
Im wahrsten Sinne des Wortes war für ihn ein Tag wirklich einschneidend. Ein Lkw verlor vor ihnen Öl, als Andreas Onea als sechsjähriger Junge mit seinen Eltern vor der ungarisch-rumänischen Grenze im Auto fuhr. Es verlor die Kontrolle, überschlug sich, und die Familie krachte gegen einen Baum. Onea, der damals mit seinem linken Arm in den Gurt eingewickelt am Hintersitz schlief, wurde aus dem Auto geschleudert. Wie durch ein Wunder blieben alle am Leben, teils aber schwerverletzt, wie Onea. Er trug lebenslange Folgen davon. Denn durch die Wucht verlor er den Arm, der im Gurt hing.
So begann Onea seinen Vortrag, als er vor einer Woche beim Summit der Gesellschaft für Prozessmanagement in der Orangerie in Wien auf der Bühne zur Überwindung von persönlichen Hürden inspirieren wollte. Der Bronze-Gewinner bei den Paralympics im Schwimmen und Fernsehmoderator blieb bei seiner Anfangsszene trotzdem irgendwie enthusiastisch. Denn das, was geschehen war, ebnete auch seine weitere Laufbahn maßgeblich.
In einem Rehabilitationszentrum lernte Onea als Kind, wie er mit nur einem Arm seinen Alltag bewältigen können werde. "Ich habe aber schnell gemerkt, die Welt da draußen ist nicht unbedingt optimal für einarmige junge Kinder." Von anderen Kindern wurde ihm gesagt, was er alles nicht mehr könne, da er nur noch einen Arm hatte. "Da habe ich für mich entschieden, dass ich eine Lösung finden muss, ich wollte den anderen das Gegenteil beweisen." Offensichtlich müsse er Dinge anders angehen, aber er würde es lernen, sagte er sich.
In Bewegung bleiben
Nach Empfehlung seiner Ärzte musste Onea viel Sport treiben, um weiterhin fit zu bleiben und die noch vorhandenen Gliedmaßen zu stärken. Also begann er im Schwimmbad Runden zu ziehen. Ein Trainer sagte ihm irgendwann, er solle doch öfter kommen, er stelle sich ganz gut an. Der junge Onea gab sich immer mehr Mühe, und mit zwölf Jahren landete er dann bei den Staatsmeisterschaften – mit einem Sieg. Er erinnert sich gleichzeitig an Hänseleien durch andere Jugendliche, weil er eben nur einen Arm hatte. Lasse ich zu, dass mich verbale oder physische Angriffe negativ beeinflussen?, fragt Onea rhetorisch in die Menge. "Oder finde ich eine Lösung, dass ich damit umgehen lerne?" Er entschied sich, weiter zu trainieren um zu zeigen, dass er trotz einer Behinderung als Staatsmeister im Schwimmen große Erfolge feiern kann.
2008 landete er dann zufällig einen Coup: Onea qualifizierte sich bei einem Wettkampf für die Paralympics in Peking. Mit österreichischem Rekord schwamm er dort in der Vorrunde und gelangte ins Finale. Sein Unfall jährte sich damals zum zehnten Mal, und er stand mit den weltbesten Paralympics-Schwimmern am Start, erinnert er sich. Er wurde damals Sechster. In ihm wäre das erste Mal der Wunsch aufgekommen, wirklich eine Medaille bei dem Event zu gewinnen. "Eigentlich hätte man sagen müssen, Junge, hör auf zu träumen, komm zurück, mach deine Matura und hör auf zu träumen", sagt Onea, "du performst in einer Sportart, für die sich in Österreich niemand interessiert, und bist aus einer Familie, die eigentlich nichts mit Sport am Hut hat."
Aber das war ihm alles egal. Er trainierte immer mehr, in der Früh und am Nachmittag, wurde neuntschnellster Österreicher, die nicht behinderten Schwimmer miteinberechnet. 2012 war er sich sicher, er holt eine Medaille. 26 Hundertstel trennten ihn jedoch von Edelmetall: Er wurde knapp Vierter. "Ich habe alles gegeben, es hat nicht sein sollen."
Nicht einmal Finale
Aber wenn er sich davon hätte unterkriegen lassen, erinnert sich Onea zurück, dann wäre es das gewesen mit den Paralympics. "Das sind die wichtigsten Lernmomente." Was macht man in dem Moment?, fragt Onea das Publikum. "Wir haben zwei Optionen: Wir lassen zu, dass es uns einschränkt, oder wir finden eine Lösung." Sein Traum für die nächsten Spiele in Rio de Janeiro war jedenfalls so groß, dass er weiter trainierte.
Und es fruchtete: Onea wurde in Rio Dritter, holte Bronze. Ihm wurde klar, er hatte unendlich Schweiß und Tränen verbraucht, um die paar Minuten am Podium zu stehen als einer der drei schnellsten Schwimmer im Behindertensport. "Sobald man sich mit einem Erfolg identifiziert, hat man irgendwann Probleme mit dem Scheitern." Auch Niederlagen seien Anreize, weiter zu lernen und sich zu optimieren. Drei Jahre später schaffte es Onea nicht einmal ins Finale bei den Paralympics. "Nach so einem Moment muss man versuchen zu beeinflussen, was man beeinflussen kann." Nicht einfach so aufgeben also. 2022 hingegen gab es dann wieder Bronze für Onea.
Unerwartete Hürden
Eine lustige Geschichte hängt Onea noch hintenan. Bei einer Meisterschaft sei seine Badehose beim Start hinten gerissen. Er hätte auch hier nur zwei Optionen gehabt, sagt er: nicht starten oder einfach weitermachen. Er entschied sich für die zweite Option und schwamm die schnellsten hundert Meter seines Lebens, inklusive Rekord. Doch die Entscheidung, auch mit gerissener Hose zu schwimmen, traf er nicht beim Start, sagt Onea, sondern bereits in den Wochen und Monaten zuvor im Becken, beim Training und in der harten Vorbereitung.
"In diesen Momenten entscheide ich mich, dass ich nicht aufgebe", sagt der Schwimmer. "Die Arbeit, die Sie in Ihr Projekt stecken, ist der Zeitpunkt, an dem Sie beschließen, nicht aufzugeben, wenn Unvorhergesehenes passiert." Denn auch im Berufsleben passieren Dinge wie Budgetveränderungen oder Änderungen der Rahmenbedingungen. Und da könne man sich aktiv entscheiden, lösungsorientiert zu bleiben, statt sich einschränken zu lassen, resümiert Onea für sein Publikum. (Melanie Raidl, 21.11.2023)