Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan und sein Chef-Imam Ali Erbaş bei einem gemeinsamen Auftritt im Jahr 2017 in Ankara.
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Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan nennt die Hamas-Terroristen "Freiheitskämpfer", Israel hält er für einen "Terrorstaat". Dessen Chef-Imam Ali Erbaş, Präsident der türkischen Religionsbehörde Diyanet, bezeichnete Israel im Oktober gar als einen "rostigen Dolch im Herzen der muslimischen Welt". Und Erbaş rief erst kürzlich rund 200 Theologen aus aller Welt ins Gewissen: "Das zionistische Israel begeht in Gaza einen Völkermord mit seinen Angriffen, die auf einem schmutzigen und perversen Glauben basieren." DER STANDARD berichtete.

Eren Güvercin, Gründungsmitglied der muslimischen Alhambra-Gesellschaft in Deutschland, verurteilte die Aussagen von Erbaş in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sehr deutlich als "antisemitische Tiraden". Hierzulande bleibt das alles ein eher untergeordnetes Thema.

Aber was hat das alles auch mit Österreich zu tun? Erdoğans Religionsbehörde gibt eben nicht nur in der Türkei den theologischen und ideologischen Takt vor. Ihrer Fühler reichen bis nach Wien. Wie weit, wird durch den heurigen Jahresrückblick der Dokumentationstelle Politischer Islam nun noch einmal deutlicher.

Die zwei Gastprediger aus dem Fernsehen

Die 2020 vom Kanzleramt gegründete Forschungsstätte hält eine Verbindung zur Atib, dem größten türkeistämmigen Verband Österreichs, nach wie vor für evident. Und das, obwohl die Atib seit Jahren versuche, sich als unabhängig zu präsentieren. Die Dokumentationsstelle führt aktuellere Beispiele an, um das Gegenteil zu illustrieren. So sei ein Religionsattaché 2022 nicht nur in der türkischen Botschaft in Wien tätig gewesen, sondern auch im Vereinsbetrieb der Atib, etwa als Prediger in der Zentrale des Verbands. Es dürfte aber nicht der einzige Diyanet-Funktionär gewesen sein, der bei der Atib gewirkt habe.

Im vergangenen Jahr sollen auch zwei Gastprediger in der Atib-Zentrale in Wien aktiv gewesen sein. "Beide sind häufig in Sendungen von Diyanet TV, einem Fernsehkanal der Diyanet, der auch in Österreich per Satellit oder Internet empfangen werden kann, zu Gast", heißt es in dem Bericht. Einer davon sei zudem Mitglied des Hohen Rates der Diyanet. Der andere Funktionär habe zumindest bis Dezember 2022 das Diyanet-Präsidium beraten und sei spätestens seit dem heurigen April für religiöse Angelegenheiten in der türkischen Botschaft in Wien zuständig. Rund um seinen Dienstantritt in der Botschaft soll der besagte Funktionär auch in der Atib gepredigt haben, vermutet die Dokumentationsstelle in ihrem Jahresbericht.

Ein Taliban-Auftritt in Köln

Die guten Kontakte der Atib dürften aber nicht bei der Diyanet enden. Als enger Draht nach Ankara wird auch gewertet, dass der Verband einem Funktionär von Erdoğans Partei AKP im September 2022 "die Räumlichkeiten der Zentralmoschee in Salzburg zu Dialogzwecken mit regionalen Türkeistämmigen zur Verfügung stellte".

Die Atib ließ allerdings schon vor zwei Wochen einen Fragenkatalog des STANDARD zu den antisemitischen Aussagen von Erbaş, Verbindungen zur Diyanet sowie zur türkischen Botschaft unbeantwortet. So auch diesmal. Bei der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) hingegen stießen die Sager aus Ankara auf strikte Ablehnung.

Als deutsches Pendant zur Atib gilt übrigens die sogenannte Ditib, die offiziell unter Kontrolle und Aufsicht der türkischen Religionsbehörde steht. Und die schafft es mittlerweile nicht mehr aus den Schlagzeilen. Das liegt nicht nur an der zögerlichen Distanzierung von Erdoğan, der die Hamas-Massaker feiert und Deutschland erst am Freitag vergangener Woche einen vielbeachteten Staatsbesuch abstattete. Sondern auch daran, dass zuvor ein hochrangiger Taliban-Funktionär eine Propagandarede in einer Kölner Moschee der Ditib halten konnte, wie unter anderem die "Tagesschau" berichtete.

Ein bedeutender Unterschied

Die Ditib schob die Verantwortung für den Taliban-Auftritt prompt auf einen anderen Kulturverein. Der Verband distanzierte sich im Vergleich zur Hamas aber ungleich deutlicher von den Taliban: "Die menschenverachtende, frauenfeindliche und freiheitsfeindliche geistige Haltung der Taliban ist mit unserem Glauben in keiner Weise zu legitimieren, und wir stehen dieser Auslegung als Muslime entschieden entgegen."

Güvercin, Politiker der liberalen FDP in Deutschland, fehlt in der Diskussion trotzdem etwas. Weder der Zentrale noch der Basis der Ditib sei es möglich, die Hamas als das zu benennen, was sie sei: eine Terrororganisation, twitterte Güvercin erst unlängst. Ebenso vermisst er eine "klare Haltung" gegen Erbaş: "Vor dieser Realität darf unsere Politik die Augen nicht weiter verschließen."

Zurück nach Österreich. Hierzulande beobachtet die Leiterin der Dokumentationsstelle, Lisa Fellhofer, in der Diskussion um Erbaş und Co einen bedeutenden Unterschied. "Beim Nahostkonflikt ging die offizielle Seite, also die IGGÖ, sehr schnell auf Distanz zur Hamas", sagt Fellhofer. "Das liegt auch daran, dass es hierzulande im Gegensatz zu Deutschland einen solchen gesetzlich anerkannten Ansprechpartner gibt, das sorgt insgesamt für eine erhöhte Transparenz."

Wie es um das Naheverhältnis von Atib zur türkischen Religionsbehörde steht und über wie viel Einfluss die Behörde in Wien tatsächlich verfügt, kann die Forschungsstelle allerdings nur anhand der bereits erwähnten Personalüberschneidungen erahnen. "Wir haben noch nicht gehört, dass Erbaş in Predigten einer Atib-Moschee vorkam, es ist auch nicht jede Atib-Moschee oder jeder Imam dort wegen Erbaş' Aussagen sofort als extrem anzusehen. Welche Dinge außerhalb der religiösen Strukturen diskutiert werden, können wir jedoch im Moment nicht feststellen."

Der Antisemitismus rund um die türkische Religionsbehörde macht jedenfalls längst nicht bei Erdoğan und Erbaş halt. Die Dokumentationsstelle führt dafür Halil Konakçı als Beispiel an. Der Diyanet-Prediger zählt auf Youtube mehr als 640.000 Follower und soll seinem Publikum am Tag nach dem Hamas-Angriff auf Israel gesagt haben: "Wer auch nur eine Spur von Freundschaft zum Juden pflegt, wer dem Juden auch nur eine Spur von Unterstützung zeigt, soll wissen, dass er das Antlitz des Himmels (im Jenseits) nicht sehen wird. Ich sage euch das erwiesen aus dem Koran." (Jan Michael Marchart, 22.11.2023)