Die Kronleuchter strahlen hell, das Parkett glänzt. "Hand hoch", ruf der Lehrer. Zahlreiche weiß behandschuhte Hände erheben sich im Saal. Gegründet wurde die Tanzschule Elmayer im Jahr 1919, bis heute steht sie wie kaum eine andere für die Wiener Ballkultur. Viele wollen hier Walzer, Cha-Cha-Cha und Co erlernen – aber längst nicht alle erhalten einen Platz. Jedes Jahr gibt es mehr Interessentinnen und Interessenten, als die Schule aufnehmen kann. An diesem Abend üben viele für die angelaufene Ballsaison. Juristenball, Jägerball, Ball der Wiener Philharmoniker: Das Vortanzen für die großen Wiener Veranstaltungen hat bereits begonnen.

Tanzschule Thomas Schäfer-Elmayer, Tanzkurs für Fortgeschrittene, Tanz Cha Cha Cha, Tanzschritte
© Christian Fischer

Wer zum Elmayer kommt, kann aber nicht nur tanzen lernen, sondern auch, dass es für fast jede Situation eine Benimmregel gibt. Bei einem Etikette-Essen erklärt Thomas Schäfer-Elmayer höchstpersönlich, was höfliches Verhalten ausmacht. Die Essen finden im Keller einer Gaststätte statt, damit die Tanzschülerinnen und Tanzschüler sich nicht beobachtet fühlen müssen. Nach und nach betreten die Jugendlichen den dunklen Raum. Niemand traut sich, etwas zu sagen. Später wird diese Stille am Tisch immer wiederkehren. "Nun kommt die erste Übung – Smalltalk", sagt Elmayer. Wer nichts zu trinken hat, wird von ihm aufgefordert, sich etwas zu nehmen. Schließlich sitzen alle an der gedeckten Tafel.

Schäfer-Elmayer führt aus, dass man bei Tisch nicht vom Brot abbeißen, sondern es in kleine, mundgerechte Stückchen brechen soll – damit man nicht bröselt. Er erklärt auch, dass der "Tischherr" immer dafür sorgen sollte, dass seine "Tischdame" genug zu trinken und zu essen hat, wie oft man sich für eine Einladung bedankt (drei Mal: beim Erhalt der Einladung, beim Besuch und danach) und wie man als Gastgeber den richtigen Wein aussucht (riechen, schmecken und nach einer zweiten Meinung fragen, falls ein Weinexperte am Tisch sitzt). Wie eine sanfte Drohung lässt er Anekdoten über einen ehemaligen Geschäftspartner einfließen, der sein Ansehen verspielte, weil er keine Tischmanieren hatte. Die Schülerinnen und Schüler lauschen aufmerksam. Doch was sind das für Jugendliche, die diese Regeln heute noch lernen wollen und sich nicht davor scheuen, weiße Handschuhe zu tragen?

Eine große "Elmayer-Familie"

"Es gibt eine Elmayer-Familie", erzählt Schäfer-Elmayer im Foyer der Tanzschule, wo sein selbstverfasstes Benimmregelwerk Der große Elmayer auf dem Tresen steht. Die meisten Tanzschülerinnen und Tanzschüler kämen aus Familien, in denen gutes Benehmen gepflegt würde, sagt er. Sie beherrschten die Etiketteregeln schon sehr gut, wenn sie in den Kurs kämen. Rund 200.000 Wienerinnen und Wiener haben die Tanzschule laut Schätzungen des Chefs besucht oder nehmen aktuell an den Kursen teil. In vielen Familien sei es Tradition, in seine Tanzschule zu gehen. Die meisten Schüler kämen von Bildungseinrichtungen, die mit der Matura abschließen.

Fabian Wolfsbauer mit seiner Tanzpartnerin Pia Dittrich.
© Christian Fischer

Einer von ihnen ist der 19-jährige Fabian Wolfsbauer. Er besuchte eine Wiener AHS und leistet gerade Zivildienst. Für ihn war völlig klar, dass er beim Elmayer tanzen lernen würde und nicht an einer anderen Schule. In seiner Klasse seien alle hierher gegangen. Die meisten hätten aufgehört, doch er blieb. "Mir gefällt die Kombination aus Rhythmus und Bewegung", sagt er. Bälle besuche er so oft wie möglich, vergangenes Jahr waren es vier.

"Nur ganz wenige Lehrlinge kommen zu uns", sagt Schäfer-Elmayer. Das sei anscheinend nicht in den Traditionen dieser Familien. Dabei bietet die Tanzschule auch Vergünstigungen für alle jene an, die sich die Kurse sonst nicht leisten könnten. Ein Jahreskurs für jugendliche Anfänger kostet 490 Euro. Seit er einmal übers Ohr gehauen worden sei, müssten sie dafür einen Einkommensnachweis vorlegen. Rund 200 Schülerinnen und Schüler nehmen den Rabatt laut Schäfer-Elmayer jedes Jahr in Anspruch.

"Vor, hinter kreuzen, drehen, auf dem Standbein nach rechts", ruft der Tanzlehrer. Die Frauen folgen seinen Schritten, die meisten haben seine Füße im Blick. Der Großteil von ihnen trägt Röcke und Kleider. Nur eine sticht im hellen Hosenanzug hervor. Die Männer stehen am Rand und grinsen oder schauen auf den Boden. Die Paare finden sich wieder zusammen. "Das sollte man nicht unterschätzen, er muss führen", sagt der Lehrer.

Tanzschule Thomas Schäfer-Elmayer, Tanzkurs für Fortgeschrittene, Tanz Cha Cha Cha, Tanzschritte
© Christian Fischer

Die Schülerinnen und Schüler lernen hier nicht nur Tanzschritte und Etikette. "Auch trifft man hier Menschen, die später mal wichtig sein können", erzählt Schäfer-Elmayer. Die Tanzschule als Karrierekick, sozusagen. Viele Spitzenpolitiker, wie zum Beispiel der Ex-Kanzler Franz Vranitzky, hätten die Schule besucht. "Jemand, der so aussieht, als wäre er bei uns gewesen, ist der Sebastian Kurz", sagt Schäfer-Elmayer. Doch dieser ehemalige Kanzler war nie beim Elmayer.

Viel "Fantasie"

Ganz im Gegensatz zum Träger des Deutschen Buchpreises, Tonio Schachinger, zumindest wenn man seinem Roman Echtzeitalter einen gewissen autobiografischen Anteil zugesteht. Dort erzählt er in aller Ausführlichkeit von der Welt der Elite-Privatschule "Marianum". Die Parallelen zum Wiener Theresianum, das Schachinger besucht hat, sind gut erkennbar. Positiv kommt die Schule im Roman nicht weg. Für das Theresianum gibt es beim Elmayer exklusive Kurse, wie auf ihrer Website geworben wird. Wer etwas Selbstachtung hat, besucht diese jedoch nicht, findet Schachingers Protagonist im Roman. "Das ist sehr viel Fantasie", sagt Schäfer-Elmayer über das Buch. Er halte das Theresianum für eine sehr gute Schule. Auch die arrogante Haltung der Schüler, die im Roman beschrieben wird, hält er für unrealistisch. "Jedes Kind ist irgendwie unsicher, ob es selber mal reüssieren wird. Was seine Eltern an Geld haben, kann es vielleicht beruhigen – aber wie schnell ist Geld weg." Ärgern würde ihn das Buch nicht – aber dass es den Deutschen Buchpreis bekomme, das sei ein anderes Thema.

Aus dem Tanzsaal tönt es "fünf, sechs, sieben, acht". Schäfer-Elmayer verabschiedet sich – nicht ohne in den Mantel zu helfen und die Tür aufzuhalten. Am nächsten Tag steht schon das nächste Etikette-Essen an. (Milena Wurmstädt, 9.1.2024)

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