Junge Mutter hält ein Baby am Arm und sieht erschöpft zu Boden
Mütter meinen oft, alles hänge an ihnen. Ob Versorgung des Kindes, Vergabe von Medikamenten oder Körperpflege. Väter beteiligen sich mehr, die Verantwortung tragen doch meist die Frauen. Dazu kommt der Schlafmangel.
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Auf einmal ist sie da. Peng! Die Angst. Gefühlt lauert sie überall. Habe ich eh nichts Rohes gegessen? Habe ich das Badewannenwasser ablaufen lassen? Waren die Apfelstücke klein genug? Und vor allem: Atmet es noch? Wenn dieses neue Leben heranwächst, ob als Baby im Bauch, als Säugling im Kinderbett oder später als kleines Kind in der großen Welt, taucht sie unerwartet als Begleiterscheinung auf. Nicht bei allen Müttern, aber doch bei vielen. Die starke Sorge ums Kind – um sein Leben, sein Wohlergehen, sein Glück. Und die eigene Verantwortung daran.

Häufig beobachten Frauen an sich, dass die Mutterschaft sie verändert, und erkennen sich selbst nicht wieder. Einst cool, gelassen und draufgängerisch, scheint die Frau als Mutter zum Nervenbündel zu werden. Macht Mutterschaft ängstlicher?

Wann ist die Angst nicht mehr normal?

"Ja, tendenziell schon," sagt Margit Hartmann. Die Psychotherapeutin begleitet in ihrer Praxis in Wien seit sechs Jahren Frauen, die mit Depressionen oder Angststörungen zu kämpfen haben. "Angst ist ja per se einmal etwas Gutes. Ohne Angst würde es uns Menschen nicht geben, weil sie dem Überleben dient." Wenn Mütter also ängstlicher werden, ist das nicht gleich schlimm. Im Gegenteil, eine größere Wachsamkeit ist sinnvoll, wenn man sich um ein Kind kümmert. Selbst das eigene Kopfkino, das auf einmal mit Vorliebe Worst-Case-Szenarien abspielt, ist bis zu einem gewissen Grad normal.

"Ernst wird es, wenn die Angst überhandnimmt." Wenn sich Sorgen zu Panikattacken manifestieren, wenn Schlafstörungen einsetzen und Vermeidungstaktiken entworfen werden. Wenn Schwangere etwa in kein Restaurant mehr gehen, weil dort das Messer in der Küche womöglich mit rohen Lebensmitteln in Kontakt gekommen sein könnte, erzählt Hartmann aus ihrer Praxiserfahrung.

Dann kann eine sogenannte postpartale Angststörung vorliegen, die ähnlich wie die postpartale Depression nach der Geburt des Kindes einsetzt. Und die behandelt gehört. Denn Angst ist eine Emotion, so beschreibt es Hartmann, die schnell körperlich werden kann. Man denkt an etwas, das vegetative Nervensystem springt an, der Sympathikus im Gehirn schnellt in die Höhe, und der Körper reagiert mit erhöhtem Herzschlag und Schwitzen. Das macht krank und schadet auf Dauer.

Schweißausbrüche, Herzrasen, Todesängste

"Früher bin ich Klettersteige gestiegen, ich bin allein durch die Welt gereist. Ich war echt cool!", erzählt Zilan Gruber, Mutter von zwei Töchtern, am Telefon. Doch mit der ersten Schwangerschaft habe sich etwas bei ihr verändert, sagt die 35-Jährige. Auf einmal war da ein anderes Verantwortungsbewusstsein. Beim Wandern, beim Autofahren, sie denkt nun zweimal nach. Das Glück über das Kind im Bauch erzeugt plötzlich Angst, ebendieses Glück wieder zu verlieren. Dann kam die Geburt, ein Notkaiserschnitt, und die Depression setzte ein. Bei beiden Kindern.

Die Mutter machte sich Vorwürfe, dass sie keine natürliche Geburt geschafft habe, und erzählt, wie enttäuscht sie von sich selbst war. Trauer habe sich breitgemacht, und: "Ich habe weniger Lebenslust verspürt." Die Angst aber kam erst später. "Nach der Geburt meines zweiten Kindes habe ich mich gegen Covid impfen lassen und leider die Impfung nicht vertragen." Von da an überfielen sie Panikattacken. Schweißausbrüche, Herzrasen, Todesängste. Etwa immer, wenn im Fernsehen das Wort "Impfschaden" fiel. Und sie beginnt, sich die schlimmsten Sachen auszumalen, wenn die Kinder bei den Großeltern sind: vom Sturz die Gartentreppe hinunter bis zum Autounfall. Es sei irrational, sagt Gruber heute, aber sie konnte nicht abschalten. Was ist, wenn ich meine Kinder verliere? Oder sie mich?

Schwierige Geburten hinterlassen Spuren

"Schwangerschaft und Geburt können massive Urängste triggern", weiß Hartmann. "Wie die Todesangst. Oft kommen Frauen das erste Mal mit ihr in Kontakt, wenn sie schwanger sind, wenn sie gebären oder wenn sie dann Mutter sind. Je nachdem welche Mechanismen Frauen gelernt haben, können sie das regulieren und steuern." Die Therapeutin hat 30 Jahre als Hebamme in einem Spital gearbeitet und dadurch viele Mütter in den ersten Tagen und Wochen nach der Entbindung begleitet.

Natürlich spielen auch die Hormone eine tragende Rolle dabei, dass Mütter ängstlicher werden. Gerade im Wochenbett, in den ersten Wochen nach einer Entbindung, ist die Hormonumstellung enorm: 50 bis 70 Prozent erleben einen Babyblues. Es spielt aber auch eine Rolle, inwieweit man vorbelastet ist und wie man als Kind geprägt wurde. "Mit welchem Mutterbild bin ich aufgewachsen? Oft lohnt es sich für Frauen, auf Forschungsreise zu gehen", empfiehlt Hartmann.

Aber selbst Frauen, die ein gutes psychisches Grundgerüst haben, können mit der Mutterschaft Ängste entwickeln. Gerade kontrollierte Frauen und sogenannte Checkerinnen betrifft das öfter, weiß die Therapeutin. "Sie haben ihre To-do-Liste, ihre Karriere und sind es gewohnt, das Leben so zu kontrollieren, wie sie es planen. Aber genau das ist das Erste, was ein Kind abräumt." Denn Schwangerschaft und Geburt bedeuten Kontrollverlust. Das fällt vielen Frauen schwer, gerade Perfektionistinnen. Zudem kann bei schwierigen oder traumatischen Geburten das Urvertrauen einen Knacks bekommen. Man spricht dann von einer posttraumatischen Belastungsstörung.

"Meine Psychotherapie hat mir geholfen, meine Geburtserlebnisse zu verarbeiten", erzählt auch Zilan Gruber am Telefon. Weil sie gelernt habe, dass sie weder Schuld an den Kaiserschnitten trage – noch dass diese Art der Geburt einen Schaden für ihre beiden Kinder bedeute.

Schlaf bewirkt oft Wunder

Scham und Versagensgefühle betreffen Mütter häufig, weiß auch Hartmann. "Männer sind weder durch die Schwangerschaft, durch die Geburt noch durch das Stillen in ihrer Verfassung beeinträchtigt", sagt Hartmann. "Für sie beginnt die anstrengende Phase, wenn überhaupt, nach der Geburt. Viele Frauen sind da aber schon geplättet und müssen funktionieren." Sich am Tiefpunkt der seelischen oder körperlichen Verfassung um einen Säugling kümmern zu müssen mag wie eine Ungerechtigkeit der Natur erscheinen. Daher sei es so wichtig, auf die eigenen Grenzen zu achten und auch "Nein" zu sagen, so die Therapeutin.

Mütter meinen oft, alles hänge an ihnen. Ob Versorgung des Kindes, Vergabe von Medikamenten oder Körperpflege. Väter beteiligen sich mehr, die Verantwortung tragen doch meist die Frauen. Dazu kommt der Schlafmangel. Wer sich übermüdet, womöglich mit Kaiserschnittnarbe und allein daheim um das (Über-)Leben des Kindes kümmert, fühlt schnell Überforderung. Das macht auch Angst. "Ich probiere daher als Erstes, an der Schlafschraube zu drehen", sagt Hartmann. Das wirke oft schon Wunder.

Gerade weil Angst körperlich wirke, helfe es, mit dem Körper zu arbeiten, etwa mit Atemübungen. Vor allem aber sei es wichtig, die Gefühle nicht in sich hineinzufressen, sondern das Gespräch zu suchen – und sich Unterstützung und Hilfe zu holen.

Ängste wirken sich auf das Baby aus

Die Oberärztin Claudia Reiner-Lawugger leitet die Spezialambulanz für peripartale Psychiatrie in der Klinik Ottakring in Wien. "Ängste, dass dem Kind oder mir als Mutter etwas passiert, sind normal. Das liegt an der symbiotischen Beziehung zwischen Mutter und Kind", bestätigt auch sie. Wenn aber Panikattacken oder Schlafstörungen vorhanden sind, müssen Fragen abgeklärt werden: Gibt es Angst schon in der Vorgeschichte? Gibt es hormonelle Ursachen? Gerade Frauen mit starkem prämenstruellen Syndrom (PMS) sind vorbelastet. Haben die Verlustängste mit dem Selbstwert oder der Einsamkeit der Mutter zu tun? Isolation sei einer der Haupt-Angsttrigger, so Reiner-Lawugger, und betreffe oft Frauen in Städten, wo das Familiennetzwerk fehle.

"Sehr oft ist neben psychotherapeutischen Interventionen eine medikamentöse Therapie erforderlich, da es auch darum geht, die Mutter wieder rasch zu stabilisieren, damit sie für ihr Kind da sein kann", erklärt die Psychiaterin. "Bei einem alleinstehenden Erwachsenen können wir längere therapeutische Prozesse abwarten. Aber bei Frauen mit Säuglingen rennt mir die Zeit davon." Wenn Mütter nicht behandelt werden, hat das nicht nur Konsequenzen für sie selbst, sondern für die Versorgung und Entwicklung des Kinds. "Ein immer angsterfüllter Blick wirkt sich genauso negativ aus wie eine versteinerte Mimik durch die Depression." Frühe Bindungsstörungen seien nachhaltig.

"Das gehört dringend behandelt", betont die Oberärztin. "Wir hatten auch schon Mütter, die sich umgebracht haben. Das sollte nie passieren!" Depression und Angststörungen gehören zu den häufigsten postpartalen Erkrankungen. Die Rate liege bei 15 Prozent. "Das ist hoch. Trotzdem haben wir eine furchtbare Versorgungslage." Was es bräuchte, wären flächendeckende Ambulanzen in allen Bundesländern, die täglich offen haben und mit speziellen Aufnahmemöglichkeiten für Mütter mit ihren Babys. Aktuell gibt es in manchen Bundesländern gar keine Ambulanzen, in manchen sind sie nur ein paar Stunden die Woche geöffnet. "Frauen, die Hilfe brauchen, werden hierzulande missachtet", attestiert die Ärztin. Die Erkrankung ist da, aber sie wird tabuisiert.

Zilan Gruber hat kein Tabu daraus gemacht. Sie hat stets das Gespräch gesucht, nicht nur in ihrer Therapie, auch mit anderen Müttern. "Ich bin nicht die Einzige damit", allein das zu wissen, tue gut. (Delna Antia, 26.11.2023)