Katze kratzt sich mit Pfote hinter dem Ohr.
Für Tiere wie für Menschen gilt: Wenn es juckt, muss man sich kratzen. Was es damit auf sich hat, ist nicht ganz klar.
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Es handelt sich um eine jener Handlungen, die sich kaum vermeiden lassen: Wenn es juckt, dann ist es sehr schwer, dem Drang nicht sofort nachzugeben und sich nicht zu kratzen. Selbst beim Gedanken an einen unangenehmen Wollpullover, einen Gelsenstich oder gar Kopfläuse fängt es schon zu jucken an. Und wenn wir jemanden beobachten, der sich kratzt, verspüren wir automatisch das Bedürfnis, uns auch zu kratzen.

Der Reflex ist ursprünglich ein Gefahrensignal: Der Körper signalisiert, dass etwas Schädliches oder Giftiges an unserer Haut sein könnte. Durch Kratzen besteht zumindest die Chance, es schnellstmöglich zu entfernen. Das Kratzen mildert außerdem den Juckreiz, zumindest für kurze Zeit, und es aktiviert das Belohnungssystem, führt also dazu, dass wir uns besser fühlen.

Welche molekularen Mechanismen hinter dem Juckreiz stecken, ist jedoch weitgehend unklar, ebenso wie die Zusammenhänge mit Hautkrankheiten wie Ekzemen und Neurodermitis, die häufig mit quälendem Jucken einhergehen. Wissenschafter und Wissenschafterinnen der Harvard Medical School sind dem Phänomen auf den Grund gegangen und konnten nun erstmals zeigen, dass ein weitverbreitetes Hautbakterium – Staphylococcus aureus (S. aureus) – Juckreiz verursachen kann, indem es direkt auf die Nervenzellen wirkt.

Kettenreaktion

Bisher ging man davon aus, dass der Juckreiz, der bei Ekzemen und atopischer Dermatitis auftritt, durch die begleitende Entzündung der Haut verursacht wird. Die experimentelle Studie, die auf Untersuchungen an Mäusen und menschlichen Zellen beruht und im Fachmagazin "Cell" veröffentlicht wurde, legt nun nahe, dass S. aureus im Alleingang dafür verantwortlich ist. Bei Hautkrankheiten gerät schließlich das Gleichgewicht der Mikroorganismen, die unsere Haut gesund halten, oft aus dem Lot, sodass S. aureus gedeihen kann, sagen die Forscher.

Video: Wie Juckreiz durch ein Hautbakterium ausgelöst wird.
Harvard Medical School

"Wir zeigen, dass man nicht unbedingt eine Entzündung haben muss, damit die Mikrobe Juckreiz verursacht, sondern dass der Juckreiz erst die Entzündung auf der Haut verschlimmert", sagte der Erstautor der Studie, Liwen Deng.

Die Mikrobe selbst setzt eine molekulare Kettenreaktion in Gang, die in dem Drang zum Kratzen gipfelt. Von zehn untersuchten Enzymen, die S. aureus auf der Haut freisetzt, konnte das Forschungsteam eines identifizieren, das ein ganz bestimmtes Protein in den Hautnervenzellen aktiviert. Dieses Protein kann verschiedene Signale – Berührung, Wärme, Schmerz, Juckreiz – von der Haut zum Gehirn weiterleiten.

Juckreiz-Kratz-Zyklus

Jene Mäuse, die S. aureus ausgesetzt waren, entwickelten über mehrere Tage hinweg einen immer stärkeren Juckreiz, und das wiederholte Kratzen führte zu einer Verschlimmerung der Hautschäden. Darüber hinaus wurden die Mäuse überempfindlich gegenüber harmlosen Reizen, die normalerweise keinen Juckreiz auslösen würden. Auf der anderen Seite zeigten die Forschenden, dass ein gerinnungshemmendes Medikament die Aktivierung des Proteins blockierte, wodurch der Juckreiz-Kratz-Zyklus unterbrochen werden konnte. Als die Forscher die Experimente in Laborschalen mit menschlichen Neuronen wiederholten, reagierten auch diese auf das betreffende Enzym, das von S. aureos abgegeben wird.

"Wir haben einen völlig neuen Mechanismus für den Juckreiz identifiziert", sagte der Hauptautor der Studie, Isaac Chiu, außerordentlicher Professor für Immunologie am Blavatnik-Institut der Harvard Medical School. "Der Juckreiz kann durch die Mikrobe selbst ausgelöst werden." Die Ergebnisse könnten in die Entwicklung von Medikamenten und Cremes zur Behandlung von anhaltendem Juckreiz einfließen, der bei verschiedenen Erkrankungen auftritt, die mit einem Ungleichgewicht im Hautmikrobiom verbunden sind, wie atopische Dermatitis, Prurigo nodularis und Psoriasis.

Evolutionärer Sinn

Zukünftig wollen die Forscher untersuchen, ob neben S. aureus auch andere Mikroben Juckreiz auslösen können. "Wir wissen, dass viele Mikroben, darunter Pilze, Viren und Bakterien, mit Juckreiz einhergehen, aber wie sie Juckreiz verursachen, ist nicht klar", sagt Chiu.

Es bleibt die Frage, was ein Bakterium evolutionär gesehen davon hat, Juckreiz zu verursachen. "Zu diesem Zeitpunkt ist es eine Spekulation, aber der Juck-Kratz-Zyklus könnte den Mikroben zugutekommen und ihre Ausbreitung auf entfernte Körperstellen und auf nicht infizierte Wirte ermöglichen", sagt Deng. "Warum jucken und kratzen wir uns? Hilft es uns, oder hilft es den Mikroben? Das ist etwas, dem wir in Zukunft nachgehen könnten." (kri, 22.11.2023)