Bei Säugetieren ist sexuelle Fortpflanzung zwischen einem weibliche und einem männlichen Tier die einzig bekannte Form der Vermehrung. Bisher ging die Zoologie davon aus, dass es bei allen Arten zu einer vaginalen Kopulation kommt: Ein wie auch immer gestalteter Penis dringt in das weibliche Geschlechtsorgan ein, in das die Samenzellen ergossen werden. Aufgrund der nächtlichen und schwer beobachtbaren Lebensweise der Fledermäuse ist das Paarungsverhalten der Flattertiere bislang eher ein weißer Fleck auf der Landkarte der tierischen Kopulationsforschung.
Hatten Fachleute bisher vermutet, dass es die Fledermäuse nicht viel anders treiben als andere Säugetierspezies, so machte ein internationales Forscherteam um Nicolas J. Fasel (Uni Lausanne) nun eine überraschende Entdeckung: Bei der Breitflügelfledermaus (Eptesicus serotinus), die in Europa weit verbreitet ist, beobachteten die Forschenden einen unverhältnismäßig großen herzförmigen Penis, der im erigierten Zustand zwar nur rund einen Zentimeter groß ist.

Absurde Penisgröße
Im Vergleich zum restlichen Körper ist das allerdings enorm und macht rund 20 Prozent der Kopf-Rumpf-Länge von sechs Zentimeter aus. Noch absurder wird diese Größe im Vergleich zur Vagina der Weibchen, die siebenmal kürzer und schmäler ist als der Phallus mit dem Herz am Ende. Stellt sich die Frage, wie die Empfängnis bei dieser Fledermausart zustande kommt. Dafür bieten sich zwei mögliche Erklärungen an: Eine Hypothese besagt, dass die Schwellkörper des Penis erst nach der Penetration anschwellen. Dieses Art der Kopulation wird bei bestimmten Säugetierarten beobachtet und führt zu dem Phänomen, das als "Kopulationssperre" bekannt ist – um so zu verhindern, dass konkurrierende Männchen zum Zug kommen.
Alternativ könnte der bewegliche und erigierte Penis dazu benutzt werden, die schützende Schwanzmembran des Fledermausweibchens zu überwinden, um die Vulva zu erreichen. Bei dieser Strategie dringt der Penis jedoch nicht in die Vagina ein. Es kommt nur zur sogenannten Kontaktpaarung, die bei Vögeln weit verbreitet ist und als sogenannter Kloakenkuss bekannt ist.
93 beobachtete Paarungen
Um diese offene Frage zu klären, dokumentierte das Team um Nicolas J. Fasel 93 mutmaßliche Fledermaus-Paarungen auf dem Dachboden einer niederländischen Kirche und vier Paarungen in einem ukrainischen Rehabilitationszentrum. Während der Kopulation ergriff das Männchen das Weibchen in dorsoventraler Position – also Doggystyle, nur eben in verkehrt hängender Variante. Bei den Kopulationen biss das Männchen in die Haut im Nacken, und die seitlichen Bewegungen des männlichen Hinterteils wurden dann von schnellen Sondierungsbewegungen des voll erigierten Penis begleitet.

Während dieser Zeit hörten die Forschenden "mehrere soziale Rufe, die wahrscheinlich vom Weibchen ausgestoßen wurden. Sobald der Penis fest gegen die Vulva gedrückt wurde, blieb das Männchen ruhig und bewegte sich nur noch sporadisch, und es waren keine weiteren Rufe mehr zu hören." Nach der Kopulation erschien das Fell am Bauch des Weibchens feucht, was auf das Vorhandensein von Sperma hindeutet – und dass eine Art von "befleckter Empfängnis" stattgefunden hat beziehungsweise eine Art von "Kloakenkuss".
Bis zu zwölfstündige Paarungen
Die Hälfte der aufgezeichneten Kopulationen dauerte weniger als 53 Minuten, im Extremfall wurden mehr als zwölf Stunden gestoppt. Eine echte Kopulation wurde zu keinem Zeitpunkt beobachtet. Die Zoologinnen und Zoologen schließen daraus, dass der lange Penis dieser Fledermausart als eine Art "Kopulationsarm" dienen könnte, um die Membran des Weibchens auf dem Weg zur Vagina zu überwinden. Die hohle Struktur auf dem Rücken des erigierten Penis könnte als Saugnapf dienen und die Aufrechterhaltung des Kopulationskontakts unterstützen.
All das ist bei einer Säugetierart noch nie beobachtet worden und bislang einzigartig, resümieren die Forschenden im Fachblatt "Current Biology". Sie vermuten aber, dass diese Art der nichtpenetrierenden Kopulation auch bei anderen Fledermausspezies vorkommen könnte. (tasch, 21.11.2023)