
Seit Wochen sind die Verhandlungen rund um einen Geiselaustausch und eine Waffenpause zwischen Israel und der Hamas im Gange. Daran beteiligt: der Mediator Katar, der mit Vertretern der Hamas, Israels, der USA und Ägyptens in laufendem Kontakt steht. Die Katarer kommunizierten mit jenem Teil der Hamas, der in Doha angesiedelt ist. Das soll ein Grund für die wiederholten Verzögerungen sein: Am Ende muss der Deal von den Hamas-Spitzen in Gaza, also Yahya Sinwar und Mohammed Deif, eingehalten werden, und sie sendeten in den vergangenen Wochen widersprüchliche Signale aus.
Auch in Israels Regierung gibt es Widerstände. Die Rechts-außen-Kräfte in der Koalition sind strikt gegen jede Freilassung palästinensischer Gefangener. Die Aussicht, dass es sich dabei um Kinder und Frauen und jedenfalls nicht um Gefangene mit Hamas-Nähe handeln würde, besänftigte sie bislang nicht. Immerhin legte sich Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir von der rechtsnationalen Partei Otzma Yehudit am Dienstag nicht mehr fest, dass er auf jeden Fall gegen einen solchen Deal stimmen würde.
Dreimal so viele palästinensische Gefangene
Wie weit die Vereinbarung geht, war bis zum späten Nachmittag nicht klar. Das hängt auch davon ab, wann einer der beiden Konfliktparteien den Deal bricht. Mit jedem weiteren Tag soll eine gewisse Anzahl von Geiseln aus Gaza nach Israel überstellt werden. Im Gegenzug sollen jeweils dreimal so viele palästinensische Gefangene freigelassen werden. Sowohl bei den Geiseln als auch bei den Gefangenen soll es sich um Frauen und Kinder handeln.
Zu Beginn war von 50 befreiten Geiseln und 150 entlassenen Gefangenen die Rede, es könnten aber auch mehr sein – oder weniger: Niemand weiß, wie viele der Geiseln sich tatsächlich in Gefangenschaft befinden, und ob sich die kleineren Terrorgruppen, die ebenfalls Geiseln festhalten, einem Deal mit Israel verpflichtet fühlen. Sollte alles gutgehen, könnten in einer zweiten Tranche weitere 50 Geiseln freigelassen werden – wieder im Austausch gegen 150 palästinensische Gefangene. Nicht zuletzt umfasst der Deal den Zugang weiterer humanitärer Hilfslieferungen über den ägyptischen Grenzübergang Rafah.
Mehrtägige Waffenpause
Aus Sicht der Hamas ist die Freilassung der Häftlinge aus israelischen Gefängnissen aber wohl nicht der wichtigste Punkt des Deals. Viel bedeutender ist die mehrtägige Waffenpause. Sie ist nötig, um den Hamas-Kämpfern die Möglichkeit zu geben, nach mehr als sechs Wochen die Tunnel zu verlassen, sich neu zu organisieren und sich für die nächsten Etappe der israelischen Bodenoffensive zu wappnen. Um dabei ungestört vorgehen zu können, verlangt die Hamas ein Aussetzen der israelischen Luftraumüberwachung via Drohnen. Am Boden sind die israelischen Truppen aber auch während der Waffenpause präsent. Die Armee kündigte an, auch weiterhin jedem Anschein einer Bedrohung für die Truppen mit Feuer zu begegnen.
In Israel gibt es einige Kritik an der Vereinbarung. Viele fühlen sich an den Gefangenenaustausch rund um die israelische Geisel Gilad Shalit erinnert: Im Jahr 2011 wurde er gegen mehr als tausend palästinensische Gefangene eingetauscht – unter ihnen der heutige Hamas-Führer in Gaza, Yahya Sinwar.
Bilder aus dem Gazastreifen
Auch die Waffenpause macht israelischen Militärstrategen Sorgen: Laut Armeeangaben war es in den vergangenen Wochen gelungen, die Hamas im Gazastreifen wortwörtlich in die Ecke zu drängen. Diesen Vorsprung droht man nun aufzugeben. Dazu kommt die Befürchtung, dass in den Tagen der Waffenpause zahlreiche Vertreter internationaler Medien Bilder aus dem Gazastreifen verbreiten könnten. Der Anblick der Verwüstung im Norden des Streifens könnte, so befürchten manche in Israel, die Stimmung in der Welt kippen lassen und den Druck auf Israel erhöhen.
Kritik kommt nicht zuletzt von manchen Vertretern der Angehörigen der Geiseln. Sie werfen der Regierung vor, die Geiseln als zweitrangig und die Vernichtung der Hamas als prioritär anzusehen. Die Befürchtung, dass diesem Deal sehr lange kein zweiter nachfolgen könnte, überschattet die Erleichterung über die Freilassung der gefangenen Kinder. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 21.11.2023)