
Bei psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie erleben die Betroffenen häufig auch akustische Halluzinationen. Aber es gibt nichtinvasive Möglichkeiten, die flüsternden Stimmen vorübergehend zum Schweigen zu bringen. So sprach etwa ein signifikanter Anteil von Testpersonen positiv auf die Magnetstimulation des Gehirns an. Umgekehrt ist es nun einem Schweizer Forschungsteam gelungen, solche auditorischen Halluzinationen bei gesunden Probandinnen und Probanden durch äußere Einwirkungen auszulösen.
Der Mechanismus, der dazu führt, dass insbesondere Menschen mit psychischen Erkrankungen Stimmen hören, ist bisher schlecht verstanden, wie die Forschenden der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) und der Universität Genf in der im Fachjounal "Psychological Medicine" veröffentlichten Studie schrieben.
Erklärungsversuche
"Wir haben eigentlich noch keine Ahnung, was bei auditorischen Halluzinationen im Gehirn passiert", stellte der Erstautor Pavo Orepic klar. Laut dem Hirnforscher hören mehr als siebzig Prozent der Menschen mit Schizophrenie Stimmen. Und was diese Stimmen sagen, sei meist negativ. Um nichthalluzinierende Menschen inexistente Stimmen hören zu lassen, haben die Forscherinnen und Forscher ein Experiment entworfen, um die Gehirne der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer zu verwirren.
Frühere Studien wiesen darauf hin, dass auditorische Halluzinationen auftreten, wenn sensorische Eindrücke nicht den Erwartungen des Gehirns entsprechen. Andere Studien erklärten Stimmhalluzinationen damit, dass das Gehirn Sinneswahrnehmungen verfälscht interpretiert, wenn es durch vorherige Eindrücke geprägt ist. Im Experiment kombinierten die Forschenden diese zwei Theorien.
Vom Roboter angestupst
In einem ersten Schritt mussten die Versuchspersonen mit verbundenen Augen auf einen Hebel drücken, der sich vor ihnen befand. Gleichzeitig berührte sie ein für sie nicht sichtbarer Roboter am Rücken. Dies zielte nach Ansicht der Forschenden auf die erste Theorie ab, da der sensorische Eindruck der Berührung des Rückens nicht den Erwartungen des Gehirns entsprach. Bereits frühere Studien haben demnach belegt, dass dies mit der Zeit die Illusion generiert, dass sich Personen durch das Drücken des Hebels selbst am Rücken berühren.
In einem nächsten Schritt wurde diese Berührung verzögert. Die Idee dahinter ist: Wenn die Berührung am Rücken nicht mehr mit dem Drücken des Hebels synchronisiert ist, muss das Gehirn eine neue Erklärung dafür finden. Etwa die Anwesenheit einer weiteren Person. Eine solche falsche Präsenzwahrnehmung kann laut der zweiten Theorie Halluzinationen begünstigen.
Um zu testen, ob dieses Experiment wirklich Stimmhalluzinationen auslöste, spielten die Forschenden den Versuchspersonen Rauschgeräusche vor. Teilweise waren dem Rauschen Aufnahmen der eigenen Stimme oder von fremden Stimmen beigemischt, teilweise war nur das Rauschen zu hören.
Nicht jede Stimme ist krankheitsbedingt
Dabei zeigte sich, dass die Personen nach dem Experiment häufiger fremde Stimmen in den Geräuschen hörten, auch wenn keine Stimme beigemischt war. Das "Halluzinations-Engineering", wie es in der Studie bezeichnet wird, hat also gewirkt. Das Experiment zeige, dass die beiden Theorien zur Entstehung von Halluzinationen möglicherweise ineinandergriffen. Die Studie bestätige außerdem, dass die Mechanismen, die hinter den Halluzinationen stecken, eigentlich in jedem Hirn vorhanden seien, sagte Orepic. "Aber aus irgendwelchen Gründen sind manche anfälliger dafür als andere."
Wie die Wissenschafter schreiben, heißt das Hören von Stimmen nicht unbedingt, dass eine Erkrankung dahintersteckt. Fünf bis zehn Prozent aller Menschen hören demnach manchmal Stimmen. Laut Orepic verläuft die Grenze zwischen harmlosen und krankhaften Halluzinationen fließend. (red, APA, 20.11.2023)