Wolfgang Sobotka
Mitgeschnittene Aussagen des verstorbenen Justizsektionschefs Christian Pilnacek bringen Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und die ÖVP erneut in die Bredouille.
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Wolfgang Sobotka ist es schon gewöhnt. Wieder einmal steht der Nationalratspräsident im Zentrum von Vorwürfen gegen die ÖVP, bei der er seit Jahrzehnten in verschiedenen Funktionen an den Schaltstellen der Macht sitzt. Diesmal bringt ihn ausgerechnet ein Mann in die Bredouille, dem zu Lebzeiten immer wieder eine gewisse Nähe zur Volkspartei nachgesagt wurde: der kürzlich verstorbene – und zu seinem Todeszeitpunkt suspendierte – Sektionschef des Justizministeriums Christian Pilnacek.

In einem heimlich aufgenommenen Gespräch in einem Wiener Innenstadtlokal mit Bekannten sagte Pilnacek im Sommer dieses Jahres, dass Sobotka ihn immer wieder zur Einstellung von für die ÖVP heiklen Verfahren drängen wollte. Er, Pilnacek, habe das abgelehnt, weil es gegen die Prinzipien des Rechtsstaates verstoße, doch Sobotka habe ihm diese Weigerung übelgenommen. Der als Nationalratspräsident zweithöchste Mann im Staat habe Pilnacek – so erzählte dieser – dafür kritisiert, dass er Ermittlungen der Justiz nicht abgedreht habe.

Kanzler vertraut Sobotka

Prompt forderte die gesamte Opposition nach Publikwerden des Audiomitschnitts den Rücktritt Sobotkas. Die Grünen legten es Sobotka zumindest indirekt nahe. Doch der bestreitet den Tatsachengehalt des dort zu Hörenden vehement. Niemals habe er mit Pilnacek über laufende Verfahren gesprochen, erklärte er. Sobotka kritisiert vielmehr die Art und Weise, wie das Tonband an die Öffentlichkeit gelangte: "Wenn ein erst kürzlich, unter tragischen Umständen, verstorbener Mensch nun in die Öffentlichkeit gezerrt werden soll, um politisches Kleingeld zu schlagen, dann werden wir uns an einem solch pietätlosen Akt nicht beteiligen."

Auf dieser Verteidigungslinie fährt nun auch die türkise Parteispitze. "Sobotka hat mein Vertrauen", sagte Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer am Mittwochmorgen. Ein Rücktritt des 67-jährigen Niederösterreichers ist daher vorerst nicht in Sicht. Rein rechtlich betrachtet kann ihn sowieso niemand aus seinem Amt befördern außer er sich selbst, denn eine Abwahlmöglichkeit des Nationalratspräsidenten sieht die Verfassung nicht vor.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Sobotka durch eine Affäre durchtaucht. Schon in seine Zeit als niederösterreichischer Finanzlandesrat fiel eine größere Causa: ein Milliardenverlust durch Spekulationen mit Wohnbaugeldern des Landes. Die Liste der Verfehlungen, die ihm die Opposition – und teils auch die Staatsanwaltschaft – vorwirft, ist über die Jahre lang geworden. Ein Überblick.

Posten, Mock und Marsalek

Vorsitzführung im U-Ausschuss. Als Nationalratspräsident ist Sobotka auch für die Leitung von Untersuchungsausschüssen zuständig. Allerdings könnte er auf den Vorsitzposten verzichten, wenn er aufgrund der Involvierung in das untersuchte Thema befangen ist. Da Sobotka genau jener Partei angehört, gegen deren Regierungsarbeit der vergangene U-Ausschuss gerichtet war ("ÖVP-U-Ausschuss"), und bis 2017 selbst Innenminister für die ÖVP war und auch gegen ihn selbst von der WKStA ermittelt wird, hielten die Opposition und sogar der grüne Koalitionspartner eine solche Befangenheit für gegeben.

Sobotka
Dass Sobotka trotz Involvierung in das Untersuchungsthema auf der Position des Vorsitzenden im U-Ausschuss beharrte, kritisierten alle Parlamentsparteien außer die ÖVP.
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Dennoch wollte Sobotka partout nicht auf den Vorsitz verzichten und versteifte sich auf das juristisch irreführende Argument, dass er zur Leitung verpflichtet sei. Sein Agieren als Vorsitzender vermochte die Kritik an seiner Parteilichkeit nicht zu entkräften, strittige Fragen entschied er regelmäßig zugunsten der ÖVP.

Mutmaßliche Postenschieberei. Im Frühjahr des vergangenen Jahres wurde Sobotka für seine Partei einmal mehr zur Belastung. Nur wenige Wochen bevor sich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss unter Sobotkas Vorsitz mit sämtlichen Korruptionsvorwürfen gegen die ÖVP beschäftigen sollte, tauchten inkriminierende Chats aus der schwarzen Sphäre auf. Geschrieben wurden sie auf dem Smartphone von Michael Kloibmüller, Sobotkas ehemaligem Kabinettschef aus dessen Zeit als Innenminister.

Und diese Chats legen nahe, dass man in Sobotkas ehemaligem Ressort sehr darauf bedacht gewesen sein dürfte, dass im Polizeibetrieb nur jene aufsteigen, die das richtige Parteibuch besitzen. So zeigte sich eine Referentin gegenüber Kloibmüller sogar beunruhigt darüber, dass am Server des Kabinetts eine Liste aufgelegen sei, die "Interventionen" heiße und diese auch mit Stand anführe. Im U-Ausschuss dazu befragt, spielte Sobotka das Thema herunter und meinte, es sei auf der Liste bloß um "Bürgeranfragen" gegangen. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sieht das nicht so locker. Sie ermittelt deshalb seit März 2022 wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs gegen Sobotka, der weiterhin seine Unschuld betont.

Das Alois-Mock-Institut. In die Schlagzeilen geriet das Institut durch Heinz-Christian Strache. Der damalige FPÖ-Chef sagte im Sommer 2017 auf Ibiza bekanntlich "Novomatic zahlt alle". Und der Glücksspielkonzern inserierte eben auch im Report der früheren Denkfabrik, die Sobotka damals geleitet hatte. Ebenso traf sich Sobotka 2019 zweimal mit Vertretern der Novomatic. Das rückte den Nationalratspräsidenten in ein schiefes Licht. Sobotka ließ sich aber schon damals nicht beirren und führten den Vorsitz im U-Ausschuss weiter aus.

Sobotka
Das einst von Sobotka geleitete Mock-Institut, in dessen Magazin die Glücksspielfirma Novomatic kräftig inserierte, gibt es mittlerweile nicht mehr.
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Über das Alois-Mock-Institut wurde aber immer mehr bekannt. So soll sich Sobotkas Institut zu einem größeren Teil über Firmen finanziert haben, an denen das ÖVP-regierte Land Niederösterreich beteiligt war oder die anderweitig im Einfluss der ÖVP standen. Überdies belastete der ehemals mächtige Beamte im Finanzministerium, Thomas Schmid, der im Verfahren gegen Altkanzler Sebastian Kurz Kronzeuge werden will, Sobotka schwer. Schmid unterstellte Sobotka wegen einer Steuerprüfung betreffend "Alois-Mock-Institut oder die Alois-Mock-Stiftung (das weiß ich nicht mehr genau)", bei ihm interveniert zu haben. Das sei dann auch erledigt worden. Sobotka wies die Vorwürfe als "vollkommen haltlos" zurück und drohte Schmid mit rechtlichen Konsequenzen. Mittlerweile wurde das Alois-Mock-Institut aufgelöst.

Novomatic-Sponsoring für Orchester. Der ehemalige Musiklehrer Wolfgang Sobotka pflegt auch als Politiker noch sein Engagement als Dirigent des Kammerorchesters Waidhofen. Das gefiel offenbar auch dem Glücksspielkonzern Novomatic, zu dem Sobotkas bereits via Mock-Institut gute Beziehungen hatte. Die Novomatic jedenfalls bedachte ein Konzert des Sobotka-Orchesters 2019 mit einem Sponsoring von mehreren Tausend Euro. Pikant daran: Sobotka sagte selbst, dass das Land Niederösterreich die Novomatic bei der Vergabe der Sponsoring-Gelder beraten habe. Wie genau diese Beratung vonstattenging, blieb im Dunkeln – Anfragen bei der niederösterreichischen Landesregierung brachten keine informativen Antworten. Sobotka stellte das Ganze als üblichen Vorgang dar.

Mit Marsalek in Moskau. Der skandalumwobene Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek ist seit mittlerweile mehr als drei Jahren auf der Flucht. In der Zwischenzeit wurde bekannt, dass Marsalek beste Kontakte zu österreichischen Behörden unterhalten haben dürfte – etwa zu damaligen Mitarbeitern im Staatsschutz. Zu Teilen der FPÖ hatte Marsalek ebenfalls einen guten Draht, aber auch Sobotka traf mit Marsalek zusammen. Am 30. Mai 2017 ließ sich Sobotka, damals noch Innenminister, mit dem ehemaligen Wirecard-Manager bei einem Glas Rotwein in der Moskauer Residenz der österreichischen Botschaft ablichten. Im U-Ausschuss sagte Sobotka dazu einmal: "Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern." (Theo Anders, Jan Michael Marchart, 22.11.2023)