In Sachen Glyphosat sind die Würfel gefallen. Zumindest fürs Erste. Die EU-Kommission wird die Zulassung des Unkrautvernichtungsmittels, die am 15. Dezember auslaufen wird, auf weitere zehn Jahre verlängern. Das ist im EU-Recht so vorgesehen, wenn die Mitgliedsstaaten sich weder auf ein Für noch auf ein Wider verständigen können. Das war vergangene Woche der Fall. Im EU-Berufungsausschuss kam am vergangenen Donnerstag erneut keine qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten für die Verlängerung oder Ablehnung der Zulassung zustande. Unmittelbar danach – und damit für viele überraschend schnell – gab die EU-Kommission ihre Entscheidung bekannt.

Umweltschützer demonstrieren in Berlin gegen das Artensterben. 
Unterstützer von Extinction Rebellion und anderen Umweltschutzorganisationen demonstrierten vor der Zentrale der Division Pharmaceuticals der Bayer AG in Deutschland gegen das massive Artensterben.
IMAGO/Christian Ender

Mehrere europäische Umwelt-NGOs wollen es aber nicht darauf beruhen lassen. PAN Europe und die Mitgliedsorganisationen Générations Futures (Frankreich), Global 2000 (Österreich) und PAN Germany wollen beim EU-Gericht in Luxemburg die Entscheidung anfechten. Die vier NGOs wollen darlegen, dass das EU-Pestizidrecht im Hinblick auf den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt, insbesondere der biologischen Vielfalt, nicht eingehalten wurde. Demnach müssten "menschliche Gesundheit und die Umwelt Vorrang haben", sagte Martin Dermine von PAN Europe vor Journalisten am Dienstag. Das Vorsorgeprinzip sei die Grundlage der Pestizidgesetzgebung. "Die Wiederzulassung von Glyphosat widerspricht dem Vorsorgeprinzip", ergänzte Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker bei Global 2000.

Politische Entscheidung

Die Schlussfolgerung der NGOs: Es habe sich um eine politische Entscheidung gehandelt, die durch EU-Recht nicht gedeckt sei. Dermine verweist zudem auf ein aktuelles Glyphosat-Urteil aus den USA. Demnach hat ein Geschworenengericht im Bundesstaat Missouri den deutschen Chemieriesen Bayer in einem weiteren Glyphosat-Prozess zur Zahlung von mehr als 1,5 Milliarden Dollar verurteilt. Das Gericht gab damit Klägern recht, die ihre Krebserkrankungen auf die jahrelange Anwendung des glyphosathaltigen Unkrautvernichters Roundup zurückgeführt hatten. Entsprechende Vorwürfe gegen Glyphosat hat der deutsche Pharmakonzern stets zurückgewiesen. Dass in Europa die Zulassung verlängert wird, sieht Dermine als eine Fehleinschätzung.

Ohnehin stehe in der EU eine Mehrheit der Bevölkerung dem Herbizid kritisch gegenüber, betont Dermine. Gegen die Wiederzulassung hatten Österreich (das durch einen Parlamentsbeschlusses gebunden ist, Anm.), Kroatien und Luxemburg gestimmt. Große Länder wie Frankreich, Deutschland und Italien hatten sich der Stimme ebenso enthalten wie Belgien, Bulgarien, Malta und die Niederlande. Für die Verlängerung hätten Länder gestimmt, die nur 42 Prozent der EU-Bürger repräsentieren, argumentieren die NGOs. Sie werfen der EU-Kommission vor, "auf der Seite der Agrarindustrie" zu stehen. Nun steht ein langwieriges Prozedere bevor. Die NGOs werden Einspruch gegen die Zulassungsentscheidung erheben. Nach dem Einbringen der Klage habe die EU-Kommission 22 Wochen Zeit, um zu antworten. Danach gehe der Ball zurück an die NGOs. Zu erwarten sei, dass die Antwort sinngemäß lauten wird: "Wir haben alles richtig gemacht." Erst dann sei die offizielle Beschwerde beim EU-Gericht möglich. Vor 2026 sei mit keiner Entscheidung zu rechnen, schätzt Dermine.

Zuckerrüben und Unkraut auf einem Feld. 
Kein Pestizid ist in der Landwirtschaft stärker im Einsatz als Glyphosat. Es ist günstig und hochwirksam: Farb- und geruchlos tötet es innerhalb weniger Tage Grünzeug inklusive der Wurzeln ab, indem es die Photosynthese verhindert.
IMAGO/Martin Wagner

Die EU-Kommission stützte sich bei ihrer Entscheidung auf die Bewertungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) und auf jene der Europäischen Chemikalienagentur (Echa). Die Efsa sah eine Wiederzulassung in ihrer letzten Bewertung unkritisch, wie davor die Echa auch. Burtscher-Schaden sieht dies naturgemäß anders: Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse seien bei der Bewertung "systematisch ignoriert" worden. Peter Clausing, Toxikologe bei PAN Germany, argumentiert, die Echa habe ihre eigenen Richtlinien bei der Bewertung von Glyphosat als krebserregend nicht ausreichend beachtet. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse wie die Auswirkungen auf das menschliche Mikrobiom seien wiederum von der Efsa ignoriert worden. Auch die "verheerenden Auswirkungen auf die Umwelt" seien nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Erst seit 2021 ist es möglich, dass auch Umwelt-NGOs und Bürgerinnen ihre Umweltrechte vor dem Gerichtshof der EU geltend machen. Helmut Burtscher-Schaden rechnet sich durchaus Chancen aus, dass der EU-Gerichtshof in Sachen Risikobewertung zu einer anderen Einschätzung als die EU-Kommission kommt. Erika Wagner, Vorständin des Instituts für Umweltrecht an der Johannes-Kepler-Uni in Linz, spricht von einer "wichtigen Signalwirkung, dass es hinsichtlich der Verwendung von Glyphosat in der EU keinen Konsens gibt". Das gilt übrigens auch für Österreich. Viele Landwirte und vor allem ihre Vertreter wollen nicht auf den Einsatz des Unkrautvernichters verzichten. Sie sind auch skeptisch (siehe dazu das Interview mit LKÖ-Präsident Josef Moosbrugger) gegenüber einer generellen Pestizidreduktion, wie sie im Rahmen des Green Deal der EU geplant ist. (Regina Bruckner, 21.11.2023)