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Denkmalgeschützt ist der Verhandlungsort im Prozess um schwere Körperverletzung, wird nicht in die Mikrofone gesprochen, ist die Akustik aber ziemlich bescheiden.
Foto: Heribert Corn

Wien – Ein reumütig geständiger Angeklagter ist gemeinhin eigentlich eine Garantie für die rasche Erledigung eines Gerichtsakts. Richter Gerald Wagner kann angesichts der Ankündigung der Verteidigerin, dass ihr unbescholtener 39-jähriger Mandant zugeben wird, am 21. April einem 51-Jährigen die Nase gebrochen hat, von einer entspannten und reibungslosen Verhandlung ausgehen. Er täuscht sich. Denn der angeklagte arbeitslose Türke kann weder ein schlüssiges Motiv für die Attacke nach einem Freitagsgebet in einer Wiener Moschee nennen, noch zeigt er sonderliche Reue. Ganz im Gegenteil.

"Es war eine Kurzschlussreaktion", versucht seine Rechtsvertreterin in ihrem Eröffnungsplädoyer Richter Wagner noch zu überzeugen. Dieser beginnt die Einvernahme des Angeklagten mit der Frage, ob er seinem Kontrahenten ins Gesicht geschlagen und ihm dabei die Nase gebrochen habe. "Ja", antwortet der 39-Jährige. "Warum?", will Wagner wissen. Ab da entgleitet die Einvernahme etwas. Zunächst lässt der dreifache Vater übersetzen, jemand habe seine Ehegattin entführen und bestrafen wollen. Dann wieder, der Schwerverletzte habe schlecht über den Schwager des Angeklagten gesprochen. Und irgendwann, ein Anruf des Opfers habe dazu geführt, dass er von seiner Ehefrau verlassen worden sei.

Je länger die Befragung dauert, desto schwächer wird auch das Geständnis. An einem Punkt stellt der Mann in den Raum, er habe nur mit der flachen Hand zugeschlagen, und der 51-Jährige sei gegen eine Regalkante gestürzt und müsse sich dabei verletzt haben. Mehr oder weniger fassungslos reagiert der Richter dann auf die Antwort des Angeklagten, ob er wieder so handeln würde. Wenn die Ehre verletzt oder schlecht über die Familie geredet werde, müsse man sich wehren können, ist der 39-Jährige überzeugt. "Ist Ihnen klar, dass Ihnen bis zu fünf Jahre Haft wegen schwerer Körperverletzung drohen? Schauen Sie, bei einem geständigen Unbescholtenen wird es normalerweise zu einer Verurteilung und einer bedingten Haftstrafe kommen. Aber wenn Sie jetzt eigentlich sagen, Sie würden das wieder machen, wird das schwierig", mahnt er.

Länger schwelender Konflikt

Den Angeklagten beeindruckt das nicht sonderlich. Er stellt auch in den Raum, vom Opfer bereits länger belästigt worden zu sein und seine Nummer vor einem Jahr gesperrt zu haben. "Sie sehen da also schon länger ein Problem. Haben Sie in dem einen Jahr einmal ein Gespräch gesucht?", interessiert Wagner. Hat der Mann nicht. "Stattdessen haben Sie ihm ansatzlos die Nase gebrochen?", mag es der Richter kaum glauben. Hat er, gibt der Angeklagte dann doch wieder zu. Ob er sich nach der Attacke auf Social Media über das Opfer lustig gemacht habe, will dessen Privatbeteiligtenvertreter noch wissen. Der Angeklagte leugnet das.

Der Verletzte, ein türkischstämmiger österreichischer Arbeiter, kann Wagners Frage nach einem Motiv auch nicht schlüssig beantworten. Irgendeine Vorgeschichte scheint es zwischen den Männern zu geben, da der Dolmetscher aber nicht direkt ins Mikrofon spricht, ist sie in der grauenhaften Akustik des Großen Schwurgerichtssaal nicht zu verstehen. Entführen wollte er die Gattin des Angeklagten jedenfalls nicht, beteuert der Zeuge. Selbst die Verteidigerin konzediert, dass die Hintergründe nur bedingt eine Rolle spielen, da selbst üble Nachrede keinen Nasenbeinbruch rechtfertigen würde.

Das Opfer, das 4.000 Euro Schmerzensgeld fordert und vom Angeklagten auch versprochen bekommt, erzählt auch noch, dass er zwei Monate nicht arbeiten konnte. Nicht nur wegen der physischen Beeinträchtigung, sondern auch wegen der psychischen. Er habe nach dem seiner Aussage nach unvorhersehbaren Angriff Angst gehabt, seine Wohnung zu verlassen, berichtet er, erst im Rahmen einer Psychotherapie habe sich das gebessert. "Sie haben auch erwähnt, dass sich der Angeklagte über Sie lustig gemacht hat?", will der Privatbeteiligtenvertreter dazu Details. Es stellt sich heraus, dass der 39-Jährige ein Foto der Ladung zur Gerichtsverhandlung inklusive Namen des Opfers auf Whatsapp gepostet und in einem Café mit einer dritten Person über den Prozess gesprochen hat.

Staatsanwältin vermisst Reue

"Viel Reue habe ich jetzt nicht gesehen", merkt Staatsanwältin Tatiana Spitzer-Edl in ihren Schlussworten an, auch das vermeintliche Recht auf die Verteidigung der Familienehre sieht sie ganz und gar nicht. Die Verteidigung bleibt dagegen dabei, dass es sich bei der Tat um einen einmaligen Ausrutscher gehandelt habe, und bittet um eine bedingte Strafe.

Die bekommt der 39-Jährige mit zehn Monaten bedingter Haft auch, allerdings unter Auflagen. Der Angeklagte muss Bewährungshilfe in Anspruch nehmen und ein Antiaggressionstraining absolvieren. "Sie müssen mir innerhalb eines Monats nachweisen, dass Sie mit dem Training begonnen haben, sonst kann die Bedingte auch widerrufen werden", erläutert Richter Wagner sein rechtskräftiges Urteil. (Michael Möseneder, 20.11.2023)