Hörbücherei
Etienne Leroy und Janine Zehe arbeiten in der Hörbücherei des BSVÖ in Wien.
DER STANDARD/Christina Rebhahn-Roither

Reihenweise Regale mit dutzenden Büchern, die zum Schmökern einladen, Besucherinnen und Besucher, die sich vor Ort ihren Lesestoff zusammensuchen: Denkt man an eine Bücherei, haben viele ein klares Bild vor Augen. In der Hörbücherei in Wien-Hietzing jedoch ist alles ganz anders. Es gibt hier weder physische Druckwerke, noch muss man zum Entlehnen persönlich vorbeikommen. Stattdessen gibt es Hörbücher, die downgeloadet werden oder als CD oder SD-Karte per Post verschickt werden.

"Willkommen im Haus des Sehens des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Österreich. Sie hören den elektronischen Wegweiser", schallt es beim Betreten des Gebäudes aus Lautsprechern. Hier im 13. Bezirk befindet sich die Hörbücherei für Menschen, die keine herkömmlichen Bücher lesen können beziehungsweise Schwierigkeiten damit haben – zum Beispiel blinde Personen oder Legastheniker.

Neben Hörbüchern gibt es Zeitschriften, Hörfilme, Hörspiele und E-Books mit Audioausgabe. Der Bestand umfasst circa 16.000 Werke. Inhaltlich gibt es Verschiedenstes – vom Sachbuch bis zum Liebesroman. Durch internationale Vernetzung kann die Hörbücherei auf weitere barrierefreie Werke in unterschiedlichen Sprachen zurückgreifen.

CD-Versand
Die Hörbücher werden unter anderem im CD-Format verschickt.
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Braillezeile und Kopfhörer

Janine Zehe arbeitet mit Etienne Leroy im Verleih. Zehe hat einen angeborenen Genfehler und kann ausschließlich hell und dunkel sehen, erzählt sie. Ausgedruckte Etiketten kann Zehe nicht lesen, umgekehrt kann ihr Kollege Leroy keine Brailleschrift lesen, in der manchmal Bestellungen eingehen. "Wir arbeiten hier Hand in Hand", erzählt Zehe. Sie sitzt vor einem Computerbildschirm mit Tastatur. Maus hat sie keine: "Es gibt für alles Tastenkombinationen." Vor der Tastatur hat Zehe eine Braillezeile liegen, außerdem trägt sie Kopfhörer, über die sie vorgelesene Inhalte hört. Während des Besuchs checkt sie Mails und bearbeitet eine SD-Karte.

Janine Zehe arbeitet mit Kopfhörern und Braillezeile.
Janine Zehe arbeitet mit Kopfhörern und Braillezeile.
DER STANDARD/Christina Rebhahn-Roither

Zehe nimmt unter anderem Bestellungen auf, ist für Empfehlungen zuständig und kommuniziert mit Hörerinnen und Hörern. "Ich als Blinde kann es für andere Blinde doch besser erklären als ein Sehender", sagt sie. Die Nutzer würden ihr auch viel zurückgeben, so Zehe. Unter den neun Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Hörbücherei sind eine sehbeeinträchtigte und eine blinde Person.

Aus Buch wird Hörbuch

Beim Rundgang mit Hörbücherei-Leiter Alexander Guano finden sich schließlich doch noch ein paar Bücher aus Papier – jene, die vertont wurden. In hauseigenen Studios werden mit mehr als 20 Sprecherinnen und Sprechern Hörbücher produziert. 2023 sind insgesamt 117 vollständig neu aufgesprochene Hörbücher entstanden, sagt Guano. Durch ein spezielles Format kann unter anderem die Abspielgeschwindigkeit bestimmt werden, die Struktur von Kapiteln und Fußnoten wird beibehalten, und man kann Lesezeichen setzen. Für manche Funktionen braucht man allerdings ein spezielles Abspielgerät.

Ein Hörbuch wird aufgesprochen
In der Hörbücherei werden auch Hörbücher eingesprochen.
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Wenn Nutzerinnen und Nutzer Hörbuchwünsche haben, die auch für andere interessant oder hilfreich sein könnten, werden solche auch umgesetzt, erklärt Guano. Die Anfragen seien ganz unterschiedlich: von Biografien über lateinische Werke bis hin zu Bedienungsanleitungen.

Hier im Haus des Sehens werden übrigens auch Werke bearbeitet, die bereits als kommerzielle Hörbücher erschienen sind. "Es mag vielleicht kurios klingen: Hörbücher barrierefrei aufarbeiten", sagt Guano. "Man geht eigentlich automatisch davon aus, dass das schon der Fall ist." Doch es gebe Punkte, die dagegensprechen. Ein Beispiel: CDs sind für blinde Nutzerinnen und Nutzer schwierig auseinanderzuhalten, ein kommerzielles Hörbuch mit mehreren CDs wird deshalb auf eine einzige CD gespielt.

Alexander Guano
Alexander Guano leitet die Hörbücherei.
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Breiteres Publikum

Die Geschichte der Hörbücherei reicht bereits mehrere Jahrzehnte zurück, in den vergangenen Jahren habe sich die Zielgruppe verändert, erklärt der Leiter: "Wir sind nicht mehr für Blinde und Sehbehinderte allein zuständig, sondern generell für alle Personen, die aus gesundheitlichen Gründen Schwierigkeiten haben, ein herkömmliches Buch zu lesen." Das seien zum Beispiel Menschen mit fortgeschrittener Multipler Sklerose, Arthritis in den Händen, Parkinson, Schlaganfällen oder auch Jugendliche und Kinder mit Legasthenie oder ADHS. Dementsprechend habe man das Angebot differenziert. Finanziert wird die Hörbücherei laut Guano zu 90 Prozent von öffentlicher Hand und zu zehn Prozent über Spenden und Eigenmittel.

Für die etwa 1600 Nutzerinnen und Nutzer ist das Angebot (bis auf Zeitschriftenabos) kostenlos. Auch Mitarbeiterin Zehe nutzt dieses. Zum Abspielen von CDs und Downloads verwendet sie CD-Player und Handy-App. Am Ende des Besuchs meldet sich nochmal der Wegweiser zu Wort. "Auf Wiedersehen im Haus des Sehens des Blinden- und Sehbehindertenverbandes", tönt es beim Hinausgehen. (Christina Rebhahn-Roither, 6.2.2024)