Senator Joël Guerriau.
Senator Joël Guerriau wird vorgeworfen, einer Kollegin Drogen verabreicht zu haben.
AFP/Télé Liban/HANDOUT

Joël Guerriau ist nicht irgendjemand: Der 66-jährige parteilose Senator gilt als einflussreicher Parlamentarier; er sitzt seit 13 Jahren im französischen Oberhaus und hat dabei schon prestigereiche Gremien wie die außenpolitische Kommission geleitet. Auch zur Nationalversammlung, dem Erstrat, pflegt er enge Kontakte. Vor einer Woche lud er seine langjährige Bekannte, die Abgeordnete Sandrine Josso, in einer Sitzungspause zu sich ein, um, wie er sagte, seine kürzliche Wiederwahl zu feiern.

Wie Josso am Dienstag im Fernsehen berichtete, hieß sie der Senator im Wohnzimmer Platz nehmen, während er in der Küche den Champagner entkorkte. Er brachte die bereits gefüllten Gläser und prostete der Politikerin zu. Der erste Schluck sei etwas süßlich gewesen, fand die Abgeordnete der Mittepartei Modem. Ihr Gegenüber habe ihr aber noch ein zweites und drittes Mal zugeprostet. Sie fand das seltsam – und sah dann, wie der Senator in der Küche ein "weißes Säckchen" in einer Schublade verschwinden ließ.

Dann habe ihr Herz zu flattern begonnen, der Schweiß sei ihr ausgebrochen. Da habe sie verstanden, dass ihr der langjährige Berufskollege eine chemische Substanz in den Drink geschüttet habe – mutmaßlich in sexueller Missbrauchsabsicht. Sie rief ein Taxi und verließ die Wohnung, obwohl sie kaum mehr gehen konnte. "Ich hatte Angst zu sterben, einen Herzinfarkt zu erleiden", berichtete Josso (48).

Alles ein Irrtum

Auf der Notfallstation wurden in ihrem Blut Spuren von Ecstasy gefunden. Sofort festgenommen, hatte Guerriau eine Erklärung dafür: Er habe von einem anderen Senator in einer "dünklen" Phase ein Aufputschmittel erhalten; allerdings habe er es zu sich genommen, obwohl er es bereits in ein Glas geschüttet habe. Dann habe er das Ganze vergessen und der befreundeten Abgeordneten dummerweise dasselbe Glas serviert.

Die Justiz glaubt dieser Version nicht: Sie ermittelt wegen "Verabreichung einer Substanz mit der Absicht, eine Vergewaltigung oder eine sexuelle Aggression zu begehen". Darauf stehen bis zu fünf Jahre Gefängnis. Da es sich um ein Schnellverfahren handelt, gilt die parlamentarische Immunität nicht. Ex-Premierminister Edouard Philippe, dessen Partei Horizons Guerriau angehört, hat den Senator umgehend suspendiert; Senatspräsident Gérard Larcher forderte den Rücktritt Guerriaus, der sich in früheren Reden gegen jede Art von Drogenkonsum starkgemacht hatte.

Verwendung von Partydrogen

Die Entrüstung ist landesweit groß. Die grüne Abgeordnete Sandrine Rousseau erklärte, es handle sich nicht um eine Drogenaffäre, sondern um sexuelle Gewalt. 2022 war in Paris schon der Direktor des renommierten Thinktanks Institut Montaigne zu einer bedingten Haftstrafe von einem Jahr verurteilt worden, nachdem er einer Untergebenen und zugleich Ex-Schwägerin eine Droge ins Getränk geschüttet hatte.

Laut der Vorsteherin des Vereins M'endors pas (Schläfere mich nicht ein), Caroline Darrieu, kennen die Drogenverabreicher ihre Opfer in den meisten Fällen, sei es im Beruf oder privat. Viele Diskotheken wüssten zudem von der Verwendung der Partydroge GHB. Die Abgeordnete Sandrine Josso, die seit einer Woche unter Panikschüben leidet, berichtete von einer hingeworfenen Bemerkung eines Helfers, seine Notfallstation habe "dreimal am Tag" mit Fällen heimlicher Drogenverabreichung zu tun. (Stefan Brändle aus Paris, 21.11.2023)