie uns als Mitlebewesen auf dem Planeten bedeuten."
Die Bedeutung von Insekten ist allgemein gleich – sie stören, sind lästig, stechen. Alles arg. Was haben Wespen mit rhythmischer Bewegung zu tun? Viel. Denn instinktiv reagiert der Mensch auf diese Insekten mit nervösem Hinfortwedeln. Ihre Reputation ist schlecht, ihre Lobby noch schlechter. Doch nun tritt Seirian Sumner, am University College in London Biologie-Ordinaria, auf den Plan, als Advokatin pro Hautflügler.

Soziales Leben
Rund 150.000 Arten zählen zu dieser Ordnung. Davon sind 100.000 Wespenarten. Laut Sumner dürften 20- bis 30-mal so viel noch gar nicht entdeckt worden sein. Ein anderer Rekord gefällig? Die kleinste bekannte Wespe, ein Parasit, ist winzige 0,13 Millimeter klein. Sumner räumt in Wespen. Eine Versöhnung viele Seiten dem "sozialen Leben" der Wespen ein, die auch zur Bekämpfung von Larven, die Mais befallen, gezüchtet werden.
Mit viel sympathetischer Energie – "Bienen sind schlichtweg Wespen, die vergessen haben, wie man jagt" – und intellektuellem Elan umreißt die Waliser Zoologin die Bedeutung von Wespen innerhalb des allezeit flexiblen ökologischen Beziehungsgeflechts. Auch Wespen bestäuben Blüten. Sumner erzählt eindrücklich von Wechselverhältnissen, Wespe zu Feige, Orchideen zu Wespe. Ein solches gut lesbares Porträt von Wespen hat es bis dato nicht gegeben. Geschlechtsbestimmung, Geschlechterverteilung, Paarung, evolutionäres Verhalten, all das erläutert sie ausgesprochen unterhaltsam wie aufschlussreich. Danach wird man spätestens im nächsten Sommer, wenn die Wespen wieder schwirren, diese mit anderen Augen ansehen. Und sie uns umgekehrt auch. Bevor sie zustechen. (Alexander Kluy, 18.11.2023)