Die Verluste an die FPÖ vom Jänner 2023 stellen eine Zäsur für die ÖVP Niederösterreich und Johanna Mikl-Leitner dar. Die Folge: rhetorische Eskalationen der Landeshauptfrau.
Heribert Corn

Landeshauptfrau von Niederösterreich, das war einmal ein schöner Job. Als ihn Johanna Mikl-Leitner 2017 antrat, war das eine Belohnung für die harten Jahre als Innenministerin, als sie eine große Fluchtbewegung managen und die Migrationslinie der ÖVP personifizieren musste.

Der Wechsel von Wien nach St. Pölten veränderte Mikl-Leitner auch als politische Persönlichkeit: Die absolute Mehrheit ihrer Partei und die vergleichsweise angenehmen Zuständigkeiten im Land ermöglichten der Landeshauptfrau, sich aus harten politischen Auseinandersetzungen komplett herauszunehmen und sich mit bestimmten Konflikten nicht beschäftigen zu müssen.

Doch seit der Landtagswahl vor zehn Monaten hat Johanna Mikl-Leitner einen neuen Job. Ihr Titel ist derselbe, aber die Landeshauptfrau hat ihr Aufgabenportfolio deutlich verändert: Sie geriert sich nun als Vertreterin des rechten Rands innerhalb der Volkspartei, sucht die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegenüber, mischt sich lautstark in Bundesthemen ein.

Mitte mit Kante

Noch im Jänner hatte Mikl-Leitner dazu aufgerufen, "nach der Wahl so schnell wie möglich wieder zum Miteinander im Land zurückzufinden". Doch schon wenige Wochen später ging die niederösterreichische Volkspartei eine Koalition mit der FPÖ ein – und hat das harmonieorientierte und machtbasierte "Miteinander" damit offiziell begraben. Der neue Kurs lautete: Mitte mit Kante. Die Stimmen, die Mikl-Leitner an ihren blauen Koalitionspartner verloren hat, möchte sie sich so wieder zurückholen.

Und während die Landespartei in der Zeit der absoluten Mehrheit ihre Chefin von den unvermeidbaren politischen Scharmützeln fernhielt, wirft sich Mikl-Leitner nun selbst ins Gemenge.

Ihre Worte wählt sie dabei immer freier. Die Forderung der Landeshauptfrau nach einer Änderung des Strafrechts, um verkehrsblockierende Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten abzuschrecken, formulierte sie im Wahlkampf Anfang des Jahres etwa so:

Wer seine Freiheit dazu missbraucht, das Leben seiner Mitmenschen zu gefährden, dem muss der Entzug seiner Freiheit drohen.

Im Sommer klang das dann schon deutlich heftiger, als Mikl-Leitner auf klebstoffunterstützte Klimaproteste in ihrer Landeshauptstadt reagierte:

Es ist einem normal denkenden Menschen völlig unverständlich, dass diese radikalen Chaoten nicht begreifen wollen, dass sie mit ihren Aktionen Ablehnung statt Zustimmung für unsere Anliegen erzeugen.

Überhaupt: "normal": Im verschärften ÖVP-Kurs als Reaktion auf die Wahlverluste entwickelte sich dieses Wort zur politischen Richtschnur. Im Frühling erklärte sich Mikl-Leitner in einer Reihe von Gastkommentaren, auch im STANDARD, zur Vertreterin der "normal denkenden" Menschen im Land. Anlass war das Gendersternverbot in der niederösterreichischen Verwaltung:

Und die normal denkende Mehrheit der Mitte fühlt sich immer weniger gehört. (...) Und genau darum ist es wichtig, auch Kante für die normal denkende Mitte unserer Gesellschaft zu zeigen.

Mikl-Leitner war es auch, die die schwarze Sitte wiederaufleben ließ, als Landeshauptmann oder Landeshauptfrau der Regierung Unfreundlichkeiten auszurichten. Im Juli rügte sie Türkis-Grün für deren angebliche Untätigkeit im Kampf gegen die Teuerung:

Seit Weihnachten 2022 ist de facto nichts passiert. Ich will der Bundesregierung nicht das ehrliche Bemühen absprechen. Aber nun ist genug Zeit verstrichen. Die Bundesregierung muss bei den Energiehilfen für Betriebe endlich in die Gänge kommen.

Selbst der Finanzmarktaufsicht redete die Landeshauptfrau recht deutlich und öffentlich ins Gewissen – obwohl diese aus guten Gründen von der Politik weisungsfrei gehalten wird. Es ging im September um die Richtlinien für die Vergabe von Immobilienkrediten, die Mikl-Leitner so wie andere Landespolitiker aus Sorge um die Häuslbauerinnen und Häuslbauer auf die Barrikaden brachten:

Die hartnäckige Weigerung der weisungsfreien FMA, ihre Regeln für die Vergabe von Immobilienkrediten zu entschärfen, zeigt leider, dass diese Herrschaften völlig den Bezug zur Realität verloren haben. Es gibt de facto keine Ausfälle bei den Wohnkrediten, aber die Kreditvergabe ist massiv eingebrochen. Trotzdem hält die FMA weiterhin an ihrem völlig überzogenen Regelwerk fest und legt damit allen Menschen, die sich ein Eigentum schaffen wollen, Steine in den Weg. Ich halte das für absolut unverantwortlich.

Seit dem terroristischen Überfall auf Israel durch die Hamas erneuerte Mikl-Leitner ihr Bekenntnis zu Israel und dem Schutz jüdischen Lebens mehrfach und deutlich. Das geschah wohl auch, weil Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Community zu den deutlichsten Kritikerinnen und Kritikern ihrer engen Zusammenarbeit mit FPÖ-Obmann Udo Landbauer gehören, der noch 2010 ein Buch mit Nazi-Liedern beworben hat.

Vergangene Woche verknüpfte Mikl-Leitner ihren Einsatz gegen den Antisemitismus mit antimuslimischen Tendenzen:

Ich erwarte mir daher auch von offizieller muslimischer Seite nicht nur klare Worte der Abgrenzung und Ablehnung, sondern auch aktive Überzeugungsarbeit in den Moscheen und Schulen.

Die von Mikl-Leitner angesprochene Islamische Glaubensgemeinschaft reagierte mit Unverständnis und warf der Landeshauptfrau Rassismus vor – schließlich habe man den Angriff der Hamas von Anfang an verurteilt.

Neue Anlässe für Markiges

Wie geht es mit Johanna Mikl-Leitner weiter? An ihrer Strategie wird die Landeshauptfrau so schnell nichts ändern – die Voraussetzungen in Niederösterreich sind ja noch die gleichen. Und Anlässe für markige Wortspenden wird es auch in Zukunft geben. (Sebastian Fellner, 20.11.2023)