Ahmad Mansour beim Österreichischen Integrationsfonds
Extremismusforscher Ahmad Mansour: "Wenn man versucht, die Menschen zu belehren, verliert man sie sofort."
© Christian Fischer

Draußen, im begrünten Innenhof, wuselt es. Es ist ein ungewöhnlich milder Novembertag und auf den Bänken, vor den Stiegen und zwischen den Beeten plaudern, rauchen, jausnen die Menschen. Manche tragen Kopftuch, andere Bart, einzelne nur T-Shirt. Aber alle wollen die letzten Sonnenstrahlen abstauben, bevor es wieder hineingeht.

Denn drinnen, im düsteren 80er-Jahre-Betonbau, fällt nur wenig Tageslicht in die engen Gänge. Die Menschen drängen sich im Vorbeigehen aneinander, kaum drei von ihnen haben auf dem Korridor in einer Reihe Platz. Und ganz plötzlich wird es noch voller. Denn aus einem der Aufzüge steigt einer, der ist nicht allein. Ihn begleiten zwei breitschultrige Männer mit eng sitzenden Sakkos und prüfendem Blick. Und sofort schart sich eine kleine Traube von Menschen um alle drei.

Geschichte zwischen den Fronten

Die breitschultrigen Männer sind Personenschützer vom Landeskriminalamt Berlin. Und der Mann, auf den sie aufpassen sollen, heißt Ahmad Mansour. Der 47-Jährige ist vielbeschäftigter Autor, studierter Psychologe und eine bekannte Persönlichkeit. In den Medien wie auf den Straßen. Aber unumstritten, das ist er nicht.

Mansour hat eine eher ungewöhnliche Geschichte. Er ist Deutscher, Israeli und Palästinenser; er spricht Deutsch, Arabisch und Hebräisch; er war einst Muslimbruder und kämpft heute gegen Salafismus, Antisemitismus und den fundamentalistischen Islam. Seine Bücher tragen Titel wie Operation Allah – Wie der politische Islam unsere Demokratie unterwandern will und Der Selbstbetrug – Wenn Migrationspolitik die Realität ignoriert. All das macht ihn zum Helden, zum vielgebuchten Vortragenden, zum "guten Moslem" für die einen; und zum Feindbild und Verräter für die anderen.

Deshalb begleiten die breitschultrigen Männer vom LKA Mansour fast immer, wenn er seine Wohnung verlässt. Ob er sich im bunten Berlin-Kreuzberg Falafel holt oder im grauen Betonbau in Wien-Favoriten aus dem Aufzug steigt.

Geschlechterrollen und Identität

Der Betonbau in der Gudrunstraße ist der größte Standort, an dem der Österreichische Integrationsfonds seine Deutsch- und Wertekurse abhält. Sie sind verpflichtend für alle Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten. Es geht darin um Großes wie Menschenrechte, Gleichberechtigung der Geschlechter und Religionsfreiheit. Aber auch um Pragmatisches wie Mülltrennung. "Das ist ein Riesenthema", erklärt die Frau vom Integrationsfonds dem Besucher. Neben den verpflichtenden Kursen gibt es aber auch freiwillige Angebote. Eines davon ist die Männerberatung, die in geblockten Seminaren stattfindet. Und Ehrengast aus Berlin ist heute: Ahmad Mansour.

Im Seminarraum sitzen knapp zwei Dutzend Männer im Sesselkreis. Vor ihnen stehen Namensschilder. Ahmad. Hamza. Adib. Saleh. Es sind ausschließlich Männer mit arabischen Wurzeln, die sich für das Seminar angemeldet haben. Manche aus dem Irak oder dem Libanon, viele aus Syrien. "Gleichberechtigung", "Geschlechterrollen", "Identität" und "Sozialisation" stehen auf einem Flipchart neben dem Seminarleiter. Er hat selbst iranische Wurzeln, hält die Einheit auf Deutsch. Der junge Mann neben ihm übersetzt das Gesprochene alle paar Sätze auf Arabisch. Er kommt ursprünglich aus Syrien und ist 2016 nach Österreich gekommen, wird er später erzählen.

"Gewalt ist keine Privatsache"

Mansour setzt sich in den Kreis und beginnt zu sprechen. Ein paar Minuten auf Arabisch. Wohlwollendes Nicken unter den Anwesenden. "Ich kann auch gleich die Zusammenfassung auf Deutsch geben", sagt er, als er fertig ist. Alle lachen. Vor allem die, die kein Arabisch verstehen. "Ich habe mich bei ihnen entschuldigt, dass heute so viel los ist", erklärt Mansour. Denn neben ihm und den Besuchern von der Zeitung ist auch die Integrationsexpertin Emina Saric und eine ganze Delegation des Integrationsfonds ins Männerseminar geplatzt. "Es ist ein bisschen schwierig, offen zu reden, wenn so viele fremde Augen auf einen gerichtet sind", sagt der Psychologe. "Aber es ist auch eine Chance, Dingen mit Neugier zu begegnen und zu schauen, was man annehmen kann." Es dürfte jedenfalls durchaus mit der ungewöhnlichen Konstellation zu tun haben, dass sich die Teilnehmer vor den Besuchern kaum selbst zu Wort melden.

"In Österreich ist es gesetzlich nicht möglich, die Freiheiten anderer Menschen einzuschränken", sagt wenig später der Seminarleiter. Er bezieht das auf Geschlechterrollen und Beziehungen. Aber auch auf das Thema, das seit den grausamen Terroranschlägen der Hamas in Israel große Konjunktur in Politik und Medien hat: Antisemitismus. Aktuell vor allem: die muslimische Ausprägung davon.

Im Wertekurs des Integrationsfonds: "Es ist nicht möglich, die Freiheiten anderer Menschen einzuschränken."
© Christian Fischer

"Gewalt ist in Österreich keine Privatsache", sagt der Kursleiter zu den Teilnehmern. Um es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, gebe es da eine gute Möglichkeit: "Wir können mit anderen sprechen, unsere Gedanken und Gefühle teilen." Denn halte man die nur bei sich, würden sie einen oft selbst krank machen, erklärt er. "Und lassen wir sie heraus, kann sich das in einer Form von Gewalt kanalisieren, in physischer, psychischer oder verbaler."

Was sagt die Statistik?

Mansour ist diesmal nur kurz in Wien. Vor allem, weil ihm hier am Donnerstag der vom Nahost-Thinktank Mena Watch vergebene Arik-Brauer-Publizistikpreis verliehen wurde. Aber der Besuch ist ein Vorbote. Denn der prominente Extremismusforscher soll mit dem ÖIF ein größeres Projekt umsetzen. Darin soll es um Geschlechterbilder, Gleichberechtigung und Antisemitismus gehen. Im Nachhall des Hamas-Terrors vom 7. Oktober wird der Schwerpunkt verstärkt auf letzteres Thema gelenkt.

Laut Antisemitismusbericht der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) waren antisemitische Vorfälle aus dem rechten Lager im Vorjahr mit 395 gemeldeten Vorfällen mehr als sechsmal so häufig wie jene mit muslimischem Hintergrund (63). Allerdings: Zu den registrierten Vorfällen zählt vom Facebook-Posting und an die Plakatwand geschmierten Graffiti bis zum tätlichen Angriff ein breites Spektrum. Und bei körperlichen Angriffen und Bedrohungen geht der Großteil der registrierten Vorfälle auf das Konto des muslimischen Antisemitismus, wie die IKG herausstreicht. Noch beunruhigender für die Kultusgemeinde: Seit dem Hamas-Terror in Israel sind die islamistisch motivierten antisemitischen Delikte massiv gestiegen.

"Autochthon" und "importiert"

In einem Land, das zu den ideologischen Zentren des Holocausts zählte, in dem während des Nationalsozialismus zehntausende Jüdinnen und Juden ermordet wurden, kann kein Platz für die Ausbreitung von Antisemitismus sein. Das gehört zum Grund- wie Gründungskonsens der Republik. Und das haben Politikerinnen und Politiker verschiedener Lager und breite Teile der Zivilgesellschaft richtig erkannt. Antisemitismus, ob alt und "autochthon" oder neu und "importiert", muss in einer Republik, die sich "Niemals wieder" auf die eigenen Fahnen heftet, schon im Ansatz bekämpft werden. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite ist: Viele Musliminnen und Muslime in Österreich beklagen, unter Generalverdacht gestellt zu werden. Sie werden von Mitschülern, Arbeitskolleginnen und Vorgesetzten bedrängt, sich von der Hamas zu distanzieren, selbst wenn sie mit der Terrororganisation absolut nichts verbindet. Sie werden auf Straßen und in Öffis mit vorwurfsvollen Blicken beäugt, mitunter auch beschimpft. Und sie müssen bei der Mehrheitsbevölkerung nicht nur für Fragen über "die Muslime" und "den Islam" herhalten, sondern auch für diverse Vorurteile und Projektionen. Wie viel Energie für Diskussionen bei der täglichen ungefragten Konfrontation noch bleibt, spielt für ihr Gegenüber häufig keine Rolle.

Vergiftetes Klima

Und nicht nur die Hamas-Attacken in Israel und Kundgebungen quer durch Europa, auf denen die grausamen Gewaltakte auch noch abgefeiert wurden, haben das Klima weiter vergiftet. Zusätzlich verschärft wird es von politischen Akteuren, denen die Anschläge als willkommenes Futter für ihre undifferenzierte Anti-Islam-Linie dienen; die beim alten österreichischen Antisemitismus stets auffallend leise waren; aber sich im Rahmen der aktuellen Lage in Nahost plötzlich als angebliche Schutzmacht der Jüdinnen und Juden entdecken, weil das da und dort ein paar billige politische Punkte bringt.

Kursteilnehmer aus Syrien und dem Irak: auf der Straße selbst mit Repressionen konfrontiert.
© Christian Fischer

Und während all das passiert, wird eine ganze Generation auf Tiktok und Instagram von der hasserfüllten Propaganda salafistischer Prediger und radikaler Konvertiten überschwemmt. In der allgemeinen Mobilisierung nach den Hamas-Anschlägen sehen sie ihre Chance, junge Menschen auf der Suche nach Identität und Zugehörigkeitsgefühl zu radikalisieren. Wie kommen wir da wieder raus? Und wie viel können Wertekurse wie jene beim Integrationsfonds in dieser Gemengelage ausrichten?

Prävention und Widerspruch

"Für Präventionsarbeit entscheidend ist, dass man nicht versucht, die Menschen zu belehren", sagt Mansour. "Sonst verliert man sie sofort." Aus muslimisch geprägten Ländern kommend, hätten gerade Männer häufig so etwas wie "Identitätsverlustängste". Da müsse man behutsam vorgehen, um eine Chance zu haben, sie zu erreichen. Und vor allem: ihnen auf Augenhöhe begegnen. Die Erwartungen sollte man da besser auch nicht zu hoch ansetzen, sagt der Experte. Alle könne man ohnehin nie erwischen. "Präventionsarbeit bedeutet Reibung. Erfolgreich war das Seminar nicht, wenn die Leute rausgehen und ich sagen kann, alle haben mich lieb", sagt Mansour. "Sondern wenn ich sagen kann: Viele haben mit mir diskutiert, viele haben mir widersprochen." (Martin Tschiderer, 20.11.2023)